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Mangel bei Physiotherapeuten verschärft sich

Physiotherapeuten Mangel

Physiotherapeuten Mangel

Physiotherapeutische Versorgungssituation in Deutschland

Die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen beliefen sich laut Heilmittelbericht 2017 (Hrsg. Wissenschaftliches Institut der AOK) im Jahr 2016 insgesamt auf 223 Mrd. Euro. Der Anteil der Ausgaben für Heilmittelleistungen lag bei 6,5 Mrd. Euro (2,9 Prozent), wobei Leistungen der Physiotherapie den größten Anteil darstellen. Eine Zunahme von Leistungen aus dem Heilmittelkatalog der Physikalischen Therapie in Deutschland konnte bereits in den Vorjahren festgestellt werden, ebenso eine auf das Bundesgebiet bezogene heterogene Versorgungssituation. Gemäß neuesten BA-Analysen beträgt die derzeitige Vakanzzeit einer freien Stelle 157 Tage, 13 Tage länger als noch bei der letzten Analyse. Bedingt durch einen bereits existierenden Fachkräftemangel erscheint eine Zunahme von Leistungen fragwürdig und regionale Versorgungsdefizite mittelfristig absehbar. (Lesen Sie auch: Landarztmangel: Immer mehr Apotheken müssen schließen)

Versorgungssituation 2026 – Eine Prognose

Christian Kopkow von der Hochschule für Gesundheit in Bochum und Sandra Garsch von der Dresden International University analysierten die Leistungen des Heilmittelkataloges der Physikalischen Therapie Im Beobachtungszeitraum 2007 bis 2016. Um Informationen zur Versorgung abzubilden, wurde das frei zugängliche Heilmittel-Informations-System des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-HIS) herangezogen. Zur Datengewinnung wurden sowohl die Berichte der einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen als auch der Bundesbericht genutzt und Informationen zu Leistungen der Physikalischen Therapie für den Zeitraum 2007 bis 2016 extrahiert. Für die Prognose der Inanspruchnahme an Verordnungsblättern bis 2026 wurden die Absolutwerte der Gesamtverordnungsblätter pro Jahr im Beobachtungszeitraum extrahiert.

Die Ergebnisse im Überblick

Folgendes stellten Kopkow und Garsch in ihren Analysen fest: „[Es] konnte eine Zunahme der Inanspruchnahme von physiotherapeutischen Leistungen aus dem Heilmittelkatalog sowie eine heterogene Versorgungssituation in Deutschland festgestellt werden. Für die Anzahl der ausgestellten Verordnungsblätter zeigte sich ein Anstieg von 26.717.607 (2007) auf 31.475.424 (2016) im Beobachtungszeitraum. Auch für die Bruttoumsatzquote konnte ein Anstieg von 43.481 € je 1.000 GKV Versicherte (2007) auf 65.115 € je 1.000 GKV Versicherte (2016) identifiziert werden.“

Und weiter: „Sachsen zeigte sich über den gesamten Beobachtungszeitraum als das Bundesland mit der höchsten Inanspruchnahme an Verordnungen je 1.000 GKV Versicherte (Jahr 2007: 535; Jahr 2015: 626). In Nordrhein-Westfalen (2007: 250; 2016: 351) und Hessen (Jahr 2007: 321; Jahr 2016: 373) ist gleichbleibend die geringste Inanspruchnahme an Verordnungen je 1.000 GKV Versicherte im Beobachtungszeitraum erkennbar.“

Nettomehrbedarf an Physiotherapeuten bis 2026: 53.521

„Bis 2026 wurde ein kontinuierlicher Anstieg der Verordnungsblätter und des Bruttoumsatzes […] anhand der vorliegenden Daten berechnet. Dabei könnte bis 2026 mit einem Anstieg der Verordnungsblätter um ca. 26% und für den Bruttoumsatz […] um 63% im Vergleich zum Referenzjahr 2015 gerechnet werden. Um die prognostizierte steigende Inanspruchnahme der Verordnungen in der therapeutischen Versorgung langfristig sicherzustellen, könnten im Jahr 2026 schätzungsweise 53.521 mehr Therapeuten als noch 2015 benötigt werden (Anstieg um 23 %).“ Zum Vergleich: Zum Stichtag 31. März 2018 gab es im Bundesgebiet 150.904 Beschäftigte im Bereich Physiotherapie.

Um die steigende Inanspruchnahme von Leistungen aus dem Heilmittelkatalog der Physikalischen Therapie in Deutschland sicherzustellen, muss der Untersuchung zufolge ermittelt werden, ob und wenn ja, in welchen Bereichen Über-, Unter– oder Fehlversorgung existieren. (Lesen Sie auch: Der alte Arzt hat ausgedient – der Ärztemangel und die Generation Y)

Viel Arbeit, wenig Geld

So beschreiben immer mehr Physiotherapeuten ihre berufliche Situation. Eine höhere Leistungsvergütung seitens der Krankenkassen wird gefordert. Die Unzufriedenheit ist groß, viele Physiotherapeuten suchen sich deshalb einen anderen Job und wechseln in andere Branchen. Dabei wird der Bedarf bei einer immer älter werdenden Bevölkerung stets größer. Therapeutische Fachkräfte werden werden dringend gebraucht. Die Aufenthaltsdauer eines Patienten nach einer Operation im Krankenhaus hat in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen, auch die Reha-Zeit werden oft kürzer. Das Behandlungspensum müssen dann die Physiotherapeuten auffangen.

Hinzu kommt die schlechte Bezahlung: Ein Physiotherapeut verdient in Bayern in Vollzeit durchschnittlich 2.306 Euro. Zum Vergleich: Ein Krankenpfleger kommt auf durchschnittlich 3.313 Euro. Die dreijährige Ausbildung an Berufsfachschulen (zum geringen Teil an Hochschulen) kostet je nach Schule bis zu 20.000 Euro. Ein Medizinstudium wäre gratis. Es ist daher nicht verwunderlich, dass einer aktuellen Umfrage der Hochschule Fresenius zu Folge 60 Prozent der Beschäftigten in therapeutischen Berufen darüber nachdenken ihren Job aufzugeben.

Bayern ist Schlusslicht

Bayern ist hinsichtlich der physiotherapeutischen Versorgung in der Fachkräfte-Engpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit tief rot. Gefolgt von Bundesländern wie Thüringen und Nordrhein-Westfalen. Die Arbeitslosenquote in dem Beruf bundesweit liegt bei 0,9 Prozent. Im Freistaat blieben 2017 offene Stellen rechnerisch 159 Tage frei – noch mehr als im Bundesschnitt.

Auf der Jahreshauptversammlung 2018 des Landesverbands von „Physio Deutschland“, nach eigenen Angaben größte Interessensvertretung deutscher Physiotherapeuten, wird die Unzufriedenheit sichtbar. Die Lage sei, so heißt es aus dem Büro des Landeschefs Markus Norys, „für unsere teilweise schwerstkranken Patienten untragbar: Sie müssen wochenlang auf Termine warten, die Kapazitäten für Hausbesuche gehen gegen Null – und das, obwohl viele Therapeuten weit mehr als 40 Stunden pro Woche an der Bank stehen“. Schlimmstenfalls müssen Patienten sich mangels Therapeuten operieren lassen, heißt es.

Angehende Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Podologen und Logopäden sollen daher für ihre Ausbildung in Bayern künftig kein Geld mehr bezahlen müssen. Als erstes Bundesland will der Freistaat das Schulgeld für diese Berufsausbildungen abschaffen. Das hat das Kabinett vergangenen September in München beschlossen, im Beisein von Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU). Grund sind der Fachkräftemangel und Nachwuchsprobleme in diesen Berufsfeldern.

Damit werden die Auszubildenden um mehrere Tausend Euro entlastet: Bis zu 25.000 Euro kostet nach Angaben von Bayerns Ge­sund­heits­mi­nis­terin Melanie Huml (CSU) derzeit eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. „Das ist ein ganz wichtiges Signal“, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach der Kabinettssitzung in München. Er sprach von Kosten von 13 Millionen Euro pro Schuljahr. Das Schulgeld soll ab dem zweiten Schulhalbjahr 2018/19 entfallen. Söder betonte: „Damit wird die Ausbildung attraktiver und die Nachwuchsgewinnung in diesen für die Gesundheitsversorgung wichtigen Berufen deutlich erleichtert.“

Bundesregierung bezeichnet Versorgungslage als „stabil“

Bei der flächendeckenden Sicherstellung hinsichtlich der physiotherapeutischen Versorgungssituation sieht die Bundesregierung gemäß einem Bericht der Ärztezeitung (August 2018) weiter die Kassen in der Pflicht. Es gebe „keine belastbaren Informationen“, dass Anmeldungen zu den Schulen für die Gesundheitsfachberufe rückläufig sind.

Unterdessen weiß die Regierung wenig bis gar nichts über die Entwicklung der Schüler- und Studierendenzahlen zu berichten. Aus den Angaben im Berufsbildungsbericht geht lediglich hervor, dass die Schülerzahlen in der Physiotherapeuten-Ausbildung von 25.807 (2007/08) auf 21.812 (2016/17) gesunken sind.

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.