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Landarztmangel: Gutachten unterstützt Gründung kommunaler MVZ

Gutachten Gründung kommunale Medizinische Versorgungszentren MVZ

Gutachten Gründung kommunale Medizinische Versorgungszentren MVZ

Nicht selten sind „Wissenschaftspapiere“ im Auftrag der Politik nur wenig hilfreich für die praktische Umsetzung, doch mit dem Gutachten-Beitrag „Kommunen als Trägerinnen Medizinischer Versorgungszentren“ der beiden Regensburger Universitätsprofessoren Dr. Thorsten Kingreen und Dr. Jürgen Kühling scheint es anders zu sein.
Auch wenn der volle Text vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege nach wohl über einem halben Jahr noch nicht veröffentlicht wurde, so hilft der besagte Beitrag in „Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) vom November 2018 (Heft 21, S.890-901) das Thema nach einigen Einführungen zur Kommunalisierung der Gesundheitspolitik und Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum zum Jahresanfang 2019 aufzuschließen. Ausgewählt sind im Folgenden drei exzerpierte Themenfelder:

Kommunen als Leistungserbringer und Anforderungen an die Gründung eines kommunalen Medizinischen Versorgungszentrums (kMVZ)

„Kommunen i.S. v. § 95 Abs. 1a SGB V sind alle kommunalen Gebietskörperschaften, d.h. die Landkreise, die Städte und die kreisangehörigen Gemeinden […] Ob allerdings auch Verwaltungsgemeinschaften, kommunale Zusammenschlüsse oder sonstige Zweckverbände der Kommunen ausgeschlossen werden, ist keinesfalls sicher, denn der Begriff „Kommune“ schließt es jedenfalls nicht aus, dass mehrere kommunale Gebietskörperschaften (Anm.: etwa ein Landkreis und mehrere kreisangehörige Gemeinden) gemeinsam als Gründer fungieren.“ (S.892, 900) Als Fallbeispiele solcher Art können das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) in Einrich, die Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) in Katzenelnbogen und MVZ Schwarzenborn angeführt werden.

„Kommunen werden dadurch zu Leistungserbringern i.S.d. Krankenversicherungsrechts, fungieren also insoweit nicht als Sozialleistungsträger wie etwa im Bereich der kommunalen Grundsicherung und der Jugendhilfe […].“ (S.892) „Ebenso wie mit der vertragsärztlichen Einzelpraxis erfüllen die Kassenärztlichen Vereinigungen zudem mit kommunalen MVZ ihren Sicherstellungsauftrag und verfügen insoweit auch über Sanktionsbefugnisse.“ (S.891)

Medizinische Versorgungszentren sind vertragsärztliche Leistungserbringer, für deren interne Struktur besondere Anforderungen gelten. (S.891) Als solche sind kommunale MVZ Zwangsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung. Stichworte: Sicherstellungsauftrag (§75 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 SGB V) und Gewährleistungsauftrag (§75 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 SGB V). (S.893) „Eine ‚Einrichtung‘ i.S.v. § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V setzt voraus, dass die Tätigkeit „unter einem Dach“, also in gemeinsam genutzten Räumlichkeiten stattfindet. Es reicht also nicht aus, dass die beteiligten Ärzte ihre Tätigkeit in den bisherigen Praxen fortführen und lediglich als MVZ firmieren.“ (S.892)

„Die Zulassung erfolgt dann für diesen Ort der ‚Einrichtung‘ (§ 95 Abs. 1 Satz 6 SGB V). […], dass nunmehr auch arztgruppengleiche MVZ gegründet werden können, also etwa auch reine hausärztliche MVZ. Damit sollte namentlich auch den Kommunen die Gründung eines MVZ erleichtert werden. […] Konstitutive Voraussetzung für eine Einrichtung ist es daher, dass zumindest zwei Ärzte im MVZ tätig sind.“ (S.892)

Ärztliche Leitung und Arztsitze bei einem (kommunalen) MVZ

Medizinische Versorgungszentren sind nach § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind. (S.891f.)
„Die Notwendigkeit einer ärztlichen Leitung stellt sicher, dass ärztliche Entscheidungen nicht von Nicht-Ärzten beeinflusst werden […] Er (Anm.: der ärztliche Leiter) ist in medizinischen Fragen weisungsfrei“. (S.892)

„Der ärztliche Leiter muss nach § 95 Abs. 1 Satz 3 SGB V selbst im MVZ tätig sein. Das erfordert zwar keine fachliche Verantwortung für jede einzelne Behandlungsmaßnahme, wohl aber die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe und eine Gesamtverantwortung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung“. (S.892)
Der ärztliche Leiter „kann, muss aber nicht in der Geschäftsführung des MVZ tätig sein.“ (S.893)

„Ein Vertragsarzt muss die vertragsärztliche Tätigkeit nach § 19a Abs. 1 Ärzte-Zulassungsverordnung grundsätzlich in Vollzeit ausüben. […] Er kann sie aber durch Erklärung gegenüber dem Zulassungsausschuss auf die Hälfte des Versorgungsauftrages beschränken (§ 19a Abs. 2 Ärzte-ZV). […] (Anm.: Es) reicht nunmehr […] ein Beschäftigungsumfang von zehn Wochenstunden für die Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung aus.“ (S.892f.)

„Der angestellte Arzt verzichtet zugunsten des MVZ auf seine Zulassung. Bei dieser Konstruktion ist allein das MVZ Inhaber der Zulassung“. (S.892) Bei einem MVZ in teilweise oder voller kommunaler Trägerschaft bedeutet dies, dass der aufgekaufte Arztsitz für den Standort dauerhaft gesichert ist. Er verbleibt beim Medizinischen Versorgungszentrum auch wenn ein angestellter Arzt abwandert oder sich zur Ruhe setzt. Nicht selten unterstützten Kommunen in der Vergangenheit mit Steuer- oder Fördergeldern externe Unternehmen beim Kauf von Arztsitzen im Gemeindegebiet. Dabei kommt es immer wieder vor, dass nach einer gewissen Sperrzeit der mit Fördergeldern mitfinanzierte Arztsitz in andere Kommunen verlagert wird. Die Kommune hat das Nachsehen, die Fördergelder sind verbrannt.

Kommunale MVZ sind als Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen auch Adressaten von deren Zulassungs- und Sanktionsmechanismen

Kommunale MVZ (kMVZ) müssen ihre Zulassung als Mitglied genauso wie Einzelärzte bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung beantragen.„[Anm.: Die Kassenärztlichen Vereinigungen] haben gem. §75 Abs. 2 Satz 2 SGB V die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen und die Vertragsärzte, soweit notwendig, unter Anwendung der in §81 Ab. 5 GB V (Verwarnungen, Verweise, Geldbußen, Ruhen der Zulassung) vorgesehenen Maßnahmen zur Erfüllung dieser Pflichten anzuhalten. Es fragt sich, ob die Kassenärztlichen Vereinigungen diese hoheitlichen Befugnisse auch im Verhältnis zu einem von einer Gemeinde getragenen MVZ geltend machen können.“ (S.893)

„Grundsätzlich nehmen Hoheitsträger ihre Aufgaben selbstständig und eigenverantwortlich […] wahr. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgericht aus dem Jahr 2002 führt jedoch aus, dass Fachgesetze (wie z.B. die sozialrechtlichen Zuständigkeiten der KVen i.S.d. Art. 83ff. GG auch Verwaltungsakte gegenüber Hoheitsträgern zulassen, wenn sich diese – wie im Falle eines MVZ – wirtschaftlich betätigt. „Wenn eine Gemeinde sich nicht klassisch hoheitlich, sondern wirtschaftlich betätigt, so führt sie keine Gesetze aus, sondern handelt wie ein Privater. Sie bedarf daher auch nicht des Schutzes einer öffentlich-rechtlichen Zuständigkeitsordnung, sondern ist wie alle anderen Marktteilnehmer in formeller wie in materieller Hinsicht an die Gesetze gebunden.“ Für kMVZ gilt insofern umfänglich das Vertragsarztgesetz. (S.893) (Lesen Sie auch: kommunale Medizinische Versorgungszentren auf dem Vormarsch)

Dabei ist hinsichtlich der Vollstreckung die Rechtsform des kMVZ entscheidend. Wird das kMVZ in Form einer AöR betrieben, ist die KV auf die Amtshilfe der Gemeinde angewiesen. In Bayern werden Formen dieser Art als „Kommunalunternehmen“ bezeichnet, die Autoren prognostizieren dies als Normalfall. Wie auch im Falle einer GmbH wird in der Praxis bei AöR gegen Sanktionen der Kassenärztlichen Vereinigung – die in der Praxis ohnehin kaum vorkommen – zunächst der Sozialrechtsweg beschritten. „Ein rechtskräftiges Urteil erzeugt dann einen Titel i.S. v. § 131 SGG (Sozialgerichtsgesetz, Anm.), der durch die Festsetzung von Zwangsgeldern auch gegenüber Behörden durchgesetzt werden kann.“ (S.894) Inwieweit hier die von den Autoren bevorzugte AöR günstiger ist als eine GmbH mit kommunaler Beteiligung bleibt leider im Dunkeln. Für beide Rechtsformen gelten die gleichen Haftungs- und Sanktionsmechanismen.

Ergänzend zu den oben dargestellten Kernpunkten des Gutachtens sei hinzugefügt, dass kommunale MVZ durchaus auch mit Beteiligung von Vertragsärzten und (privaten) Krankenhäusern gegründet werden können. Hier schließen sich die im Gutachten dargestellten Eigen- und Regiebetriebe im Gegensatz zur Gründung als GmbH aus. (Lesen Sie auch: Bei der Bewältigung des Ärztemangels setzt sich Bayern 2019 wohl an die Spitze)

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.