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Kommunale Möglichkeiten zur Lösung des Ärztemangels auf dem Land

Gründung kommunaler MVZ

Immer wieder werden wir von Kommunen gefragt, welche Möglichkeiten sie denn haben einen bereits heute erkennbaren künftigen Ärztemangel in ihrer Gemeinde abzuwenden. Dabei stoßen wir insgesamt auf ein recht unterschiedliches Gesamtbild. Die Spannweite reicht von Bürgermeistern, die sich im intensiven Austausch mit Ärzten befinden, über Bedarfsplanungsexperten bis hin zu Frustrierten. Letztere sprechen von teilweise wenig hilfreichen Kontakten zu der jeweils zuständigen KV (Kassenärztlichen Vereinigung) und vom Gefühl mit den Ärzten nicht „an einem Strang zu ziehen“. (Lesen Sie auch: Immer mehr Land-Apotheken müssen schließen)

Abbildung 1: Engagement-Stufen und Rollen von Kommunen bei der Sicherung der ärztlichen Versorgung

Auch der kommunalrechtliche Aspekt verunsichert etliche Bürgermeister, z.B. wenn der Bayerische Gemeindetag davon abrät, sich ggf. an einem kommunalen MVZ zu beteiligen, gleichzeitig jedoch seitens des Bayerischen Ministeriums für Gesundheit und Pflege Rückendeckung signalisiert wird. Die Gründung eines kommunalen Medizinischen Versorgungszentrums stellt jedoch nur das „i-Tüpfelchen“ der Möglichkeiten dar, das die Kommunen haben, um die ärztliche Versorgung nachhaltig sicherzustellen.

Übergreifend kann man hier von vier Stufen des Engagements sprechen. Die von der jeweiligen Kommune eingeschlagenen Lösungswege sind dabei abhängig von den vorliegenden Rahmenbedingungen. (Lesen Sie auch: Der alte Arzt hat ausgedient)

Engagement Stufe 1: Kommune als Initiator und loser Unterstützer

Die erste Stufe dieses Engagements kann man mit „Informations- und Arztsuche“ betiteln (vgl. Abbildung 1). Dies bedeutet nichts anderes, als dass sich kommunale Vertreter mit dem Thema auseinandersetzen. Unserer Erfahrung nach sind dies neben den Bürgermeistern meist noch ein oder zwei Stadt- / Gemeinderatsmitglieder, die entweder selbst Ärzte bzw. Zahnärzte sind oder durch ihren Verwandtschafts- oder Freundeskreis engeren Bezug zum Thema haben bzw. die Geschäftsleiter. Mit wachsendem Markt- und damit Problemverständnis entsteht bei diesen engagierten Kommunen in dieser ersten Phase immer das Bewusstsein hier in der Verantwortung zu stehen. Als Initiator und aufmerksamer Begleiter und Unterstützer kommt dabei der Kommune die Rolle des „Watch dogs“ zu, damit die einmal angelaufenen Aktivitäten nicht wieder versanden.

Konnten Kommune und lokal niedergelassene (Zahn-)Ärzte ein gemeinsames Verständnis aufbauen, engagieren sie sich gemeinsam bei der Arztsuche und Nachfolger-Gewinnung. In etlichen Fällen ergreift die Kommune unterstützend selbst die Initiative einen neuen oder Nachfolgearzt zu suchen. Dabei stellt sich immer die Frage: machen wir es selbst oder übergeben wir die Aufgabe einem Experten (make or buy)? Da aktuell die klassische Arztsuche über Weiterbildungsverbünde, KV-Arztbörsen oderAnzeigen kaum mehr ausreicht und auch die Möglichkeiten einer Niederlassung, Anstellung oder Förderung immer komplexer werden, empfiehlt sich bereits hier immer mehr die Einschaltung eines externen Dienstleisters, der neben zusätzlichen Akquisitions- und Ansprachestrategien auch das notwendige Know-how im Bereich der Niederlassungsregularien der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung mitbringt.

Wichtig für den Erfolg ist dabei, dass bereits der erste Ansprechpartner, den ein potentieller Nachrückerarzt erreicht, dessen Fragen umfänglich beantworten kann. Verweise auf einen Kollegen, der zurückruft oder Hinweise, dass dieses oder jenes noch geklärt werden muss, setzen meist einen Schlussstrich. Neben konkreten Fragen der Niederlassung oder Anstellung, KV-Regularien und Arztsitzübernahmen stehen auch Fragen zu Mietpreisen oder qm-Preisen, Förderungen durch Kommune, das Patienten-Einzugsgebiet, ÖPNV-Erreichbarkeiten, Baugrundstücke, Kindergarten und Schulen im Mittelpunkt.

Hierbei ist zu beachten, dass aktiv suchende Nachfolgeärzte sich meist ihrer „Nachfragemacht“ vollends bewusst sind.

Engagement Stufe 2: Kommune als Vermieter oder Investor

Im Vorfeld der Gewinnung eines Nachwuchsmediziners, gleich ob als Praxisnachfolger, Angestellter oder in einem Gesundheitszentrum Niedergelassener, sind Fragen hinsichtlich der Förderung durch die Kommune zu erörtern. Bei der Neuniederlassung von (Zahn-)Ärzten kann dies z.B. die Vermietung von Praxisräumen im kommunalen Immobilienbesitz sein. Hierbei kommen entweder eine Mietminderung oder gar eine Mietfreiheit in der Startphase als unterstützende Maßnahmen zur Gewinnung eines Mediziners in Frage. Ist der Ausbau einer bestehenden Arztpraxis zu einer Mehrbehandlerpraxis geplant, kommt häufig die Frage nach Wohneigentum auf. In etlichen Kommunen kann diese über das sogenannte Einheimischenmodell positiv für den Arzt beantwortet werden.

Gleichzeitig muss die Kommune auch ihre jeweiligen Stärken darstellen und kommunizieren. Dies können Kindergarten / Schulen / Hortbetreuung (= für Interessenten mit Familie), weitere Arbeitgeber am Ort (= Arbeitsplatz für Partner), Einzugsgebiet (= Patientenanzahl), weitere Ärzte am Ort (= kollegialer Austausch), attraktives landschaftliches und kulturelles Umfeld sowie die Nähe und Erreichbarkeit eines Mittelzentrums sein. Diese weichen Faktoren sind häufig entscheidender Faktor im Wettbewerb der Kommunen untereinander.

Sehr häufig werden die Kommunen in ihrer Rolle als Vermieter oder Investor auch für Zwischenlösungen gebraucht. Diese sind oftmals beim Aufbau von Mehrbehandlerpraxen zur langfristigen Sicherung der ärztlichen Versorgung notwendig, da die Fertigstellung des Neubaus und gewünschter Niederlassungszeitpunkt interessierter Ärzte häufig nicht übereinstimmen. Die bestehenden (Einzel-) Praxen reichen räumlich für zwei oder mehr Ärzte nicht aus, das Gesundheitszentrum ist noch nicht fertig. Was also tun? Hier kann und muss die Kommune mit Zwischenlösungen einspringen. Sie spricht in dieser Rolle Hausbesitzer, Geschäftsleute oder beispielsweise Sparkassen und VR-Banken an, finanziert ggf. einen notwendigen Umbau oder stellt im „schlimmsten Fall“ Container zur Verfügung.

Engagement Stufe 3: Nachhaltige Kommunalentwicklung durch ein schlüssiges Versorgungskonzept

Gestalten sich die lokalen Rahmenbedingungen etwas schwieriger, sind mehrere niedergelassene (Zahn-)Ärzte einzubeziehen bzw. soll das Thema ärztliche Versorgung in ein kommunales Entwicklungsprojekt eingebunden werden, ist ein umfassenderes Konzept notwendig. Niedergelassene (Zahn-)Ärzte vor Ort müssen ebenso eingebunden werden wie (Zahn-)Ärzte aus der näheren und weiteren Umgebung. Diese Transparenz der Ist-Situation schafft zusammen mit den formalen Möglichkeiten der ärztlichen Versorgung (Anm.: Kassenärztliche Vereinigung) die Grundlage für die konzeptionelle Planung. Im Fokus stehen dabei regelmäßig Mehrbehandlerpraxen, d.h. größere Praxiseinheiten. Diese können rein lokal aber auch überörtlich sein und bieten auf jeden Fall immer auch Angestelltenmöglichkeiten. Unserer Erfahrung nach ergeben sich für jede Kommune zwei bis drei mögliche Szenarien mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Dabei können durchaus weitere Gesundheitsanbieter / Therapeuten und Apotheken eingebunden werden.

Diesen Prozess zu moderieren bzw. ihn anzustoßen und als Treiber mitzugestalten ist häufig Aufgabe der betroffenen Gemeinde oder Stadt. Die einzelnen (ärztlichen) Akteure sind meist zu sehr im Alltagsgeschäft verhaftet oder der Gedanke an ein Aufhören ist noch zu weit entfernt, als dass mittel- oder langfristig anzugehende Lösungen im Fokus stehen. Erfahrungen aus durchgeführten Projekten zeigen, dass Engagements von Kommunen in dieser Form nahezu immer zum Erfolg führen. Die zugewiesene Seriosität kommunalen Handelns spricht bereits niedergelassene und auch neue Ärzte an und führt jeweils zu einer konstruktiven und für alle Beteiligten passenden Lösung. Dabei ist es Kommunen dringend abzuraten die Funktion als Moderator oder Treiber selbst zu übernehmen. Dagegen sprechen u.a. die hohe Komplexität der KV-rechtlichen Handlungsmöglichkeiten, der recht hohe zeitliche Einsatz und auch die Tatsache, dass (politische) Funktionsträger bzw. kommunale Mitarbeiter aus Sicht der ärztlichen Akteure weder die notwendige Kompetenz mitbringen noch neutral sind. Bei einem Engagement dieser dritten Stufe ist ein „make“ daher nahezu ausgeschlossen.

Engagement Stufe 4: Kommune als Gesundheitsversorger

Abbildung 2: MVZ nach Facharztgruppen Quelle: KBV, Medizinische Versorgungszentren aktuell

Der höchste Grad eines kommunalen Engagements zum Thema ist die Übernahme eines Versorgungsauftrags durch die Kommune. Bereits früher war es Kommunen erlaubt einen Arztsitz zu kaufen und einen Arzt hierfür anzustellen. In Zeiten des Ärztemangels und der Unattraktivität von Einzelpraxen für junge Ärzte stellt dies jedoch keine Lösung mehr dar. Wollen Kommunen über einen eigenen Versorgungsauftrag die ärztliche Versorgung nachhaltig sichern, kommen sie um Mehrbehandlerpraxen nicht herum. Hierbei haben sie seit 2015 formal die Wahl zwischen Regiebetrieb, Eigenbetrieb, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR), Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) oder einer (g)Gmbh. Letztere bietet sich vor allem dann an, wenn die Kommune nicht alleine als Gesellschafter auftreten möchte, sondern z.B. niedergelassene Ärzte oder Kliniken mit Versorgungsauftrag einbeziehen will. Kommunalrechtlich fallen hausärztliche MVZ unter den pauschalen Versorgungsauftrag der Kommunen. Hausärzte stellen zudem innerhalb der aktuell bestehenden 2.821 MVZ (Stand 2017) die Mehrheit.

In jedem Fall unterwirft sich die Kommune mit der Übernahme eines eigenen Versorgungsauftrags auch dem SGB. Dies bedeutet auch, sie muss ebenso wie alle niedergelassenen Vertragsärzte, eine (persönliche) Bürgschaft gegenüber der KV ablegen. Hier stoßen damit SGB und Kommunalrecht aufeinander. Gerade diese Bürgschaft war zu Beginn häufig Grund, dass Kommunen zögerten ein kommunales MVZ zu gründen. Für diese selbstschuldnerische Bürgschaft war die Zustimmung der Kommunalaufsicht notwendig. Das neue TSVG (Terminservice- und Versorgungsgesetz) stellt hier nochmals klar, dass auch Sicherheiten nach § 232 BGB (wie z.B. Grundstücke) gleichwertig gegeben werden können.

Damit wird der Weg für die Kommunen zur Gründung eines eigenen MVZ durch das Bundesrecht nochmals erleichtert. Derzeit gibt es bereits ein Dutzend solcher Medizinischer Versorgungszentren in (teilweise) kommunaler Hand. Ernsthafte Schätzungen müssen von derzeit bundesweit rund 50 in Planung befindlichen kommunalen MVZ ausgehen. Bis zum Jahr 2025 rechnen die Autoren mit einer Anzahl im oberen dreistelligen Bereich. (Lesen Sie auch: Niedersachsens erstes kommunales Medizinisches Versorgungszentrum geht an den Start)

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.