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Herausforderungen bei der Gründung kommunaler MVZ – Interview

kommunales MVZ Marienmünster

Impulse: Herr Suermann, zum 01. April 2024 erhielt die MVZ Marienmünster GmbH ihre Zulassung seitens der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). Damit ist das MVZ Marienmünster das erste Medizinische Versorgungszentrum in kommunaler Trägerschaft in Westfalen-Lippe. Woher kam seinerzeit der Impuls, sich hier als Stadt zu engagieren? 

Josef Suermann, Bürgermeister der Stadt Marienmünster (Nordrhein-Westfalen, Kreis Höxter), im Interview mit Impulse über die Errichtung des kommunalen MVZ Marienmünster und die Herausforderungen im Laufe der Inbetriebnahme.

Suermann: Marienmünster ist mit gerade einmal 5.000 Einwohnern eine sehr kleine und überschaubare Stadt. Mit dem Wissen um das Alter unserer Ärzte lud ich diese zusammen mit Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) vor zwei Jahren zu einem Gespräch ein. Als die Ärzte von ihren vergeblichen Versuchen, Nachfolger für ihre Praxen zu finden, berichteten und dass sie alle in absehbarer Zeit aus Altersgründen ihre Praxen schließen würden, erklärten die KV-Vertreter, dass sie zwar grundsätzlich für die ärztliche Versorgung zuständig seien, aber „Niemanden an den Haaren herbeiziehen können, um in Marienmünster zu arbeiten!“. Danach war klar, dass wir nur weiterkommen, wenn wir als Stadt selber tätig werden. (Lesen Sie auch: Wir feiern die Gründung des jüngsten kommunalen MVZ – Interview mit dem Bürgermeister der Gemeinde Klettgau)

Impulse: Eine gut etablierte hausärztliche Gemeinschaftspraxis konnte als Gründungspartner gewonnen werden. Das MVZ hat die Gemeinschaftspraxis erworben, die ehemaligen Praxisinhaber sind nunmehr als angestellte Ärzte im MVZ tätig – mitsamt Praxisteam. Was hat beide Ärzte Ihrer Meinung nach dazu bewogen diesen Weg zu bestreiten? 

Suermann: Ich denke es war insbesondere der Wunsch, die Patienten, die man jahrzehntelang behandelt hatte, nicht auf der Straße stehen zu lassen. Wie sehr sich beide Ärzte mit der Praxis identifizieren und es ihnen daran gelegen ist, dass es weitergeht, sieht man daran, dass der eine fast ein Jahr länger arbeitet als beabsichtigt, um das MVZ ans Laufen zu bringen und seine Kollegin die Befähigung erlangen möchte, eine angehende Fachärztin ausbilden zu können.  

Impulse: Wie waren die Reaktionen der übrigen freiberuflichen Ärzteschaft? Wird das MVZ als Konkurrenz wahrgenommen?

Suermann: Bisher habe ich nur anerkennende Worte vernommen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass irgendein Arzt angesichts des Ärztemangels und der Vollheit des eigenen Wartezimmers eine Konkurrenzsituation empfindet. 

Impulse: Wie gestaltete sich der Gründungsprozess? Auf welche kommunalrechtlichen Hürden sollte man besonders vorbereitet sein?

Suermann: Der Gesellschaftsvertrag zur Gründung der GmbH sowie die Übernahme von Bürgschaften bzw. Sicherheitsleistungen der KV gegenüber mussten von der Kommunalaufsicht genehmigt werden. Das MVZ musste vom Zulassungsausschuss der KV zugelassen werden. Dies alles verursachte einiges an bürokratischen Aufwand. Die Gründung eines MVZ gehört ja nicht gerade zu den Kernkompetenzen einer Kommune. Unabdingbar war deshalb die Unterstützung durch eine Expertin, die wir in Gabriele Dostal gefunden hatten. 

Impulse: Die Sicherheitsleistung des MVZ gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung ist bundesweit bei Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen eine häufig geäußerte Herausforderung im Zuge der Gründung eines kommunalen MVZ. Die Handhabung unterscheidet sich von KV zu KV teilweise stark. Im Fall des MVZ Marienmünster war eine Bürgschaft in Höhe von rd. 3,6 Mio. Euro zu erbringen. Wie hat das MVZ die erforderliche Sicherheitsleistung gegenüber der KV erbracht? War intern und im Zusammenspiel mit der zuständigen Rechtsaufsicht ein gewisses Maß an Überzeugungsarbeit zu leisten? 

Suermann: Kommunen müssen als Träger eines kMVZ der KV gegenüber eine Sicherheitsleistung für mögliche Regresse abgeben. Bei der von uns gewählten Rechtsform einer GmbH muss die Kommune nach § SGB V § 95 Abs. 2 eine selbstschuldnerische Bürgschaft abgeben. § 87 GO NRW steht dem grundsätzlich entgegen. Um die Frist für die Antragsstellung beim Zulassungsausschuss nicht zu versäumen, übernahm eine heimische Bank eine Sicherheitsleistung nach § 232 Abs. 2 BGB für Ansprüche der KV gegen das kMVZ. Die Stadt wiederrum musste dieser Bank gegenüber eine Bürgschaftserklärung abgeben. Für die Bereitstellung der Sicherheitsleistung verlangte die Bank eine nicht unerhebliche jährliche Bereitstellungsgebühr.

Da dieses Absicherungssystem die Stadt nicht vor Regressforderungen schützen würde und sie obendrauf die genannten Gebühren jährlich zu zahlen hätte, sind wir über den Städte- und Gemeindebund an das Ministerium herangetreten, um prüfen zu lassen, ob wir nicht doch unmittelbar als Bürge auftreten und so die Bereitstellungskosten ersparen können. 

Wir erhielten als Antwort, dass gemäß § 87 GO NRW eine Kommune grundsätzlich keine Sicherheiten zugunsten Dritter bestellen und Bürgschaften nur im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben übernehmen darf. Die für die Bürgschaftsgewährung vorgesehene Ausnahme des § 87 Abs. 2 GO NRW sei insofern restriktiv auszulegen.

Die nach Landesrecht vorgesehene restriktive Vorschrift des § 87 Abs. 2 GO NRW kollidiere jedoch mit der bundesrechtlichen Regelung des § 95 Abs. 2 S. 6 SGB V, nach der die Zulassung eines MVZ in der Rechtsform einer GmbH die Abgabe von selbstschuldnerischen Bürgschaftserklärungen oder anderen Sicherheitsleistungen der Gesellschafter voraussetze. Bereits zum Zeitpunkt der gesetzlichen Zulassung der Gründung der MVZ in kommunaler Trägerschaft sei diese Kollision bekannt und dem Bundesgesetzgeber bewusst. Die Kommunalaufsicht könne nach Prüfung des durch die Kommune anzuzeigenden Rechtsgeschäftes zu dem Ergebnis gelangen, dass die Wahl der Bürgschaftsform und deren Ausgestaltung unter den besonderen Umständen des Einzelfalls angemessen ist und nach Abwägung der verschiedenen Interessen (Schutz des kommunalen Haushaltes vor unangemessenen Risiken / ansonsten nicht sicherzustellende Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Leistungen vor Ort) ausnahmsweise zugelassen werden könne. Die Normenkollision solle dabei insgesamt nicht zu Lasten der Kommunen in Nordrhein-Westfalen und der medizinischen Versorgung insbesondere in ländlicheren Gebieten führen. Die Kommunalaufsicht genehmigte nun ganz aktuell die Abgabe einer selbstschuldnerischen Bürgschaft der Stadt gegenüber der KV. (Lesen Sie auch: Ambulante medizinische Versorgung in Baden-Württemberg: Herausforderungen und Lösungsansätze)

Impulse: Primäres Anliegen der Stadt war die wohnortnahe und bedarfsgerechte ärztliche Versorgung für die Bevölkerung langfristig zu gewährleisten. Dieses Ziel scheint mit zwei kürzlich gewonnen Ärzten bereits (fast) erreicht worden zu sein. Offenbar erfüllt das MVZ die Berufswünsche vieler Ärztinnen und Ärzte. Wo sehen Sie das MVZ Marienmünster in fünf Jahren? Sehen Sie das kommunale MVZ Marienmünster als isoliertes Projekt oder ist es für Sie eher Teil eines gesamthaften Entwicklungsplans?

Suermann: Das MVZ ist ganz klar Teil einer Kette von Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung unserer Stadt als Wohnort. Wir bekommen seit Jahren von IT.NRW oder der Bertelsmann-Stiftung vorgerechnet, dass unsere Einwohnerzahl stark zurückgehen soll. Diesen Voraussagen stemmen wir uns mit aller Kraft entgegen, in dem wir in die frühkindliche Erziehung, dem Sport- und Freizeitangebot, der Baulandbereitstellung, dem Glasfaserausbau, die städtebauliche Entwicklung und vieles mehr investieren. Die Gründung des MVZ ist für die weitere Entwicklung unserer Stadt enorm wichtig. Hätten wir es nicht hinbekommen, wäre auf kurz oder lang auch die Apotheke geschlossen worden und das Image und die Attraktivität unserer Stadt hätten enorm gelitten. Wichtiger als alles andere ist unseren Bürgern nach einer aktuellen Umfrage im Zuge einer Kreisentwicklungsstrategie aber die medizinische Versorgung. Und genau die haben wir zumindest auf absehbare Zeit sichergestellt. 

Impulse: Herr Suermann, vielen lieben Dank für das Gespräch!