Künstliche Intelligenz Arztpraxis
Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Arztpraxis – Interview
28. Juli 2024
kommunales MVZ Marienmünster
Herausforderungen bei der Gründung kommunaler MVZ – Interview
14. September 2024

Ambulante medizinische Versorgung in Baden-Württemberg: Herausforderungen und Lösungsansätze

Ärztemangel Baden-Württemberg

Die ambulante medizinische Versorgung in Baden-Württemberg steht vor großen Herausforderungen, wie der Versorgungsbericht 2023 der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) eindrucksvoll zeigt. Insbesondere der Ärztemangel in Baden-Württemberg und die Notwendigkeit kommunaler Medizinischer Versorgungszentren (kommunale MVZ) prägen die aktuelle Diskussion.

Hausarztmangel in Baden-Württemberg verschärft sich

Der Versorgungsbericht 2023 macht deutlich: Der Hausarztmangel in Baden-Württemberg spitzt sich weiter zu. Mit einem steigenden Altersdurchschnitt der Hausärztinnen und Hausärzte – bereits 38 Prozent sind über 60 Jahre alt – wird in den kommenden Jahren eine Vielzahl von Praxen keine Nachfolger finden. Diese Problematik betrifft sowohl den ländlichen Raum als auch Ballungszentren, was zu einer wachsenden Versorgungslücke führt.

Bis zu einem Versorgungsgrad von 110 Prozent fehlen in Baden-Württemberg bereits 927 Hausärztinnen und Hausärzte (Stand: Juni 2023). Zum Vergleich: 2019 waren es noch 620. Das bedeutet, dass die offenen Hausarztsitze in nur vier Jahren um 50 Prozent gestiegen sind – eine dramatische Entwicklung, die den Druck auf die bestehenden Praxen, Notaufnahmen und den Rettungsdienst weiter erhöht.

Quelle: KVBW Versorgungsbericht 2023

Versorgungsengpässe trotz steigender Arztzahlen

In Baden-Württemberg sind rund 2.700 Hausärzte über 60 Jahre alt, 1.400 davon sogar über 65. Ein Großteil davon wird zeitnah in den Ruhestand gehen – mit oder ohne Nachfolger. Bereits über 1.000 Arztsitze sind in Baden-Württemberg nicht besetzt, davon 927 in der hausärztlichen Versorgung. 

Trotz eines Zuwachses an Ärzten verzeichnet Baden-Württemberg weiterhin zunehmende Versorgungsengpässe. Zwar hat die Anzahl der Ärzte im ambulanten Bereich seit 2013 um 13 Prozent zugenommen, doch die Zahl der besetzten Vertragsarztsitze ist um 2,2 Prozent zurückgegangen. Der Trend zu Teilzeit und Anstellung verschärft den Ärztemangel in Baden-Württemberg weiter: Die junge Ärztegeneration bevorzugt zunehmend flexible Arbeitsmodelle und Kooperationen. Auch in den kommenden Jahren ist es nahezu ausgeschlossen, dass trotz eines Ausbaus des Studienplatzangebote, ausreichend Neu-Mediziner diese Lücke schließen werden. 

Quelle: KVBW Versorgungsbericht 2023
Quelle: KVBW Versorgungsbericht 2023

Hausärztliche Versorgung

Noch gravierender war diese Entwicklung bei den Hausärzten. Im Gegensatz zur allgemeinen Entwicklung der Arztzahlen ist die Zahl der hausärztlich tätigen Niedergelassenen nicht gestiegen, sondern seit 2013 um sogar 69 „Köpfe“ gefallen (Anm.: Zahlen für 2023 liegen leider nicht vor). Bei den Versorgungsanteilen ist der Rückgang noch größer: 371 Hausarztsitze sind für die Patientenbetreuung im Betrachtungszeitraum verloren gegangen und fehlen in der Fläche für eine wohnortnahe hausärztliche Versorgung.

Quelle: KVBW Versorgungsbericht 2022

Trend zu Teilzeit und Anstellung verschärft Ärztemangel

Die Anzahl der in Teilzeit und in Anstellung arbeitenden Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten ist weiter angestiegen. Zu Beginn des Jahres 2023 arbeiteten bereits 32 Prozent der KVBW-Mitglieder in Teilzeit. Damit ist die Vollzeitquote im Vergleich zum Vorjahr erneut um zwei Prozentpunkte auf 68 Prozent gesunken. Besonders hoch sind die Teilzeitquoten mit 62 Prozent bei den Psychotherapeuten sowie mit 68 Prozent bei den Strahlentherapeuten. Durch die Anstellung von Ärztinnen und Ärzten sind auch in der ambulanten Versorgung attraktive Arbeitsmodelle realisierbar. Gerade von der nachrückenden Generation wird häufig gewünscht Beruf und private Interessen besser in Einklang bringen zu können. Während im Jahr 2010 lediglich 7% der KVBW-Mitglieder angestellt waren, sind es zum Jahresanfang 2023 bereits 25%, also jedes vierte KVBW-Mitglied. 2022 waren dies noch 19%. 

Kooperationen gewinnen an Bedeutung

Die Anzahl der kooperativen Praxisformen steigt weiter. Allein im Jahr 2022 haben sich 336 weitere KVBW-Mitglieder für eine Tätigkeit in kooperativer Form entschieden. Die Einzelpraxis hingegen scheint wenig attraktiv: Allein im Jahr 2022 sind 166 Einzelpraxen weggefallen. Deutlich im Trend liegt die Gründung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Zu Beginn des Jahres 2023 gab es in Baden-Württemberg 336 MVZ, in welchen 2.030 Ärztinnen und Ärzte tätig sind. 158 dieser MVZ sind ausschließlich von Vertragsärzten, -ärztinnen, angestellten Ärzten oder Psychotherapeuten geführt. Seit 2015 hat sich die Anzahl der MVZ damit um 149 Prozent gesteigert, also mehr als verdoppelt. 

Quelle: KVBW Versorgungsbericht 2023

Immer mehr Ärzte wissen, dass eine effiziente Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen sowohl wirtschaftliche als auch organisatorische Vorteile mit sich bringt. Der Arzt oder die Ärztin als Einzelkämpfer ist ein Auslaufmodell. Der medizinische Nachwuchs legt Wert auf den kollegialen Austausch und die Arbeit im ärztlichen Team. Dies erleichtert die Gestaltung geregelter und flexibler Arbeitszeiten sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die nicht nur für den immer höheren Anteil der Medizinerinnen ein wichtiger Aspekt ist. (Lesen Sie auch: Unzufriedenheit niedergelassener Ärzte nimmt dramatisch zu)

Aktuelle hausärztliche Versorgung in Baden-Württemberg

Die KVBW konstatiert im aktuellen Versorgungsbericht mit Stand Juni 2023, dass bereits 19 Planungsbereiche (von 103) unterhalb eines Versorgungsgrades von 85% liegen. Dies entspricht einem Anteil von 18,4%. Diese Planungsbereiche gelten damit als (drohend) unterversorgt. Im Ostalbkreis lag der Versorgungsgrad nurmehr bei dramatischen 48,6% (!) und gehört damit deutschlandweit zu den Schlusslichtern. Nur elf von 103 Planungsbereichen sind gesperrt, d.h. ausreichend hausärztlich versorgt.

Im Bericht 2024 ist auch angesichts der demografischen Entwicklung mit einer weiteren spürbaren Verschlechterung der Versorgungslage zu rechnen.

Die Rolle kommunaler MVZ bei der Sicherstellung der medizinischen Versorgung

Angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten bei der Besetzung von Arztsitzen, gewinnen kommunale Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Baden-Württemberg zunehmend an Bedeutung. Diese Einrichtungen bieten eine Lösung für die Sicherstellung der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung, insbesondere in unterversorgten Gebieten. Immer häufiger ergreifen Kommunen in Baden-Württemberg die Initiative und treiben dort, wo privatwirtschaftliche Initiativen fehlen, die Gründung von Medizinischen Versorgungszentren in eigener Trägerschaft voran.

Ein herausragendes Beispiel ist das kommunale MVZ Klettgau, das am 1. Januar 2024 den Betrieb aufnahm. Innerhalb von sechs Monaten konnten zwei weitere Ärzte gewonnen werden, darunter eine Internistin. Dies zeigt, dass MVZ die dringend benötigten ärztlichen Anstellungsverhältnisse im ländlichen Raum schaffen können. Sobald diese Strukturen existieren, stellt sich auch der Nachwuchs ein – ein entscheidender Schritt, um den Ärztemangel in Baden-Württemberg langfristig zu überwinden. (Lesen Sie auch: Wir feiern die Gründung des jüngsten kommunalen MVZ – Interview mit dem Bürgermeister der Gemeinde Klettgau)

Fazit

In ihrem Fazit im Versorgungsbericht 2022 zog die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg damals den Schluss: „Praxiskooperationen liegen voll im Trend. Wer kooperativ tätig ist, kann dem ärztlichen Nachwuchs die gewünschten Arbeitszeitmodelle anbieten und ist daher gegenüber Einzelpraxen im Vorteil.“ Dies zeigt auch das Beispiel Klettgau. Die KVBW unterstützt dies unter anderem mit dem Förderprogramm ZuZ. Auf welches auch Kommunen bei der Gründung Medizinischer Versorgungszentren zurückgreifen können. 

Quelle: Die ambulante medizinische Versorgung 2023, Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (Hrsg.), Stuttgart, September 2023