Mario Pschunder, selbstständiger Berater für Arztpraxen im Interview mit Impulse über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Bereich der ambulanten Versorgung.
Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.
Impulse: Herr Pschunder, Sie haben nach 20-jähriger Führungsverantwortung im Bereich IT und Prozessoptimierung in einem international agierenden Unternehmen, 2020 die Praxisgründung Ihrer Ehefrau mit begleitet. Haben Sie bereits bei Gründung Wert auf die Implementierung von möglichst digitalen Strukturen gelegt? Welche waren dies vorrangig? (Lesen Sie auch: Bis 2030 fehlen 50.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland)
Pschunder: Ja, definitiv. Ein Hauptaugenmerk haben wir auf die Auswahl der Praxissoftware gelegt. Aus meiner langjährigen Tätigkeit im IT-Bereich habe ich die Erfahrung gemacht, dass man bei der Auswahl der richtigen Software unbedingt folgende Punkte beachten sollte: Referenzen im Internet, ein größeres Team beim Anbieter, um Support und Weiterentwicklung zu garantieren, und ganz wichtig, Zusatzmodule, die angeboten werden, wie Online-Terminbuchung, Patienten-App zur Kommunikation zwischen Arztpraxis und Patient, HZV-Einschreibung, Online-Integration des Labors und vieles mehr. Es ist wichtig, alles von einem Hersteller zu nehmen, da die Erfahrung immer wieder zeigt, dass Schnittstellen Probleme machen können und niemand dafür verantwortlich sein will, wenn es mal nicht funktioniert. So haben wir auch vom gleichen Anbieter die TI-Anbindung gewählt, damit alles bestens zusammenläuft. Im Nachhinein war diese Entscheidung richtig, denn wir waren die Ersten, die reibungslos E-Rezepte ausstellen konnten und auch bei der COVID-19-Impfung alle Termine ausschließlich online angeboten haben.
Hinsichtlich der medizinischen Geräte wie Sonographie, EKG oder Lungenfunktion war es uns besonders wichtig, dass diese eine zertifizierte GDT-Schnittstelle haben, damit die Daten direkt in das Programm übertragen werden und kein Papier verursacht wird. Diese digitale Integration sorgt nicht nur für einen reibungslosen Ablauf im Praxisalltag, sondern auch für eine erhebliche Zeitersparnis und mehr Fokus auf das Wesentliche – die Patientenbetreuung.
Ein weiterer wichtiger Aspekt war der gesicherte E-Mail-Verkehr und eine gesicherte Internetverbindung. Diese sind unerlässlich für die Anwendung von KI und die Recherche im Internet. Mit der richtigen Firewall und einem verlässlichen Virenscanner stellen wir sicher, dass alle Daten geschützt und die Systeme gegen Angriffe abgesichert sind. So gewährleisten wir nicht nur die Sicherheit der sensiblen Patientendaten, sondern auch die Effizienz und Zuverlässigkeit der täglichen Arbeitsprozesse in der Praxis.
Impulse: Die Einführung des Large Language Model (LLM) ChatGPT im November 2022 hat innerhalb kürzester Zeit ein Füllhorn neuer Potenziale geschaffen. Haben Sie Künstliche Intelligenz (KI) bereits in der allgemeinmedizinischen Arztpraxis Ihrer Ehefrau implementiert? Woher kam der Impuls hierfür?
Pschunder: Die Frage, ob KI eingesetzt werden sollte, stellt sich in allen Lebensbereichen nicht mehr, sondern nur noch, wie und wann. Wir nutzen seit etwa vier Monaten die KI, um Arztbriefe, Kuranträge, Atteste, Reha-Anträge und auch Anfragen an Krankenkassen zu schreiben, aber auch, um Medikamente aus dem Ausland zu identifizieren, die in Europa nicht verfügbar sind. Spaßeshalber haben wir mal die Leitlinie zur Behandlung von Akne von 95 Din-A4-Seiten auf 2 Din-A4-Seiten zusammenfassen lassen, mit dem Fokus darauf, was rechtlich zu beachten ist, wenn Isotretinoin verordnet werden soll. Die Antwort war in 2 Sekunden da, ohne die Leitlinie komplett lesen zu müssen.
Der Impuls hierfür kam aus der Notwendigkeit, administrative Aufgaben effizienter zu gestalten und gleichzeitig die Qualität und Präzision der Informationen zu erhöhen. KI ermöglicht es uns, wertvolle Zeit zu sparen, die wir dann direkt in die Patientenversorgung investieren können. Diese neuen Technologien bieten ein enormes Potenzial, um den Praxisalltag zu revolutionieren und die medizinische Versorgung weiter zu optimieren.
Impulse: Da stimme ich Ihnen zu, innerhalb unseres Unternehmens setzen wir seit rd. drei Monaten verstärkt auf KI. Es ist erstaunlich wie schnell das System dazu lernt. Wie hoch schätzen Sie den Implementierungsaufwand von KI in den Regelbetrieb einer Arztpraxis ein? Ist das Ausmaß der möglichen Nutzung von KI in der Arztpraxis abhängig von der Facharztgruppe?
Pschunder: Nein, es ist nicht von der Fachgruppe abhängig. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in anderen Fachgruppen bereits gute Möglichkeiten gibt, gerade beim Hautkrebsscreening oder in der Radiologie, wenn es darum geht, Bilder auszuwerten. Ich kann jeden Mediziner nur dazu animieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wenn man erst einmal angefangen hat, steigt die Begeisterung täglich aufgrund der Möglichkeiten, die sich ergeben. Auch unsere Mitarbeiter sind hellauf begeistert. Der Implementierungsaufwand geht gegen null – bei einer erheblichen Arbeitserleichterung für alle Mitarbeiter.
Es wird lediglich ein Internetanschluss und ein KI-Programm benötigt. Wir nutzen Copilot von Microsoft und ChatGPT. Beide Programme gibt es in einer kostenlosen Version, die schon sehr viel kann. Wir haben uns jedoch für die kostenpflichtige Version von 20 Dollar im Monat entschieden, die noch genauer recherchiert. Hinzu kommt eine kurze Einweisung des Praxisteams von 20 Minuten. Danach ist das Grundverständnis da. Ich sehe täglich, dass alle Kollegen das eine oder andere Neue ausprobieren und die Ergebnisse unschlagbar sind. Briefe, die vorher 10 Minuten gedauert haben, sind nun in 20 Sekunden fertig. Im neuen Apple-Update sollen ab Herbst dieses Jahres alle Geräte ChatGPT kostenlos erhalten, was einen weiteren Hype für die KI geben wird und den Zugang für viele Menschen noch leichter macht.
Diese Erfahrungen zeigen, dass der Einstieg in die Nutzung von KI in der Arztpraxis nicht nur einfach, sondern auch äußerst lohnenswert ist. Es bietet eine erhebliche Zeitersparnis und verbessert die Effizienz im Praxisalltag enorm.
Impulse: Wo sehen Sie das höhere Potential beim Einsatz der KI? Bei den Ärzten oder den Mitarbeitern? Können Sie uns von einem konkreten Beispiel berichten, in dem die Implementierung von KI in einer Praxis einen positiven Unterschied gemacht hat?
Pschunder: Es gibt keinen direkten Unterschied, lediglich in den unterschiedlichen Aufgaben. Die MFA nutzen es mehr, um Briefe zu schreiben, und meine Frau als Ärztin, um vielleicht ein Medikament zu identifizieren. In einem konkreten Beispiel kam eine russischsprachige Patientin mit einem russischen Medikament in der Hand, dessen Aufschrift ausschließlich in Kyrillisch war. Wir haben ein Bild vom Medikament gemacht und dieses Bild in der KI hochgeladen und folgende Frage eingegeben: „Bitte übersetze die Inhaltsstoffe und zeige mindestens drei Medikamente, die in der gleichen Zusammensetzung in Deutschland verfügbar sind.“ In 2 Sekunden hatten wir die Antwort! Natürlich musste noch geprüft werden, ob das deutsche Medikament zum Krankheitsbild passt, aber es war eine erhebliche Erleichterung bei der Recherche.
Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie vielseitig KI in einer Praxis eingesetzt werden kann und welche positiven Unterschiede sie bewirken kann. Sie erleichtert nicht nur den Arbeitsalltag der Mitarbeiter erheblich, sondern unterstützt auch die Ärzte bei komplexeren Aufgaben. Die Effizienz und Präzision, die durch den Einsatz von KI erreicht werden können, sind beeindruckend und tragen wesentlich zur Optimierung der Praxisabläufe bei.
Impulse: Liegt der Nutzen der KI in der Arztpraxis in der Zeitersparnis beim Arzt oder in der Qualitätssteigerung der Behandlung?
Pschunder: Der Nutzen der KI in der Arztpraxis liegt sowohl in der Zeitersparnis für den Arzt als auch in der Qualitätssteigerung der Behandlung. Beide Aspekte sind eng miteinander verknüpft und ergänzen sich gegenseitig.
Durch die Zeitersparnis, die KI bietet, können Ärzte und Mitarbeiter administrative Aufgaben schneller und effizienter erledigen. Beispielsweise können Arztbriefe in Sekunden verfasst und Medikamente aus dem Ausland schnell identifiziert werden. Dies ermöglicht es dem medizinischen Personal, mehr Zeit direkt in die Patientenbetreuung zu investieren, was zu einer verbesserten Patientenversorgung führt.
Gleichzeitig trägt KI zur Qualitätssteigerung der Behandlung bei, indem sie präzise und umfangreiche Informationen liefert, die sonst zeitaufwändig und schwierig zu beschaffen wären. Ein Beispiel hierfür ist die Identifikation von Medikamenten oder die Übersetzung medizinischer Informationen, wie wir es in unserer Praxis erlebt haben. Diese zusätzlichen Informationen können helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen und die Behandlung individuell und akkurat zu gestalten. Insgesamt trägt der Einsatz von KI in der Arztpraxis sowohl zur Effizienzsteigerung als auch zur Verbesserung der Behandlungsqualität bei, was letztendlich den Patienten zugutekommt.
Impulse: Welche neuen Kompetenzen und Fähigkeiten müssen Ärzte und medizinisches Fachpersonal in Zukunft erlernen, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten?
Pschunder: Zu dieser Frage muss ich etwas weiter ausholen, und viele werden sagen, das geht doch gar nicht… Denn um sich mit neuen Dingen auseinanderzusetzen, benötigt man Zeit. In den meisten Praxen herrscht meist Hektik, und solche Dinge bleiben oft auf der Strecke. Deswegen spielen noch andere Aspekte eine große Rolle. Hier geht es um geordnete Prozesse, um die Mitarbeiter zu entlasten und so mehr Zeit für Innovation zu schaffen. Ich kann Ihnen versichern, das geht! Es schafft Zufriedenheit bei den Mitarbeitern und es kann sogar Personal eingespart werden, das es auf dem Arbeitsmarkt auch nicht mehr gibt.
Durch geordnete Prozesse und den Einsatz von Digitalisierung kann die Arbeitsbelastung reduziert und mehr Raum für Innovation geschaffen werden. Dies führt nicht nur zu einer höheren Zufriedenheit bei den Mitarbeitern, sondern ermöglicht es auch, Personalressourcen effizienter zu nutzen. In einer gut organisierten Praxis ist es durchaus möglich, Zeit für die Auseinandersetzung mit neuen Technologien zu schaffen und die Vorteile der Digitalisierung voll auszuschöpfen.
Um mit der Digitalisierung Schritt zu halten, müssen Ärzte und medizinisches Fachpersonal folgende Kompetenzen und Fähigkeiten erlernen:
Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut… einfach anfangen und ausprobieren! Sie können sicher sein, „der Hunger kommt beim Essen“ – Sie werden begeistert sein!
Impulse: Wie wird der zunehmende Einsatz der KI das Arzt / Patientenverhältnis verändern?
Pschunder: Hier ist natürlich Vorsicht geboten. Der Patient steht im Vordergrund, und der menschliche Kontakt ist sehr, sehr wichtig. Die KI sollte ausschließlich zur Unterstützung genutzt werden, um Zeit beim Arzt und im Praxisteam zu sparen, damit mehr Zeit für die Patienten bleibt. Mit Hilfe der KI können noch bessere Diagnosen und Therapien gefunden werden, sodass das Maximum für die Patienten herausgeholt werden kann.
Impulse: Welche gesetzlichen Regelungen und Richtlinien gibt es bereits, um den Einsatz von KI in der Medizin zu steuern?
Pschunder: Bei dieser Frage muss ich gestehen, dass ich die Antwort mit Hilfe der künstlichen Intelligenz gebe, da ich kein Jurist bin (lacht).
Der Einsatz von KI in der Medizin wird durch verschiedene gesetzliche Regelungen und Richtlinien gesteuert:
Besonders bei psychologischen Behandlungen mit KI ist Vorsicht geboten. KI kann hier zur Unterstützung und Diagnose eingesetzt werden, aber der menschliche Kontakt bleibt unverzichtbar. KI sollte Therapeuten helfen, Zeit zu sparen und bessere Behandlungsmöglichkeiten zu finden, ohne den persönlichen Austausch zu ersetzen.
Impulse: Herr Pschunder, herzlichen Dank für die spannende Unterhaltung! (Lesen Sie auch: Wir feiern die Gründung des jüngsten kommunalen MVZ – Interview mit dem Bürgermeister der Gemeinde Klettgau)
Pschunder: Vielen Dank, es hat mir großen Spaß gemacht. Ich hoffe, dass ich einige von Ihnen inspirieren konnte, sich einfach mal mit diesem Thema zu beschäftigen. Vielleicht nehmen Sie sich am Wochenende im Garten bei einer Tasse Tee Zeit dafür, auch wenn es nur auf dem Handy ist. Sie werden begeistert sein, was da alles möglich ist. Hier mal zwei Beispiele zum Ausprobieren: