Ärztemangel
Daseinsvorsorge reloaded: Warum Kommunen jetzt Verantwortung für die ärztliche Versorgung übernehmen müssen
3. April 2025

KI‑Revolution in der Arztpraxis: Aktuelle Insights zur Zukunft der Medizin

Künstliche Intelligenz ambulante Versorgung

Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.

Impulse: Herr Pschunder, im Juli vergangenen Jahres durften wir Sie bereits zu den ersten Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz in der Arztpraxis befragen. Ihre damals wegweisenden Einblicke haben nicht nur gezeigt, welche Potenziale KI schon damals entfaltete, sondern auch klare Handlungsimpulse für Praxisalltag und Datenschutz geliefert. Umso mehr freuen wir uns, Sie nun erneut zum Gespräch begrüßen zu dürfen. Für unsere Leserinnen und Leser, die Sie noch nicht kennen: Sie sind als selbstständiger Berater für Arztpraxen im niedersächsischen Raum, aber auch bundesweit, aktiv. Ihr Fokus liegt dabei v.a. auf der Prozessoptimierung, die Schnittmenge zum Thema KI liegt auf der Hand. Sie selbst haben bereits vor rd. zwei Jahren die allgemeinmedizinische Praxis Ihrer Ehefrau auf dem Weg der KI-Implementierung begleitet. Das Projekt wurde erst kürzlich im NDR vorgestellt. (Lesen Sie auch: Wir feiern das 1-jährige Bestehen des MVZ Klettgau – Interview)

Nun zurück zu meiner ersten Frage, was hat sich seit unserem letzten Gespräch im Bereich von KI-Anwendungen im ambulanten Bereich getan? 

Pschunder: In den letzten zwölf Monaten hat sich im Bereich der Künstlichen Intelligenz in der ambulanten Versorgung spürbar viel getan. Was vor einem Jahr für viele noch wie ein Zukunftsthema wirkte, ist heute in zahlreichen Praxen bereits gelebter Alltag. Immer mehr Ärztinnen, Ärzte und Praxisteams setzen KI gezielt ein, um ihren Arbeitsalltag effizienter zu gestalten und die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dies am Beispiel der allgemeinmedizinischen Praxis meiner Ehefrau, in welcher KI mittlerweile fester Bestandteil der täglichen Abläufe ist – etwa bei der Erstellung von Arztbriefen, Anträgen oder bei der Identifikation ausländischer Medikamente. Die Anwendungen sind praxisnah, leicht verständlich und sparen vor allem eines: Zeit. Zeit, die den Mitarbeitenden und Ärztinnen wieder für das Wesentliche bleibt – den Menschen, die ihre Hilfe suchen.

Dabei ist der Zugang zur Technologie heute einfacher denn je. Ein Internetanschluss, ein modernes KI-Tool wie ChatGPT oder Copilot und eine kurze Einweisung genügen, um mit der Arbeit zu beginnen. Viele Praxen berichten bereits nach wenigen Tagen von spürbaren Entlastungen und mehr Freude bei der Arbeit. KI zeigt in diesem Zusammenhang nicht nur, wie viel Potenzial in der Automatisierung administrativer Aufgaben steckt, sondern auch, wie groß die Chance ist, trotz Fachkräftemangel eine hochwertige Patientenbetreuung zu ermöglichen.

Und genau hier liegt auch ein entscheidender Punkt: In Zeiten, in denen medizinisches Fachpersonal knapp ist, bietet Künstliche Intelligenz eine enorme Möglichkeit, Prozesse effizienter zu gestalten. Ob bei der Dokumentation, Kommunikation mit Krankenkassen oder der Zusammenfassung medizinischer Informationen – vieles ließe sich vereinfachen, beschleunigen und standardisieren. Doch obwohl das Potenzial groß ist, bleibt die Umsetzung in vielen Fällen ausgebremst. Der Grund ist in erster Linie der Datenschutz. Die berechtigte Sorge um sensible Patientendaten führt dazu, dass viele Möglichkeiten gar nicht erst genutzt werden – nicht, weil sie technisch nicht machbar wären, sondern weil es an passenden, datenschutzkonformen Lösungen fehlt.

Was es jetzt braucht, sind Menschen und Unternehmen, die den Mut haben, genau hier anzusetzen. Es fehlt an „Machern“ im Gesundheitssystem, die KI-Lösungen entwickeln, die mit den hohen Anforderungen des Datenschutzes vereinbar sind. Eine denkbare Lösung wären eigene KI-Server, die innerhalb des TI-Netzwerks (Anm. d. Red.: Telematikinfrastruktur) betrieben werden und so maximale Sicherheit mit moderner Technologie verbinden. Solche Angebote könnten der Schlüssel sein, um dem deutschen Gesundheitssystem einen echten Digitalisierungsschub zu geben.

Der Fortschritt ist da. Die Technologie ist bereit. Jetzt braucht es Strukturen, die es den Arztpraxen ermöglichen, diesen Weg datenschutzkonform, effizient und mit echtem Mehrwert zu gehen.

Impulse: Unser Leserinnen und Leser werden mir sicherlich zustimmen wenn ich sage, dass man Ihre Begeisterung für das Thema sofort spürt. Richten wir unseren Blick nun in die Zukunft. Wie sehen Sie die Entwicklung in den nächsten zwei Jahren – wird KI ein selbstverständlicher Bestandteil jeder Praxisorganisation sein? (Lesen Sie auch: Bis 2030 fehlen 50.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland)

Pschunder: In den nächsten zwei Jahren wird sich Künstliche Intelligenz mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem selbstverständlichen Bestandteil vieler, wenn nicht sogar der meisten Praxisorganisationen entwickeln – zumindest in den Bereichen, in denen sie konkrete und spürbare Entlastung bringt. Denn der Druck im Gesundheitswesen wächst weiter: der Mangel an Fachkräften verschärft sich, die Anforderungen an Dokumentation, Kommunikation und Qualität steigen, und gleichzeitig wünschen sich Patientinnen und Patienten eine persönliche, verlässliche Betreuung. Genau hier kann KI helfen, und das auf eine Weise, die einfach, schnell und direkt umsetzbar ist.

Wir sehen heute schon, wie KI Aufgaben übernimmt, die bisher wertvolle Zeit gekostet haben – von der Erstellung medizinischer Schreiben über das Auswerten von Informationen bis hin zur Unterstützung bei Übersetzungen oder Medikamentenvergleichen. Die Einstiegshürden sind niedrig, die Wirkung hoch. Dieser Nutzen spricht sich herum, wird ausprobiert und begeistert – sowohl Ärztinnen als auch medizinische Fachangestellte. Wenn diese Entwicklung weiter so dynamisch verläuft, wird es bald ganz selbstverständlich sein, dass KI zur täglichen Unterstützung gehört – genauso wie heute schon die digitale Patientenakte oder das E-Rezept.

Allerdings hängt dieser Fortschritt auch davon ab, ob es gelingt, datenschutzkonforme Lösungen zu etablieren. Denn solange KI-Tools nur über Cloud-Lösungen laufen, die außerhalb des deutschen oder europäischen Rechtsrahmens agieren, bleiben viele Praxen vorsichtig – aus gutem Grund. Es braucht dringend sichere, speziell für das Gesundheitswesen entwickelte KI-Systeme, die innerhalb geschützter Strukturen wie dem TI-Netzwerk betrieben werden können. Eigene KI-Server für Praxen wären ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Erst wenn rechtliche Sicherheit und technologische Innovation Hand in Hand gehen, wird KI tatsächlich überall ankommen.

Deshalb: Ja, die Entwicklung geht klar in Richtung „selbstverständlicher Bestandteil“, aber nur dann, wenn jetzt die Weichen richtig gestellt werden. Die Technik ist bereit – es liegt an uns, sie sinnvoll, sicher und verantwortungsvoll einzusetzen.

Impulse: Zur Einordnung für unsere Leserinnen und Leser: Sie sprechen damit vor allem den EU AI Act der Europäischen Union aus dem letzten Jahr an, welcher einen einheitlichen Rechtsrahmen für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz geschaffen hat. Sobald hierbei ein KI-System potenziell Einfluss auf die Gesundheit oder Sicherheit von Menschen nimmt, greift der Hochrisikobereich des EU AI Acts. Habe ich das richtig verstanden?

Pschunder: Ganz richtig, dies zieht eine Reihe technischer und organisatorischer Pflichten nach sich. Auch wenn viele Praxen zunächst „nur“ Anwender sind, tragen sie Verantwortung für den sicheren und rechtskonformen Einsatz der Technologie. Ich erarbeite hierfür im Moment ein Schulungsangebot für Praxen, welches voraussichtlich im Herbst 2025 auf den Markt kommt (Anm. d. Red. www.academy-nextgen.com).

Impulse: Ich bin gespannt! Wo würden Sie aktuell die größten Hemmnisse beim Einsatz von KI im ambulanten Bereich sehen – eher in der Technik oder in der Akzeptanz der Anwender?

Pschunder: Im Moment erleben wir im ambulanten Bereich eine beeindruckende Aufbruchstimmung, wenn es um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz geht – und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist erstaunlich hoch. Patienten zeigen sich neugierig, offen und häufig sogar begeistert, wenn sie erleben, wie KI den Ablauf in der Praxis verbessert und dabei trotzdem der persönliche Kontakt zum medizinischen Team erhalten bleibt.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist ein Projekt, das wir gemeinsam mit einem Softwareunternehmen aus Hannover umgesetzt haben: In unserer Praxis haben wir einen KI-Avatar getestet, der im Aufnahmezimmer mit unseren Patientinnen und Patienten spricht. Dieser Avatar stellt gezielt Fragen, führt eine vollständige Anamnese durch und erstellt daraufhin nicht nur eine strukturierte Zusammenfassung, sondern gibt auch konkrete Handlungsempfehlungen für unsere MFA – zum Beispiel, ob ein Urintest oder ein EKG vor dem Arztgespräch sinnvoll wäre. Das bedeutet: Wenn der Patient ins Sprechzimmer kommt, ist bereits alles vorbereitet, relevante Voruntersuchungen sind erledigt und der Arzt kann sich ganz auf das Gespräch und die individuelle Behandlung konzentrieren.

Was uns besonders überrascht hat: Dieses Projekt wurde von allen Altersgruppen hervorragend angenommen – von jungen Menschen, die digitale Angebote ohnehin als selbstverständlich betrachten, bis hin zu älteren Patienten, die dem System mit Neugier und Respekt begegnet sind. Die Rückmeldungen waren durchweg positiv: Die Patienten fühlten sich ernst genommen, gut vorbereitet und vor allem – nicht allein gelassen. Denn der KI-Avatar ersetzt kein Gespräch mit dem Arzt, sondern bereitet es so effizient vor, dass mehr Zeit für das Wesentliche bleibt.

Der Andrang und das Interesse an diesem Projekt waren so groß, dass sogar der NDR darüber berichtet hat. Das zeigt: Künstliche Intelligenz ist längst nicht mehr nur ein Thema für Technik-Enthusiasten. Sie hat das Potenzial, die medizinische Versorgung für alle Generationen zu verbessern – wenn sie menschlich, sinnvoll und verantwortungsvoll eingesetzt wird.

Gerade deshalb glauben wir: Die größten Hemmnisse liegen nicht mehr in der Technik – sie funktioniert. Und auch nicht mehr in der Akzeptanz – die ist da. Was jetzt fehlt, sind klare Strukturen, datenschutzkonforme Lösungen und der Mut, solche Innovationen flächendeckend möglich zu machen. Denn wenn Menschen spüren, dass KI sie unterstützt, entlastet und den Praxisbesuch angenehmer macht, dann wird sie ganz selbstverständlich Teil unseres Gesundheitswesens werden.

Impulse: Beeindruckend! Wie weit sind beim Thema KI z.B. die PVS-Anbieter?

Pschunder: Bei den PVS-Anbietern (Anm. d. Red.: Praxisverwaltungssystem) sehen wir nach wie vor große strukturelle Hürden – und das hat viel mit ihrer ursprünglichen Ausrichtung zu tun. Diese Systeme wurden in erster Linie für die Abrechnung mit den Krankenkassen entwickelt. Genau dort liegt auch heute noch ihr Schwerpunkt. Eine echte Weiterentwicklung hin zu offenen, intelligenten Praxisplattformen hat bislang nur sehr zögerlich stattgefunden.

Selbst wenn inzwischen GDT-Schnittstellen (Anm. d. Red.: Geräte-Daten-Träger) für medizinische Geräte verfügbar sind, reichen diese bei Weitem nicht aus, um moderne Anforderungen zu erfüllen. Was es dringend braucht, sind standardisierte API-Schnittstellen (Anm. d. Red.: Application-Programming-Interface), die es ermöglichen, dass KI-Anwendungen, smarte Analyse-Tools oder digitale Assistenzsysteme reibungslos mit dem PVS kommunizieren. Nur dann lassen sich innovative Lösungen wirklich nahtlos in den Arbeitsalltag integrieren – und genau das erwarten sowohl Praxisteams als auch Patienten heute.

Ohne diese Offenheit bleiben viele Praxen auf Insellösungen angewiesen. Das führt nicht nur zu doppelten Prozessen, sondern stellt auch ein Risiko in Bezug auf den Datenschutz dar. Denn KI darf im Gesundheitswesen nicht irgendwo in der Cloud betrieben werden, sondern muss in einer gesicherten, rechtskonformen Infrastruktur laufen – idealerweise innerhalb des TI-Netzwerks oder auf zertifizierten, praxiseigenen KI-Servern.

Es braucht also ein klares Umdenken: PVS-Systeme müssen sich vom reinen Abrechnungswerkzeug hin zu offenen, zukunftsfähigen Plattformen entwickeln. Nur so lässt sich die digitale Transformation im Gesundheitswesen sicher und nachhaltig gestalten – mit echtem Mehrwert für Praxis und Patient.

Impulse: Halten Sie eine flächendeckende Integration von KI in ländlichen Regionen für realistischer als in urbanen Räumen – oder umgekehrt?

Pschunder: Tatsächlich halte ich eine flächendeckende Integration von Künstlicher Intelligenz in ländlichen Regionen sogar für realistischer – und in gewisser Weise auch dringlicher – als in urbanen Räumen. In Städten gibt es meist eine höhere Arztdichte, spezialisierte Angebote und größere medizinische Einrichtungen, die gewisse Herausforderungen intern besser abfedern können. Auf dem Land hingegen sehen wir uns oft mit einem spürbaren Fachkräftemangel, längeren Wartezeiten und einer besonders hohen Arbeitsbelastung konfrontiert – gerade in hausärztlichen Praxen oder kleineren Versorgungseinheiten.

Genau hier kann KI ihren größten Nutzen entfalten: Sie entlastet die Mitarbeitenden, beschleunigt Abläufe, verbessert die Vorbereitung auf das Arztgespräch und hilft dabei, trotz knapper Ressourcen eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen. In unserer eigenen ländlichen Praxis erleben wir jeden Tag, wie gut diese Technologie angenommen wird – nicht nur vom Team, sondern auch von unseren Patientinnen und Patienten, unabhängig vom Alter. Der Bedarf an digitaler Unterstützung ist da – und die Offenheit ebenfalls.

Voraussetzung ist natürlich, dass die technischen Grundlagen stimmen: Eine stabile Internetverbindung, sichere IT-Strukturen und vor allem datenschutzkonforme Lösungen, die auch in kleinen Praxen problemlos einsetzbar sind. Wenn diese Rahmenbedingungen geschaffen werden – etwa durch eigene KI-Server im TI-Netzwerk oder durch einfache, nutzerfreundliche Anwendungen –, dann kann der ländliche Raum sogar zum Vorreiter werden. Denn wo der Druck groß ist, wächst oft auch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen.

Kurz gesagt: Während in urbanen Räumen häufig erst Prozesse angepasst und bestehende Strukturen umgebaut werden müssen, ist der Handlungsspielraum auf dem Land oft direkter – mit dem klaren Ziel, effizienter zu arbeiten und gleichzeitig die Versorgung vor Ort zu sichern. KI kann dabei ein echter Gamechanger sein.

Impulse: Welche Haltung nehmen die Kassenärztliche Vereinigungen hinsichtlich neuer KI-Anwendungen ein?

Pschunder: Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) erkennen das Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Verbesserung der Patientenversorgung und zur Entlastung der Praxen. Sie betonen jedoch die Notwendigkeit klarer Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI im Gesundheitswesen. So fordert beispielsweise die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) die Definition und Einhaltung solcher Rahmenbedingungen.

Die KVen sehen in der Digitalisierung, einschließlich KI, eine Chance, die Effizienz in der Patientenversorgung zu steigern. Gleichzeitig weisen sie auf Herausforderungen hin, insbesondere in Bezug auf Haftungsfragen, Datenschutz und Qualitätssicherung. Sie betonen die Bedeutung europäischer Standards und Trainingsdaten für den sicheren Einsatz von KI.

Zusammenfassend fördern die Kassenärztlichen Vereinigungen den verantwortungsvollen Einsatz von KI, um die medizinische Versorgung zu verbessern, und setzen sich für klare Regularien ein, um Sicherheit und Qualität im Gesundheitswesen zu gewährleisten.

Impulse: Wie begegnen Sie der Skepsis gegenüber KI im direkten Patientenkontakt – insbesondere bei sensiblen Themen wie Diagnostik? Bringen die Patienten bereits Erfahrungen im Umgang mit KI mit?

Pschunder: Der Skepsis gegenüber KI im direkten Patientenkontakt begegnen wir mit Transparenz, Einfühlungsvermögen und einer klaren Haltung: KI ist bei uns ein unterstützendes Werkzeug – kein Ersatz für den Menschen. Gerade bei sensiblen Themen wie Diagnostik ist es uns besonders wichtig, dass der persönliche Kontakt an erster Stelle steht. Die Entscheidung, eine KI-Anwendung zu nutzen, kommunizieren wir offen und erklären den Patientinnen und Patienten, welchen Zweck sie erfüllt: zum Beispiel bessere Vorbereitung auf das Arztgespräch, strukturierte Anamnese oder schnellerer Zugang zu relevanten Informationen. Das schafft Vertrauen.

Was wir dabei erleben, ist überraschend positiv. Viele Patienten – auch ältere – bringen bereits Erfahrungen mit digitalen Tools oder sogar mit KI mit, sei es über Sprachassistenten wie Siri oder Alexa oder durch die mediale Präsenz von Programmen wie ChatGPT. Sie sind oft neugierig, stellen Fragen und empfinden es als modern und fortschrittlich, dass ihre Praxis neue Technologien einsetzt. Wichtig ist, dass sie spüren: Die Technik nimmt ihnen nichts weg – sie bringt ihnen im Gegenteil mehr Aufmerksamkeit, mehr Zeit mit dem Arzt und bessere Vorbereitung.

Insbesondere unser Projekt mit dem KI-Avatar im Aufnahmezimmer hat gezeigt, wie gut digitale Helfer im direkten Kontakt funktionieren können, wenn sie gut erklärt und menschlich eingebettet sind. Die Patienten fühlen sich nicht kontrolliert, sondern gut begleitet. Die KI nimmt ihnen die Unsicherheit nicht ab, aber sie schafft Ordnung, Struktur und hilft dabei, wichtige Informationen nicht zu vergessen. So gehen die Menschen besser vorbereitet ins Arztgespräch – und das wirkt sich direkt positiv auf das Vertrauensverhältnis aus.

Kurz gesagt: Skepsis verschwindet, sobald der Nutzen klar wird und die Menschlichkeit erhalten bleibt. KI darf nie als Ersatz für Empathie dienen – aber sie kann sie möglich machen, indem sie Freiräume schafft, in denen echte Gespräche wieder Platz finden.

Impulse: Sie hatten beiläufig erwähnt, dass Sie mit der Praxis Ihrer Ehefrau kürzlich in einem NDR-Bericht zu sehen waren. Um was ging es dabei?

Pschunder: Ein innovatives Unternehmen aus Hannover kam mit einer klaren Vision auf uns zu: Künstliche Intelligenz praxisnah weiterentwickeln – und zwar dort, wo sie wirklich gebraucht wird. Gesucht wurde eine fortschrittliche Arztpraxis, die bereit ist, neue KI Technologien nicht nur zu testen, sondern gemeinsam mit Patientinnen und Patienten weiterzudenken. Unsere Praxis hat sich dieser Aufgabe gestellt, weil wir überzeugt sind, dass moderne Medizin den Mut zur Veränderung braucht – und Innovation dann gelingt, wenn sie im echten Alltag entsteht.

Im Rahmen dieses Projekts entstand eine enge Zusammenarbeit zwischen Technik und Versorgungspraxis. Die eingesetzte KI wurde direkt im Patientenkontakt getestet, Feedback aus dem Team und von den Patienten floss unmittelbar in die Weiterentwicklung der Software ein. Dabei zeigte sich schnell: Das Potenzial geht weit über die klassische Anamnese hinaus.

Ein besonders spannender Ansatz entwickelte sich im Laufe des Projekts im Bereich der Kindervorsorge. Die sogenannten U-Untersuchungen stellen gerade Kinderärztinnen und -ärzte zunehmend vor sprachliche und kulturelle Herausforderungen. Migration, Mehrsprachigkeit und Unsicherheiten im Gespräch erschweren die Durchführung der Vorsorgeuntersuchungen erheblich. Genau hier kann unsere getestete KI einen echten Mehrwert bieten.

Die Anwendung beherrscht neun Sprachen, kann mit dem Kind altersgerecht interagieren und strukturiert durch die Inhalte der U-Untersuchung führen. Im Anschluss werden die Ergebnisse automatisch auf Deutsch für das medizinische Fachpersonal zusammengefasst – verständlich, vollständig und rechtssicher dokumentiert. Für das Team bedeutet das: weniger Missverständnisse, mehr Klarheit und vor allem mehr Zeit für die ärztliche Einschätzung.

Was zunächst als internes Pilotprojekt gedacht war, hat schnell überregionale Aufmerksamkeit erregt. Die ersten Berichte erschienen in lokalen Zeitungen, die das Thema aufgrund seiner gesellschaftlichen Relevanz und Innovationskraft aufgegriffen haben. Die Resonanz war so groß, dass sich kurze Zeit später sogar das NDR Fernsehen bei uns meldete – mit dem Wunsch, einen Beitrag über das Projekt zu drehen und damit einem noch größeren Publikum zu zeigen, wie KI im Praxisalltag heute schon konkret funktioniert.

Dieser Anwendungsfall zeigt exemplarisch, wie KI sinnvoll in medizinische Prozesse integriert werden kann. Nicht als Ersatz, sondern als Werkzeug, das unterstützt, vereinfacht und beschleunigt – und damit echte Entlastung schafft. Die digitale Begleitung von Vorsorgeuntersuchungen ist ein konkretes Beispiel dafür, wie Technologie helfen kann, Qualität zu sichern, Zugänge zu verbessern und interkulturelle Barrieren abzubauen. Ein echter Fortschritt – nicht nur für die Praxis, sondern für die Versorgung insgesamt. (Lesen Sie auch: Unzufriedenheit niedergelassener Ärzte nimmt dramatisch zu)

Impulse: Herzlichen Glückwunsch zu dieser überregionalen medialen Präsenz! Inwieweit spielt die KI – Ihrer Kenntnis nach – bereits eine Rolle beim Arztstudium oder bei der Ausbildung zum Physician Assistent?

Pschunder: Im Medizinstudium und in der Ausbildung zum Physician Assistant wird das Thema Künstliche Intelligenz bislang kaum behandelt. Viele Ärztinnen und Ärzte setzen sich erst im Berufsalltag – oft unter Zeitdruck – mit digitalen Lösungen auseinander. Das ist schade, denn KI kann Prozesse spürbar erleichtern und schafft Raum für echte Patientenzeit.

Ein Arzt muss dabei nicht alles selbst umsetzen. Entscheidend ist, dass er erkennt, welches Potenzial KI bietet, und ein Umfeld schafft, in dem Mitarbeitende Verantwortung übernehmen können. Genau hier liegt der Schlüssel: Motivierte, digital affine Mitarbeitende sind der Motor für Veränderung. Sie bringen Ideen ein, testen neue Tools und treiben Innovation im Praxisalltag voran.

Eine moderne Praxisführung heißt heute nicht, alles zu wissen – sondern die richtigen Menschen zu ermutigen. Wer Mitarbeitenden Raum gibt, KI aktiv mitzugestalten, wird nicht nur entlastet, sondern gestaltet die Zukunft der Versorgung aktiv mit.

Impulse: Kann man die Entlastung durch den Einsatz KI bei Ärzten und MFA in Zeit messen? Können Sie konkrete Fallbeispiele nennen?

Pschunder: Ja, die Entlastung durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz lässt sich ganz klar in Zeit messen – und zwar in nahezu jedem Bereich des Praxisalltags. In unserer Praxis haben wir konkrete Zahlen, die den Unterschied deutlich machen:

Ein Beispiel ist das Schreiben von Arztbriefen oder Attesten. Was vorher pro Dokument etwa 8 bis 10 Minuten gedauert hat, erledigt die KI heute in 20 bis 30 Sekunden – bei gleicher Qualität, strukturiert und fehlerfrei. Die Mitarbeitenden müssen nur noch prüfen und ggf. ergänzen. Das spart pro Tag schnell eine Stunde oder mehr, allein bei administrativen Textaufgaben.

Ein weiteres Beispiel ist der bereits angesprochene KI-gestützter Avatar im Aufnahmezimmer. Er führt eigenständig die Anamnese mit dem Patienten durch, erkennt relevante Symptome, dokumentiert strukturiert und gibt dem Praxisteam Handlungsempfehlungen wie „Urinprobe anfordern“ oder „EKG schreiben“. So ist der Patient bestens vorbereitet, bevor er überhaupt das Sprechzimmer betritt. Das spart nicht nur Zeit im Arztgespräch, sondern entlastet auch das MFA-Team, das nicht mehr jede Information mühsam selbst erheben muss.

Besonders deutlich zeigt sich der Effekt bei mehrsprachigen Patienten: Die KI kann Anamnesen in neun Sprachen führen, die Ergebnisse automatisch ins Deutsche übersetzen und damit Kommunikationsbarrieren abbauen, die sonst viel Zeit und Personal erfordern würden.

Kurz gesagt: KI ersetzt keine Menschen – aber sie gibt ihnen Zeit zurück. Und diese gewonnene Zeit fließt dorthin, wo sie am meisten gebraucht wird: in die persönliche Betreuung der Patienten.

Wie ich bereits in unserem letzten Gespräch vor einem Jahr sagte: Einfach machen, anfangen, ausprobieren. Es ist keine Raketenwissenschaft – im Gegenteil: Der Einstieg ist leichter als gedacht. Wer offen ist und sich traut, wird schnell merken, wie viel Potenzial im Alltag steckt. Mit jedem Tag entstehen neue Aha-Effekte und Ideen, wie man KI gewinnbringend in der Praxis nutzen kann.

Zum Schluss noch ein Beispiel: Eine Patientin kam mit einem Medikament aus Russland – kyrillische Schrift, keine Übersetzung. Wir machten ein Foto, ließen die KI die Inhaltsstoffe erkennen, übersetzen und gaben die Frage ein: „Welche drei gleichwertigen Medikamente gibt es in Deutschland?“ Die Antwort kam in weniger als fünf Sekunden, übersichtlich, verständlich, mit direkten Handlungsempfehlungen.

Probieren Sie es aus – Sie werden begeistert sein. Der Mehrwert ist sofort spürbar.

Impulse: Herr Pschunder, wie immer war es mir eine große Freude! Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Ich würde sagen: Bis in einem Jahr!

Pschunder: Ich freue mich!