Zehn Jahre Aufbruch – Wie aus Resignation wieder Gestaltung wurde (2015–2025)

Wenn wir heute, zum ausgehenden Geschäftsjahr 2025, auf die vergangenen zehn Jahre zurückblicken, wird eines besonders deutlich: Diese Dekade war eine Zeit des Umbruchs, der Unsicherheit – aber auch des wachsenden Mutes. Warum gerade zehn Jahre? Weil seit 2015 Kommunen erstmals ausdrücklich die Möglichkeit erhielten, selbst Träger Medizinischer Versorgungszentren zu sein. Was damals wie eine abstrakte gesetzliche Option wirkte, ist heute vielerorts gelebte Realität.

Der Hausärztemangel hatte in einzelnen Regionen schon vor 2010 begonnen. Leise, schleichend, oft verdrängt. Aber nie gleichzeitig, nie unter gleichen Bedingungen. Jede Kommune stand vor ihrer ganz eigenen Gemengelage. Und doch verband sie eines: das wachsende Gefühl, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten war. Als dann 2015 die gesetzliche Grundlage für kommunale MVZ geschaffen wurde, blieb dies zunächst weitgehend unbeachtet. Im politischen Alltag ging sie unter, in den Medien fand sie kaum Widerhall. Dabei war der strukturelle Mangel längst absehbar: sinkende Studienplatzkapazitäten, überalternde Ärzteschaften, veränderte Lebensentwürfe der jungen Generation.

Wir selbst hatten diese Entwicklung bereits Jahre zuvor kommen sehen. In unseren Analysen, in Gesprächen vor Ort, in den Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigungen. Doch zwischen Wissen und Handeln lag ein weiter Weg. In vielen Kommunen begann zunächst ein leises, später offenes Ringen um Zuständigkeiten. Wer ist verantwortlich? Wer muss handeln? Wer kann überhaupt etwas tun?

2015 begannen wir, gemeinsam mit ersten Landkreisen die Versorgungslage systematisch zu erfassen. 2016 folgte der erste große Workshop in Bad Birnbach. Bürgermeister, Landräte, Verwaltungsmitarbeiter – viele kamen mit Skepsis, manche mit Hoffnung, fast alle mit Unsicherheit. Damals war bereits spürbar: Der Wille zur Lösung war da, doch der Mut zur eigenen Rolle fehlte oft noch. Und auch auf ärztlicher Seite überwogen Zurückhaltung und Distanz.

Die Jahre 2017 und 2018 brachten erste kleine Fortschritte. Gespräche wurden sachlicher, die Bereitschaft zur Kooperation wuchs langsam. Doch noch fehlte vielerorts der entscheidende Impuls. Viele Initiativen versandeten zwischen guten Absichten und strukturellen Hürden. Der eigentliche Wandel setzte erst einige Jahre später ein – beinahe unmerklich, dafür umso nachhaltiger.

Plötzlich änderte sich der Ton. Die Telefonate häuften sich. Praxisinhaber, die früher abwehrend reagierten, meldeten sich nun selbst. Der Generationswechsel wurde spürbar. Junge Ärztinnen und Ärzte wollten nicht mehr allein kämpfen. Sie suchten Sicherheit, Zusammenarbeit, Planbarkeit. Die klassische Einzelpraxis verlor an Strahlkraft. Anstellung, Teamarbeit und eine verlässliche Balance zwischen Beruf und Leben traten an ihre Stelle.

Parallel dazu wuchsen die Kommunen in eine neue Rolle hinein. Spätestens ab den frühen 2020er Jahren wurde klar: Abwarten reicht nicht mehr. Ärzte suchen alleine reicht nicht mehr. Viele Gemeinden begannen, erstmals strukturiert über ihre Verantwortung in der Daseinsvorsorge nachzudenken. Machbarkeitsuntersuchungen, Arbeitskreise, Wirtschaftsförderungen – Werkzeuge, die vorher kaum genutzt worden waren, wurden nun selbstverständlich. Der Blick richtete sich nach vorne, nicht mehr nur auf akute Notlagen.

Die Corona-Jahre beschleunigten diesen Prozess weiter. Digitale Workshops öffneten neue Räume. Hunderte von kommunalen Entscheidern und Ärzten tauschten sich aus, lernten voneinander, entwickelten gemeinsam Ideen. Das kommunale Medizinische Versorgungszentrum, lange nur eine theoretische Möglichkeit, wurde nun zur konkreten Option. Nicht immer als erster Weg, aber immer häufiger als tragfähiger Plan B – und manchmal auch als mutiger Neustart.

Heute, zehn Jahre nach den ersten zaghaften Schritten, hat sich das Bild grundlegend gewandelt. In allen Bundesländern sind Kommunen aktiv geworden. Förderprogramme unterstützen die Vorhaben. Und vor allem: Ärzte und Kommunen begegnen sich vielerorts auf Augenhöhe. Nicht mehr als Gegner in Zuständigkeitsfragen, sondern als Partner in einer gemeinsamen Verantwortung.

Mehr als fünf Dutzend kommunale Medizinische Versorgungszentren sind inzwischen entstanden. Jedes einzelne davon ist das Ergebnis von Mut, von Durchhaltevermögen – und von der Entscheidung, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Auch wenn manche politischen Konzepte der vergangenen Jahre, wie etwa die groß angekündigten Gesundheitskioske, hinter den Erwartungen zurückblieben: Die eigentliche Bewegung vollzog sich leise, vor Ort, Schritt für Schritt.

Und so schauen wir heute nicht nur zurück, sondern auch nach vorne. Bis 2035 könnten es Hunderte von kommunalen MVZ werden. Nicht als Selbstzweck, sondern als Ausdruck eines neuen Verständnisses von Verantwortung in der medizinischen Versorgung.

Zehn Jahre nach Beginn dieses Weges lässt sich sagen: Aus Resignation ist Gestaltung geworden. Aus Ohnmacht ist Initiative gewachsen. Und aus einer gesetzlichen Möglichkeit ist vielerorts eine echte Chance entstanden.

Gehen wir diesen Weg mit Zuversicht weiter – in das Jahr 2026 und darüber hinaus.