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Was denn nun: Ärztemangel oder Ärzteboom?

ärztemangel schweiz

Ärztemangel: Die Entwicklung in der Eidgenossenschaft ist der in Deutschland einige Jahre voraus

Ein Blick in die Schweiz zeigt Überraschendes: Im Gegensatz zu Deutschland steigt in der Schweiz die Zahl der Ärztinnen und Ärzte (im Folgenden: Ärzte), doch immer mehr von ihnen arbeiten Teilzeit. Zudem steigt der Frauenanteil in der Ärzteschaft. Derzeit 34,1 Prozent, im Vorjahr waren es noch 32,9 Prozent. Jeder dritte Arzt im ambulanten oder stationären Sektor stammt aus dem Ausland. Über die Hälfte der ausländischen Ärzte stammen aus Deutschland, d.h. knapp 6.300 – wohl alle als Angestellte. Das zeigt die Statistik der Ärzteberufsverbandes FMH mit über 40.000 Mitgliedern zum Jahr 2017.

Der Anteil der Einzelkämpfer in der schweizerischen Ärzteschaft sinkt gleichzeitig. Nur 53,7 Prozent der ambulant tätigen Ärzte waren 2017 in einer Einzelpraxis tätig. Dies waren gut 8 Prozent weniger als noch 2008. Im Vergleich: In Deutschland sind etwa 58 Prozent aller Ärzte in einer Einzelpraxis tätig, bei Hausärzten sind es sogar rd. 70 Prozent. Frauen bevorzugen eher größere Praxiseinheiten mit der Möglichkeit einer angestellten Tätigkeit. In größeren Arztpraxen, in der Schweiz Gruppenpraxis genannt, arbeiten im Schnitt 4,2 Ärzte.

In der Schweiz vollzieht sich bereits die Transformation, welche hierzu Lande seitens der Politik noch nicht erkannt wurde. Die Einzelpraxis gilt zunehmend als Auslaufmodell. Die Anzahl der MVZ Gründungen (Medizinisches Versorgungszentrum) unterstreicht diese Aussage. Seit dem Jahr 2008 hat sich deren Zahl mehr als verdoppelt. Auch das Sterben der Landarztpraxen ist Teil dieser Entwicklung.

Steigende Zahl an Ärzten bringt keine Entlastung

Insgesamt arbeiteten 2017 in der Schweiz 36.900 Ärzte, im Vorjahr waren es 36.175 gewesen. In Vollzeitstellen gerechnet ist die Zahl der Ärzte ebenfalls gestiegen, auf 32.586 im vergangenen Jahr. Im ambulanten Sektor arbeiten 51,1 Prozent der Ärzte und im stationären Bereich 47,3 Prozent. Der Rest übt eine Tätigkeit außerhalb dieser beiden Sektoren aus. Die Männer haben unter den Ärzten mit 58 Prozent zwar die Mehrheit, doch die Zahl der männlichen Ärzte nahm gegenüber dem Vorjahr lediglich um 0,9 Prozent zu, die Anzahl der berufstätigen Ärztinnen dagegen stieg um 3,8 Prozent. Ärztinnen bevorzugen deutlich stärker als ihre männlichen Kollegen eine Arbeit in Teilzeit. So steigt zwar die Anzahl an Ärzten, doch das Arbeitspensum je Arzt sinkt. Auch in der Bundesrepublik begegnen wird diesem Trend, mittlerweile sind rund 70 Prozent aller Medizinstudenten Frauen (Lesen Sie auch: Was suchen junge Nachwuchsärzte?).

Der Frauenanteil in der Ärzteschaft steigt vor allem unter jüngeren Medizinern: In der Altersgruppe der unter 40-Jährigen stellen Frauen im ambulanten und auch im stationären Bereich die Mehrheit. Während das Durchschnittsalter aller Ärzte 48,4 Jahre (in Deutschland: 54,1 Jahre) beträgt, ist es im ambulanten Sektor durchschnittlich zehn Jahre höher als im stationären (54,8 gegenüber 43,4 Jahre). Der Altersunterschied zwischen den Sektoren ist hauptsächlich durch die Weiterbildung der assistierenden Ärzteschaft bedingt, die vorwiegend in den Krankenhäusern stattfindet.

Die Ärztedichte ist in der Schweiz mit 4,3 Ärzten auf 1.000 Einwohner allerdings höher als im OECD-Durchschnitt (3,4) und in etwa gleich hoch wie in Deutschland. Auch in der Schweiz gibt es ein massives Stadt-Land-Gefälle: Die Kantone mit den höchsten Dichten an Ärzten sind Basel-Stadt (10,1 Ärzte), Genf (6,5) und Zürich (5,3). Die tiefsten Dichten weisen dagegen Obwalden (2,2), Appenzell Innerrhoden (1,9) und Uri mit nur 1,8 Ärzten je 1.000 Einwohner, auf.

Ärztemangel in der Schweiz: Die Stunde Null

Der „oberste“ Schweizer Arzt, FMH-Präsident Jürg Schlup, bezeichnet insgesamt die Versorgung als „adäquat“. Doch warnt er vor Knappheiten in der Zukunft wegen vieler anstehender Pensionierungen, der Reduktion von Arbeitspensen und der Zunahme der administrativen Belastung der Ärzte die heute schon etwa ein Drittel der Arbeitszeit ausmachen. Trotz alledem: Für eine bessere Nachhaltigkeit der Patientenversorgung muss die Schweiz – so die allgemeine Einschätzung des FMH – in Zukunft mehr Ärzte ausbilden: Pro Jahr braucht es in der Schweiz zwischen 1.000 und 1.300 neue Ärzte. 2017 wurden aber nur 790 Master-Abschlüsse gezählt. Dagegen kommt eine aktuelle Studie im Auftrag des Krankenkassenverbandes Santésuisse zum Schluss, dass bis 2030 kein medizinischer Versorgungsengpass absehbar ist.

Interessant: Für 2019 ist eine weitere Studie zur Versorgungslage im Auftrag der Schweizer Regierung zu erwarten. Die Analyse dürfte dem Vernehmen nach für die kommenden zehn Jahre keine generellen Knappheiten prognostizieren, mit Ausnahme der Hausärzte unter gewissen Annahmen. Auch diese künftige schweizerische Untersuchung beruht aber laut Beteiligten auf der gleichen Grundannahme wie diverse frühere Analysen: Man nimmt mangels besserer Alternativen an, dass die derzeitige Versorgung gerade etwa „richtig“ ist, und definiert deshalb „Unterversorgung“ bzw. „Überversorgung“ als Abweichung vom Status quo. „Andere Beurteilungskriterien wie etwa durchschnittliche Warte- und Wegzeiten der Patienten oder die Zahl von Grundversorgern und Spezialisten pro Einwohner wären im Prinzip denkbar, aber optimale Zielwerte sind laut schweizerischen Fachleuten kaum wissenschaftlich schlüssig aufzustellen. Solche Zielwerte wären letztlich politisch festzulegen.“ (Lesen Sie auch: Bei der Bewältigung des Ärztemangels setzt sich Bayern 2019 wohl an die Spitze)

Hier geht es zur Studie: Zahlen, Daten und Fakten zum Ärztemangel in Deutschland?