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Ärzte folgen dem Geld, nicht den Kranken

Ärzte folgen dem Geld

Deutschland ist gespalten: Wo viele Privatpatienten wohnen, gibt es viele Ärzte. Zurück bleiben die Geringverdiener. Ob Stadt oder Land – wo sie leben, ist die Versorgung schlecht.

Privatpatienten ziehen überdurchschnittlich viele Arztpraxen an. Diesen Schluss kann man ziehen, wenn man betrachtet, wie sich die Praxen von Haus- und Fachärzten über Deutschland verteilen. Eine scharfe Grenze durchzieht das Land: Auf der einen Seite liegen die Regionen, in denen Menschen leben, die viel Geld verdienen oder Beamte sind und sich deshalb privat versichern können. Dort gibt es viele niedergelassene Ärzte. Auf der anderen Seite befinden sich die Gegenden mit ärmeren Menschen. Diese Städte und Kreise werden in der Tendenz deutlich stärker vom Ärztemangel getroffen.

Niedergelassene Vertragsärzte sind in Deutschland ungleich verteilt. So kamen im Jahr 2010 im bayerischen Kaufbeuren beispielsweise fast doppelt so viele Hausärzte auf 100.000 Einwohner wie im Saalekreis in Sachsen-Anhalt. Noch deutlicher fällt die ungleiche Verteilung bei den Fachärzten aus: So war ein Orthopäde in Nordvorpommern beispielsweise für fünf Mal so viele Einwohner zuständig wie sein Kollege im hessischen Wiesbaden. Diese regionalen Unterschiede in der Arztdichte haben sich bis heute kaum verändert

Wenn in Deutschland über das Gesundheitssystem diskutiert wird, ist oft von Zwei-Klassen-Medizin die Rede, von großen Unterschieden zwischen privater und gesetzlicher Versorgung. Es zeigt sich: Ein entscheidendes Argument für Ärzte, an einem Ort eine Praxis zu eröffnen, ist die Zahl der Privatversicherten; und nicht etwa die Frage, ob dort besonders viele kranke Menschen leben. Das gilt für Städte ebenso wie für den ländlichen Raum. (Lesen Sie auch: Die Telemedizin soll Landarztpraxen in Zukunft entlasten)

Zwei Stunden für den Weg zum Kinderarzt

Für die Planung der Kassenärztlichen Vereinigungen ist die Geografie jedoch fast kein Maßstab. Seit 1993 bestimmt in Deutschland eine strikte Quote, wo sich Ärzte ansiedeln dürfen und wo nicht. Sie orientiert sich an der Anzahl der Einwohner pro Arzt. Seit 2013 wird der Anteil der über 64-Jährigen einbezogen und ein Grad der Ländlichkeit der Region. Die Grundlage dieser Bemessung ist jedoch die Versorgungssituation von 1990. Schon damals waren Ärzte ungleich über das Land verteilt.

In sogenannten Mittelbereichen erfolgt die Beplanung mit Hausärzten. Grundversorgende Fachärzte werden innerhalb von Landkreisen oder Kreisregionen beplant. Doch diese Planungsbereiche sind oft zu groß und strukturell zu unterschiedlich. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben zwar in den vergangenen Jahren die Anzahl der Mittelbereiche in Deutschland erhöht, dennoch werden Stadt-Land-Gefälle zu wenig berücksichtigt. Landkreise und Kreisregionen werden in sechs Typen eingeteilt, welche den Grad der Mitversorgung durch andere Planungsbereiche mit einbezieht. Dies wird durch die neue Bedarfsplanungsrichtlinie, die zum 1.1.2020 umgesetzt wird nochmals verstärkt. Dies verhindert jedoch nicht, dass sich Fachärzte in den größeren Städte / Kreisstädten konzentrieren.

Großstädte sind einheitliche Bezirke, Mediziner können sich aussuchen, wo sie sich im gesamten Stadtgebiet niederlassen wollen. So weist die Großstadt München mit mehr als 1,3 Mio. Einwohner nur einen Mittelbereich auf. Deshalb drängeln sich die Ärzte in einigen reichen Stadtvierteln. In ärmeren Stadtteilen gibt es dagegen viel zu wenige Praxen, – obwohl viele Studien zeigen, dass Einwohner ärmerer Quartiere häufiger krank sind.

Auf dem Land ist die Lage noch schwieriger. Forscher der Universität Greifswald haben gemessen, wie weit der Weg aus den Dörfern Vorpommerns zum nächsten Arzt ist, wenn man auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist. Wer zum Kinderarzt muss, braucht dort von der Mehrheit der Orte mindestens zwei Stunden für Hin- und Rückfahrt, oft sogar mehr als vier Stunden. Ähnlich ist es bei Frauen- oder Augenärzten. Im Grundsatz gilt das für alle ländlichen Regionen, sagen die Forscher: Wer zum Arzt den Bus nehmen muss, kann sich auf lange Fahrten einstellen. In einigen Fällen kommt er nicht mehr am selben Tag zurück. (Lesen Sie auch: Die Landarztquote allein wird es nicht richten)

Städte sind für Ärzte bequemer

Worüber denkt ein Arzt nach, der sich niederlassen möchte? Nicht nur übers Geld. Medizinstudium und Facharztausbildung dauern üblicherweise rund zwölf Jahre. In dieser Zeit werden Ehen geschlossen, Kinder geboren, Lebenspartner etablieren sich in ihrem Beruf. Deshalb sind Fragen wie Kinderbetreuung oder die Jobchancen für den Partner wichtige Argumente bei der Wahl des Praxisstandorts. Auch die Nähe zur eigenen Uniklinik, die Lebensqualität und das kulturelle Angebot einer Region sind Gründe dafür, dass sich Ärzte ungleich über das Land verteilen.

Gleichzeitig fürchten viele Mediziner die hohe Arbeitsbelastung in den ländlichen Regionen. Sehr viele Patienten, weite Wege bei Hausbesuchen, viele Bereitschaftsdienste und ein hoher Verwaltungsaufwand schrecken ab.

Am Ende bleibt jedoch das Geld das wichtigste Argument. Als eine Ursache für die regionale Ungleichverteilung der Vertragsärzte wurde in den letzten Jahren die These diskutiert, dass das in Deutschland bestehende Nebeneinander von zwei getrennten Vollversicherungssystemen – der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der privaten Krankenversicherung (PKV) – einen erheblichen Einfluss auf die Arztdichte hat. GKV und PKV unterscheiden sich zum einen in ihrer Beitragserhebung, zum anderen aber auch in ihren vertraglichen Beziehungen zu den Leistungserbringern sowie in der Vergütung.

Patientenverteilung privat

Der Anteil von Privatpatienten in deutschen Landkreisen reicht von weniger als 5,0% bis nahezu 30,0%. Je dunkler die Schraffierung, desto höher ihr Anteil. Quelle: ZEIT ONLINE

Letzteres trifft insbesondere auf die ambulante Versorgung zu. Hier gibt es wesentliche Unterschiede zwischen GKV und PKV. Das Sachleistungsprinzip in der GKV ist mit einer größtenteils gedeckelten, nachgelagerten Vergütung des einzelnen Arztes verbunden. Das Kos- tenerstattungsprinzip der PKV hingegen impliziert eine vollumfängliche, unmittelbare Bezahlung der Ärzte für ihre erbrachten Leistungen. Für einen gesetzlich versicherten Patienten erhält ein Arzt einen Mix aus Fallpauschalen und Einzelleistungsvergütungen bis zu einer Mengenobergrenze in Form des sogenannten Regelleistungsvolumens. Der gleiche Arzt bekommt für einen Privatversicherten die Einzelleistungen ohne Mengenobergrenzen vergütet.

Für einen ambulant tätigen Arzt besteht somit im Regelfall die Möglichkeit, für jeden PKV-Patienten mehr Leistungen (ohne Deckelung) und zu einem höheren Preis abzurechnen als für einen GKV-Versicherten. Aus rein betriebswirtschaftlicher Perspektive ist die Behandlung eines Privatversicherten somit im Regelfall finanziell attraktiver als die eines GKV-Versicherten. Diese verzerrte Anreizsituation stand in den vergangenen Jahren wiederholt in der Kritik. Politiker und Wissenschaftler bemängeln, dass dies eine ungleiche Behandlung von Patienten mit sich bringen und verstärken könnte.

Arztleeren Regionen ist mit Geld allein nicht zu helfen

9.000 Euro netto. So viel müsste ein durchschnittlicher Arzt jeden Monat mehr verdienen, um ihn aus einer Stadtpraxis aufs Land zu locken. Das hat der Hamburger Gesundheitsökonom Hans-Helmut König herausgefunden. Selbst wenn die Landpraxis auf zwei Bereitschaftsdienste im Monat beschränkt bliebe (was ungewöhnlich ist) und sich direkt am Ort Schulen und Kitas fänden, kämen die Ärzte erst dorthin, wenn sie wenigstens 5.000 Euro im Monat mehr verdienten als in einer Stadtpraxis.

Das bedeutet: Eine Landpraxis muss weit über 100.000 Euro im Jahr mehr erwirtschaften als eine Stadtpraxis, um für einen jungen Arzt in finanzieller Hinsicht überhaupt attraktiv zu werden – in einer Region, wo das erhöhte Einkommen durch Privatversicherte häufig teilweise ausfällt. Angesichts dessen erscheinen die Versuche vieler Landkreise eher hilflos, Ärzte mit kostenlosen Praxisräumen und Investitionshilfen entgegenzukommen oder Medizinstudenten mit Stipendien an die Region zu binden.

Die Lösung kann daher fast ausschließlich über eine effizientere Praxisstruktur erfolgen, in welcher alle nicht-ärztlichen Leistungen über das Praxispersonal abgewickelt werden und entsprechend geschulte Versorgungsassistenten den Arzt bei delegationsfähigen Tätigkeiten und Hausbesuchen entlasten. Insofern ist das verstärkt angebotene Studium des „Physician Assistant“ zukunftsorientiert.

Entsprechend qualifiziertes Personal setzt natürlich größere Praxisstrukturen mit höherem Honorarvolumen voraus. Hier bieten sich neben dem finanziellen Aspekt für die Ärzte auch vielfältige Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung (z.B. Teilzeit) an.

Quelle: ZEIT ONLINE

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.