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Studie attestiert „unterirdische Qualität“ hinsichtlich der Digitalisierung im Gesundheitswesen

Das „PraxisBarometer Digitalisierung“ offenbart IT-Defizite von Einzelpraxen.

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. med. Andreas Gassen bescheinigte bei der Vorstellung des „PraxisBarometer Digitalisierung“ Ende Oktober in Berlin den meisten der 174 existierenden Praxisverwaltungs-Systemen (kurz: PVS) eine „unterirdische Qualität“. Die erstmalige Bestandsaufnahme zum Digitalisierungsgrad bei über 1.750 niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten wurde vom IGES-Institut Berlin durchgeführt. Angeschrieben wurden bei der repräsentativen Befragung etwa 7.000 per Zufall ausgewählte Praxen.

Die Ergebnisse des „PraxisBarometer Digitalisierung“

Zu den wichtigsten acht Kernergebnissen gehören mit einigen Anmerkungen und Ergänzungen folgende:

1. Die Digitalisierungsfortschritte bei Vertragsärzten und Psychotherapeuten konzentrieren sich vor allem auf größere Praxen mit spezialisiertem fachärztlichen Versorgungsangebot. Darunter fallen die Medizinischen Versorgungszentren wie auch größere Praxisgemeinschaften bzw. Gemeinschaftspraxen. Die überwiegend vorhandenen Einzelpraxen vernachlässigen die Digitalisierung oder können diese neben dem Alltagsgeschäft nicht bewältigen. Oftmals fehlt es auch an Kapital und Know-how.

2. In knapp 75 Prozent der vertragsärztlichen Praxen sind medizintechnische Geräte mit digitalen Schnittstellen vorhanden, aber bei 37 Prozent dieser Praxen gibt es keine oder nur teilweise eine Verbindung der Geräte zum jeweiligen Praxisverwaltungs-System. Es fehlen standardisierte Schnittstellen.

3. Bei der externen Kommunikation mit anderen medizinischen Einrichtungen dominiert die schriftliche Kommunikation in mit anderen Ärzten und Psychotherapeuten (86 Prozent) und mit Krankenhäusern (94 Prozent). Entsprechend werden auch behandlungsrelevante Daten z.B. Bilder, Arztbriefe, Befunddaten usw. mit 11 bis 17 Prozent der Fälle nur selten ausgetauscht.

4. Mit lediglich 13 Prozent kommunizieren die Praxen mit mindestens zur Hälfte ihrer Patienten digital. Bei Patienten unter 50 Jahren liegt der Anteil immerhin schon bei 19 Prozent.

5. Die häufigste Form der Praxisdarstellung im Internet ist eine eigene Internetseite. Eine solche unterhalten fast alle größeren Praxen (Mehrbehandlerpraxen) und nur knapp die Hälfte der Einzelpraxen. Ein wichtiger Punkt, betrachtet man die schlechten Erfolgsaussichten einer Ein-Mann-Praxis einen Nachfolger zu finden. Praxis-Nachfolger können sich vorab kaum ein Bild des Abgeber-Arztes samt übergebender Praxis machen. In Zeiten des Ärztemangels somit ein Wettbewerbsnachteil um die jungen nachrückenden Mediziner.

6. Dass Patienten ihren Ärzten / Psychotherapeuten selbst erhobene digitale Daten über ihre Gesundheit präsentieren, kommt im Praxisalltag bislang selten vor. Dazu zählen Pulswerte aus Apps, Daten aus Fitness-Trackern und ähnliches. Am häufigsten geschieht dies noch in Hausarztpraxen, welche der Nutzung dieser Daten vergleichsweise am aufgeschlossensten gegenüberstehen.

7. Das Angebot von digitalen bzw. Online-Services der Praxen (z.B. Online-Terminvereinbarung, Online-Rezeptbestellung, digitale Übermittlung von Unterlagen aus der Patientendokumentation) ist gegenwärtig noch begrenzt.

8. Enorme etwa 60 Prozent der Praxen verfügen über keinerlei solcher Angebote für Patienten. Knapp 30 Prozent der Praxen würden ihren Patienten zukünftig gerne digitale Verordnungen, Überweisungen und Bescheinigungen anbieten, 44 Prozent der Hausarztpraxen den elektronischen Medikationsplan. Hintergrund: Einen sehr oder eher hohen Nutzen für die Patientenversorgung erwarten knapp zwei Drittel der Arztpraxen vom elektronischen Medikationsplan, rd. 56 Prozent auch vom digitalen Notfalldatensatz und rund die Hälfte von digitalen Verordnungen, Überweisungen und Bescheinigungen sowie rd. 45 Prozent von einer einrichtungsübergreifenden digitalen Patientenakte (Lesen Sie auch: Kritik am Terminservice und Versorgungsgesetz).

Erwartungen an die Digitalisierung und Hemmnisse

Knapp jeweils 60 Prozent der Praxen erwarten starke Verbesserungen beim Praxismanagement, der Kommunikation mit Krankenhäusern und mit ärztlichen Kollegen infolge der Digitalisierung. Das größte Hemmnis der Digitalisierung in den Praxen sind aus Sicht der Ärzte bzw. Psychotherapeuten Sicherheitslücken in den EDV-Systemen. Mehr als die Hälfte der Praxen sieht ihre Digitalisierung hierdurch stark gehemmt. An zweiter Stelle folgt die Fehleranfälligkeit von EDV-Systemen, die von 43 Prozent der Praxen als starkes Hemmnis eingestuft wird.

Da alle Verbesserungen einschließlich der dann notwendigen Schulungen des Praxispersonals schlichtweg Geld kosten, stellt sich die Frage wer das bezahlen sollte. Vor allem im Hinblick auf Einzelpraxen auf dem Lande. Hier zeigt die Erfahrung, dass oftmals bereits ein Praxis-Update die eingespielten Abläufe durcheinanderbringt. Fehlt zudem eine EDV-afine Praxismitarbeiterin werden auch im Alltag die digitalen Möglichkeiten nicht ausgenutzt. Hier sind Mehrbehandlerpraxen mit ihrem größeren Pool an Praxismitarbeiterinnen und der dadurch möglichen Spezialisierung im Vorteil (Lesen Sie auch: kommunale Medizinische Versorgungszentren auf dem Vormarsch).

Der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zu folge „sollen die Angebote der IT-Dienstleister verbessert und deren Interoperabilität ausgebaut werden. Kleine Praxen dürfen im Zuge der Digitalisierung nicht zurückgelassen werden.“ Inwieweit dieser pauschale Appell durch konkrete Unterstützungsleistungen dann auch umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.

Nachdenklich stimmt u.a. die KBV-Schlussfolgerung: „Eine Teildigitalisierung von Prozessen reduziert nicht die damit verbundenen Aufwände in den Arztpraxen, sondern steigert diese eher.“ Das erinnert dann doch an Aussagen bei der EDV-Einführung in der Industrie in den 1980er Jahren. Auch die Einführung von CRM-Systemen (Customer Relationship Management System) wurde seinerzeit durch Argumente dieser Art behindert. Effizienz-Optimismus bietet allenfalls eine weitere Schlussfolgerung „Ärzte wünschen sich die weitere Digitalisierung dort, wo sie nützt und Prozesse durch Digitalisierung weiter optimiert werden können.“ Dazu zählen das Praxismanagement und Kommunikation innerhalb des Gesundheitswesens. „Insbesondere an diesen Stellen wird sich die KBV weiter engagieren.“

Hier geht es zur Studie: Zahlen, Daten und Fakten zum Ärztemangel in Deutschland?