Offensichtlich ist das Interesse des stationären Bereichs zu einer Reform der Notfallversorgung, sprich des bisherigen NotfallGesetzes (NotfallG) zu kommen, groß. So sagte der Vorsitzemde der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft (DKG) vor der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages Ende des Jahres 2024: Es könne die Notfallversorgung der Menschen in Deutschland spürbar verbessern und die Notaufnahmen entlasten. „Voraussetzung für die Entlastung der überfüllten Krankenhausambulanzen ist allerdings, dass die vorgelagerten ambulanten Versorgungsangebote durch die Kassenärztlichen Vereinigungen auch tatsächlich rund um die Uhr den hilfesuchenden Patientinnen und Patienten angeboten werden.“ (das Krankenhaus 12/2024).
Das klingt auf den ersten Blick eher nach „Verschiebebahnhof“ und weniger nach konkreter „Verbesserung“, da die DKG (bislang) gar keinen Einfluss auf das ambulante Geschehen hat. Immerhin hat die DKV im August 2025 ein eigenes Konzept „DKG-Konzept für eine Reform der ambulanten Notfallversorgung“ vorgelegt und u.a. auch Änderungsvorschläge bzgl. der Notfallbehandlung von Patienten mit keinem oder ungeklärten Versichertenstatus gemacht. Darin werden auch die Hintergründe der derzeitigen Probleme in der ambulanten Notfallbehandlung aus DKG-Sicht benannt:
- Infolge einer fehlenden Patientensteuerung suchen viele Bürgerinnen und Bürger im Notfall als erste Anlaufstelle Krankenhäuser auf.
- Aufgrund fehlender Gesundheits- und Gesundheitssystemkompetenz in der Bevölkerung, kennen Bürgerinnen und Bürger nicht alle Strukturen und können oftmals auch nicht einschätzen, ob ihr medizinisches Anliegen als dringend einzustufen ist.
- Die Patientenservicenummer 116 117, die einen wesentlichen Beitrag zur Steuerung leisten könnte, ist vielen Patienten noch immer unbekannt, mit teils langen Wartezeiten verbunden und häufig mit mangelndem Vertrauen in schnelle Hilfsangebote behaftet.
- Insbesondere für grundlegende fachärztliche Untersuchungen stehen häufig nicht genügend kurzfristige Behandlungsangebote zur Verfügung, sodass sich Patienten ohne zeitnahen Termin sich subjektiv in einer Notfallsituation befinden und Krankenhausnotaufnahmen aufsuchen. Nach einer ersten Abklärung und ggf. Erstversorgung durch die Krankenhäuser ist zudem eine Weiterbehandlung im vertragsärztlichen Bereich oftmals nicht zeitnah sichergestellt. Zumeist werden die Patientinnen und Patienten nach einer Erstversorgung in die Unsicherheit der Weiterversorgung entlassen, nicht selten erscheinen sie erneut oder suchen Hilfe an einem anderen Krankenhaus (Drehtüreffekt).
- Der EBM, auf dessen Grundlage derzeit sämtliche ambulanten Notfallleistungen der Krankenhäuser vergütet werden, berücksichtigt die besonderen Vorhaltungen und Kostenstrukturen der Krankenhäuser nicht, ebenso wenig wie die Kosten für die Leistungen der bereits beschriebenen „krankenhausspezifischen Notfallbehandlung“ – wie etwa eine notwendige Beobachtung bzw. Überwachung durch Pflegekräfte. Dies ist im EBM auch nicht vorgesehen. Dadurch verursacht die ambulante Notfallversorgung in den Krankenhäusern ein jährliches Defizit in Höhe von rund einer Milliarde Euro. Die ambulante Notfallbehandlung an Krankenhäusern muss teilweise mit knappen Ressourcen auskommen (ebenda S. 12).
Ähnliches formuliert auch der Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): „In den letzten Jahren erleben wir immer wieder, dass insgesamt der Notdienst, ob es der ärztliche Bereitschaftsdienst ist oder die Notaufnahme in den Krankenhäusern ist, nicht sachgerecht in Anspruch genommen werden. Hier muss eine bessere Steuerung her, da die Kapazitäten limitiert sind.“ (KBV/Positionen/Dossiers/Notfallversorgung 2025).
Zu den Fakten: 71,4 Prozent aller hausärztlichen Behandlungsfälle in Deutschland sind Akutfälle. Mehr als drei Viertel (über 75 Prozent) dieser Patientinnen und Patienten werden ausschließlich und abschließend in der Hausarztpraxis behandelt. Bei 32,3 Prozent der Akutfälle sind innerhalb von 14 Tagen weitere hausärztliche Kontakte notwendig, während 23,7 Prozent eine Überweisung zu einer Fachärztin oder einem Facharzt erhalten – am häufigsten in den gastroenterologischen oder orthopädischen Bereich. Nur 3,4 Prozent der akut behandelten Patientinnen und Patienten müssen stationär aufgenommen werden. Bei den 18- bis 65-Jährigen führt zudem fast jeder dritte Akutfall (29,1 Prozent) zu einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Dies sind zentrale Ergebnisse einer vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) geförderten Studie des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität zu Lübeck. Sie wurde am 1. Oktober 2025 vorgestellt (Zi, Gemeinsame Medieninformation, Berlin).
Ziel dieser Studie war es, das Inanspruchnahmeverhalten von Patientinnen und Patienten mit dringlichem Behandlungsbedarf in der hausärztlichen Versorgung zu untersuchen. Grundlage bildeten Routinedaten von mehr als 870.000 Behandlungsfällen sowie Befragungsdaten aus über 550 Konsultationen.
„Unsere Studie zeigt, dass mehr als 75 Prozent der akuten Fälle abschließend in der Hausarztpraxis behandelt werden – ohne Einweisung ins Krankenhaus oder Überweisung zum Facharzt“, erklärt Dr. Christoph Strumann vom Institut für Allgemeinmedizin an der Universität zu Lübeck.
Zi-Vorstandsvorsitzender Dr. Dominik von Stillfried betont: „Seit Jahren wird beklagt, dass sich in Notaufnahmen vielfach Patientinnen und Patienten mit nicht-dringlichen Beschwerden vorstellen und so knappe Ressourcen blockieren. Die Studie macht nun deutlich, dass die hausärztliche Versorgung einen entscheidenden Beitrag zur Entlastung leistet: Der größte Anteil der Akutfälle wird dort abschließend behandelt, und rund ein Drittel der Patientinnen und Patienten werden in der weiteren Versorgung von ihren Hausarztpraxen koordiniert.“
Gerade mit Blick auf die geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ) weist von Stillfried darauf hin: „Die politische Diskussion übersieht bisher, dass Hausärztinnen und Hausärzte bereits jetzt den größten Teil der Akutversorgung übernehmen. Würde ein relevanter Teil dieser Patientinnen und Patienten in Notaufnahmen oder INZ ausweichen, wären deren Kapazitäten sofort überlastet.“
Auch Prof. Dr. Jost Steinhäuser, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität zu Lübeck, unterstreicht die Bedeutung: „Die Ergebnisse entkräften das Missverständnis, Hausarztpraxen seien vor allem für Überweisungen zuständig. Tatsächlich leisten sie den zentralen Beitrag in der Akutversorgung. Eine Stärkung der Primärversorgung ist deshalb eine Grundvoraussetzung für ein nachhaltiges Gesundheitssystem.“
Die Dimension der Zahlen macht den Befund noch deutlicher: Wendet man den in der Studie ermittelten Anteil an Akutfällen auf die hausärztliche Versorgung hoch, werden pro Jahr rund 134 Millionen Akutfälle in Hausarztpraxen behandelt. Demgegenüber rechnen Notaufnahmen während der Sprechstundenzeiten nur etwa 4,9 Millionen Fällejährlich ab. Insgesamt ist von rund 200 Millionen Akutfällen pro Jahr in Haus- und Facharztpraxen auszugehen.
Graf von Stillfried fasst zusammen: „Die mehr als 33.000 Hausarztpraxen sind das Rückgrat der Akutversorgung in Deutschland. Im Rahmen der anstehenden Notfallreform sollten daher nicht neue Strukturen geschaffen, sondern bestehende sinnvoll miteinander verzahnt werden.“
Allerdings, so unser Eindruck, geht es wiederum schlichtweg (nur) um die Finanzierung der Notfallversorgung, unabhängig davon woher die benötigten Kapazitäten (ambulant/stationär: Ärztemangel, Fachkräftemangel usw.) kommen sollen.
Die KBV fokussiert dazu ihre Standpunkte im Rahmen der anstehenden Reform des NotfallG:
- Steuerung der Patientinnen und Patienten: bewährte Strukturen stärken und ausbauen
- Kooperation mit dem stationären Sektor
- Kein dritter Versorgungssektor erforderlich
- Keine Sozialversicherungspflicht für Niedergelassene im Bereitschaftsdienst
- Chancen der Digitalisierung nutzen (Quelle: KBV, ebenda 2025).
Anmerkung: Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) ist das Forschungsinstitut der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in der Rechtsform einer Stiftung des bürgerlichen Rechts. Es wird finanziert durch jährliche Zuwendungen der KVen. Die Forschungsarbeiten und Studien des Zentralinstituts beschäftigen sich vorwiegend mit der vertragsärztlichen Versorgung unter Nutzung der von den Trägern dafür zur Verfügung gestellten Routinedaten.

