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Der Wandel in der ambulanten ärztlichen Versorgung – Anstellung und Teilzeit auf dem Vormarsch

Ärztemangel

Die ambulante ärztliche Versorgung in Deutschland erlebt einen fundamentalen Wandel. Immer mehr Ärztinnen und Ärzte entscheiden sich für eine Anstellung und Teilzeitmodelle anstelle der klassischen Selbstständigkeit in einer eigenen Praxis. Dieser Trend beeinflusst sowohl die Arzt-Patienten-Beziehung als auch das Leistungsvolumen im Gesundheitssystem. In diesem Blogbeitrag beleuchten wir die Entwicklung, die Unterschiede zwischen Haus- und Fachärzten, die zugrunde liegenden Gründe und die Auswirkungen auf die Versorgungsqualität. (Lesen Sie auch: Unzufriedenheit niedergelassener Ärzte nimmt dramatisch zu)

Steigende Anstellungs- und Teilzeitquote in der ambulanten Versorgung

Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat die Zahl der Teilzeitbeschäftigten in der ambulanten ärztlichen Versorgung in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Jahr 2023 arbeiteten erstmals mehr als 60.000 Ärzte und Psychotherapeuten in Anstellung, dies entsprach einem Anteil von rd. 32%. 

Teilzeit vs. Vollzeit bei Haus- und Fachärzten

Tatsächlich verteilt sich die Anstellungs- und Teilzeitquote unter den verschiedenen Arztgruppen nicht gleichmäßig. Vor allem Fachärzte – und hier insbesondere geräteintensivere Fachrichtungen wie Radiologen – weisen eine deutlich höhere Anstellungs- und Teilzeitquote auf. Fast keine Arztgruppe hat eine so niedrige Anstellungs- und Teilzeitquote wie die Hausärzte, lediglich die HNO-Ärzte und MKG-Chirurgen (Mund-Kiefer-Gesichtschirurg) weisen ähnlich niedrige Werte aus. Über 70% der Ärztinnen und Ärzte in diesen Arztgruppen üben ihren Beruf mit einem vollen Versorgungsauftrag aus (1,0 Kassensitz). Teilzeitmodelle machen bei den Hausärzte nur magere 10% aus.

Dieser strukturelle Unterschied zwischen den Arztgruppen ist der primäre Grund für den im ländlichen Raum vorherrschenden und voranschreitenden Hausärztemangel. Die hausärztliche Praxislandschaft bietet der nachrückenden Ärztegeneration nicht die gewünschten Arbeitszeitmodelle wie dies andere Arztgruppen tun. Die klassische Ein-Personen-Praxis am Land – teilweise in der eigenen Immobilie – ist hier gegenüber größeren Praxis (hierzu zählen auch hausärztlich-internistische MVZ) in urbaneren Gegenden schlichtweg kaum konkurrenzfähig. Vor dieser strukturellen Herausforderung sind Kommunen mit ihren Bestrebungen ein eigenes hausärztliches MVZ auf den Weg zu bringen zu verstehen. (Lesen Sie auch: Nur knapp 50 Prozent der Niedergelassenen planen ihre Praxis bis zum altersbedingten Übergang fortzuführen)

Arztgruppen mit hoher Anstellungs- und Teilzeitquote sind wiederum häufig in Ballungsgebieten und Mittelstädten zu finden, so z.B. Radiologen, Augenärzte, Anästhesisten, Orthopäden, Fachinternisten sowie die große Gruppe der gesonderten Fachärzte (z.B. Labormedizin). Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass angehende Mediziner jene Fachrichtungen präferieren, welche die von ihnen gewünschten Berufsanforderungen erfüllen. 

Die untenstehende Grafik zeigt den allmählichen Rückzug der Baby-Boomer-Generation aus der hausärztlichen Versorgung. Im Betrachtungszeitraum verringerten sich die vollen Versorgungsaufträge (ganzer Kassensitz) um -16,3%. 

Gründe für den Trend zu Teilzeit und Anstellung

Die Gründe für den Anstieg der Teilzeitbeschäftigung und Anstellungen im ambulanten Bereich sind vielfältig. Die zunehmende Bürokratie und steigende Belastung durch administrative Aufgaben schrecken viele junge Ärztinnen und Ärzte ab, eine eigene Praxis zu eröffnen. Durchschnittliche Wochenarbeitsstunden eines Praxisinhabers von 50-55 Stunden wirken hier nachvollziehbarerweise mehr als abschreckend. So berichteten wir erst kürzlich, dass nur knapp 50 Prozent der Niedergelassenen planen ihre Praxis bis zum altersbedingten Übergang fortführen zu wollen. Fast zwei Drittel der vorzeitig in den Ruhestand tretenden Befragten geben hohe Arbeitsbelastung als Grund für Praxisaufgabe an.

Darüber hinaus bietet die Anstellung im Vergleich zur Selbstständigkeit eine höhere finanzielle Sicherheit und weniger Risiken. So stiegen die Kosten in den vergangenen Jahren deutlich stärker als die Einnahmen. Die Kosten für Personal, Energie, Mieten, Material oder medizinische Geräte stiegen stärker als die Inflation. Die Verbraucherpreise legten zwischen 2019 und 2022 um fast 12% zu. Die Praxen konnten in dieser Zeit überschlägig nur 6% Vergütungszuwachs verbuchen.

Folgen des Wandels: Weniger ärztliches Leistungsvolumen

Obwohl die Arztzahlen nach Köpfen steigen, nimmt das ärztliche Leistungsvolumen seit Jahren kontinuierlich ab. Da immer mehr Ärzte in Teilzeit arbeiten, sinkt die zur Verfügung stehende Arztzeit pro Patient, was zu längeren Wartezeiten und einer höheren Arbeitsbelastung für die verbleibenden Vollzeitärzte führt. Die langfristigen Auswirkungen dieses Trends werden insbesondere in ländlichen Gebieten, wo es bereits heute teils nennenswerte Engpässe in der ärztlichen Versorgung gibt, zu großen Herausforderung für die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Primärversorgung führen.

Fazit

Der Trend zu Anstellung und Teilzeit unter Ärztinnen und Ärzten ist eine Reaktion auf veränderte Lebensmodelle und Arbeitsanforderungen. Während diese Entwicklung eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglicht, führt sie gleichzeitig zu einem Rückgang der verfügbaren Arztstunden. Dies hat vor allem für die Patientenversorgung gravierende Folgen: längere Wartezeiten, Versorgungsengpässe und eine überproportionale Belastung der Vollzeitärzte. In den kommenden Jahren wird es daher von Bedeutung sein, inwiefern der Gesetzgeber diese strukturelle Transformation erkennt und Maßnahmenpakete schnürt, um privatwirtschaftliche und kommunale Initiativen, insbesondere im ländlichen Raum, zu stützen. Der derzeitige Kabinettsentwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) zeigt hier bereits in die einige notwendige Schritte auf, wobei die Streichung der Primärversorgungszentren zu bedauern ist.