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Die Telemedizin soll Landarztpraxen in Zukunft entlasten

Telemedizin Landarztmangels

Telemedizin Landarztmangels

Was eigentlich ist Telemedizin?

Telemedizin ist der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechniken, mit deren Hilfe Ärzte ihre Patienten unter räumlicher und zeitlicher Distanz behandeln können. Es soll das medizinische Fachpersonal bei ihrer Arbeit unterstützen, nicht ersetzen. Durch den Einsatz neuer Medien wie Videochats beschränkt sich der Direktkontakt zwischen Arzt und Patient auf die Fälle, in denen er wirklich erforderlich ist. Auch Rezepte kann der Arzt per Telemedizin einfach an die nächste Apotheke senden, sodass der Patient den weiten Weg zur Praxis vermeiden kann. Telemedizin ersetzt keine Behandlung, sie unterstützt lediglich die Beratung und Versorgung der Patienten.

Parallel vereinfacht Telemedizin die Vernetzung zwischen den Ärzten. Medizinische Befunde werden unter dem Fachpersonal ausgetauscht und Ärzte sowie Patienten können sich durch einen weiteren Spezialisten eine zweite Meinung einholen. Durch „Telemonitoring“, also Fernuntersuchung, -diagnose und -überwachung, reduziert sich der Aufwand in Krankenhäusern, da die Fernüberwachung der Patienten durch digitale Dienste erfolgen kann.

Deutschland steht noch am Anfang der Digitalisierung des Gesundheitswesens

Große private Krankenhausbetreiber tüfteln am digitalen Arztbesuch. Seitdem die gesetzlichen Hürden für Telemedizin gefallen sind, drängen Klinikkonzerne in den Markt und treiben Diagnosen per Video, App oder Telefon voran. Fresenius, Rhön und Asklepios wetteifern um digitale Plattformen, die manchen Besuch in der Arztpraxis überflüssig machen und Patienten viel Zeit sparen dürften. (Lesen Sie auch: Über 54 Millionen Arbeitsstunden in Arztpraxen für Bürokratie im Jahr 2018)

Der Dax-Konzern Fresenius hat beispielsweise angefangen, einen Beratungsdienst über die Gemeinschaftsfirma Helios Dialogue einzuführen. Patienten könnten sich künftig über eine digitale Plattform einwählen und auch per Video Kontakt mit einem Arzthelfer aufnehmen, der zunächst gesundheitliche Beschwerden abfragt. Anschließend wird ihnen eine Video-Sprechstunde, der Gang in die Notfallambulanz oder zu einem nahen Facharzt empfohlen. Das Rhön-Klinikum will in der zweiten Jahreshälfte eine Gemeinschaftsfirma mit dem Schweizer Anbieter Medgate an den Start bringen und Marktführer in Deutschland werden.

Das könnte – so nahezu alle Akteure unisono – gegen den Ärztemangel auf dem Land helfen und den Firmen neue Umsatzquellen bringen. In einigen Bundesländern gibt es auch eine Unzahl von geförderten Modellprojekten zur Einführung der Telemedizin für einzelne Städte und auch ganze Landkreise mit über 150 oder gar 200 Hausärzten. Dabei sind ganze Heerscharen von Wissenschaftlern – teilweise auch mit intensiver Medienbegleitung – zu diesem Thema unterwegs. Immer heißt es auch hier, dass damit dem Ärztemangel auf dem Lande beigekommen werden solle. Schweizer Anbieter der medizinischen Fernbehandlung waren – ohne diese Attitüde – bereits die Vorreiter. Beispielsweise hat die Medi24 der Allianz-Versicherungsgruppe seit 1999, eigenen Angaben zufolge, 4,5 Millionen medizinische Beratungsgespräche im Fernkontakt geführt.

Deutschland ist im internationalen Vergleich weit abgeschlagen

In Deutschland steht die Telemedizin noch am Anfang. Neben der technischen Ausstattung müssen auch die gesellschaftlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden.
Viele ältere Patienten sind noch nicht digital angebunden. Um telemedizinische Behandlungsformen zu nutzen, muss ihnen der Umgang mit neuen Medien vermittelt werden. Schulungen sind erforderlich, um Ärzten als auch Patienten einen einfachen Einstieg in die Telemedizin zu ermöglichen. Darüber hinaus sind die Haftungsregeln bei einer Fehldiagnose und die Vergütung der Behandlung noch unzureichend geregelt.

Dass sich die Umsetzung in Deutschland als schwierig erweist, zeigt sich auch in der Berufsordnung der Landesärztekammern. Diese untersagt Ferndiagnosen zwischen Arzt und Patienten. Eine Ausnahme ist Baden-Württemberg. Dort wurde diese Regelung für erste Pilotprojekte gelockert. Die Forderung vieler Mediziner lautet: Eine Anpassung der Berufsordnung, sowie die Modernisierung des Fernbehandlungsverbotes.

Deutschland liegt im Ländervergleich teilweise weit zurück. Als führend gelten unter anderem England, die Schweiz sowie Skandinavien, wobei Kosteneinsparungen und eine verbesserte Versorgung nachweisbar belegt sind. In Ländern wie Schweden oder der Schweiz ist der Einsatz von Telemedizin schon heute Teil der erfolgreichen gesundheitlichen Grundversorgung.

Platz 16 von 17

Erneut belegt eine Studie, dass Deutschland bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen erheblichen Nachholbedarf hat und viele Potenziale für Qualität und Effizienz der Versorgung nicht nutzt. In einem internationalen Vergleich der Bertelsmann Stiftung zu Digitalisierungsstrategien und -fortschritten liegt Deutschland unter 17 Ländern nur auf Rang 16 vor Schlusslicht Polen.

Spitzenplätze nehmen nach der von der Forschungsgesellschaft empirica aus Bonn durchgeführten Untersuchung „#SmartHealthSystems“ Estland, Kanada, Dänemark, Israel und Spanien ein. In diesen Ländern seien digitale Technologien bereits Alltag in Praxen und Klinik, Rezepte würden digital übermittelt und wichtige Gesundheitsdaten der Patienten in elektronischen Patientenakten gespeichert, heißt es. Nach der Untersuchung können in Estland und Dänemark alle Bürger beispielsweise ihre Untersuchungsergebnisse, Medikationspläne und Impfdaten online einsehen und Berechtigungen für Zugriffe von Ärzten und anderen Gesundheitsberufen selbst verwalten. In Israel und Kanada sind Ferndiagnosen und Fernbehandlungen per Video in der Versorgung bereits selbstverständlich.

Die Telemedizin und der ländliche Raum

Angesichts massiver Nachwuchsprobleme bei der Nachbesetzung von Arztpraxen in ländlichen Regionen, könnte die Telemedizin einen entlastenden Beitrag leisten. Bis zum Jahr 2030 fehlen rund 10.000 Allgemeinmediziner, viele von ihnen in ländlichen Regionen. Doch häufig sind es Einzelpraxen auf dem Lande, die aufgrund zu hoher Kosten, fehlendem Fachpersonal und einem zu hohen Verwaltungsaufwandes den Schritt zur Digitalisierung ihrer Abläufe und Prozesse gehen müssten. (Lesen Sie auch: Die Landarztquote allein wird es nicht richten)

Von den zahlreichen Forschern und Gutachterautoren zur Fernbehandlung bzw. Telemedizin scheint keiner die Realität zu kennen: Mehr als die Hälfte der Hausärzte – insbesondere Inhaber von Einzelpraxen – haben bis heute keine eigenen Internet-Auftritt und 80 Prozent der Einzelpraxen gelten insbesondere mangels IT-Ausstattung als „nicht nachhaltig zukunftsfähig“. Das Fax (!) gilt als das am häufigsten verwendete Kommunikationsmittel.

Richtig ist aber allemal: Patienten in urbanen Lebensräumen werden die Telemedizin zunehmend – falls die Vergütung als „vierte Versorgungsebene“ KV-seitig auch tatsächlich geklärt wird – auch als Lifestyle-Angebot nutzen. Bislang können Ärzte eine Fernbehandlung ohne direkten Kontakt nur bei Privatpatienten problemlos abrechnen. Kassenpatienten sind weitgehend außen vor. (Lesen Sie auch: Studie attestiert „unterirdische Qualität“ hinsichtlich der Digitalisierung im Gesundheitswesen)

Nach Einschätzung von Medizinern lässt sich demnach jeder fünfte Arztbesuch (in der Stadt) durch digitale Beratung ersetzten. Es entstehen damit freie hausärztliche Kapazitäten, um die es letztendlich geht. Aber diese Ärzte sitzen nicht auf dem Lande. Zudem wäre da noch ein weiteres nennenswertes Problem: Im internationalen Vergleich zur Geschwindigkeit des Breitbandinternets rutscht Deutschland immer weiter nach hinten. im Jahr 2018 belegte Deutschland nur noch Platz 30. Branchenexperten gehen von rund 15 Jahren aus, um  die vergangenen Versäumnisse beim Ausbau des Breitbandinternets wieder wettzumachen. „Auf dem Lande“ ist also so schnell keine Lösung des Hausärztemangels durch die Telemedizin zu erwarten.

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.