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Ärztemangel – Checkliste zur Abwendung einer Versorgungskrise

kommunales MVZ

kommunales MVZ

Wann ein kommunales MVZ notwendig wird – Checkliste zur Abwendung einer Versorgungskrise

Adrian W.T. Dostal, Dipl.-Kfm.

Geschäftsführer dostal & partner management-beratung gmbh, Vilsbiburg

Ausgangslage

Im Rahmen des seinerzeit bereits erkennbaren Hausärztemangels hat der Bundesgesetzgeber bereits 2015 grundsätzlich und abschließend entschieden, dass kommunale Medizinische Versorgungszentren (kMVZ), d.h. auch den Gemeinden gehörende MVZ, nicht nur möglich, sondern auch gewünscht sind. Tatsächlich zeichnet sich der „Landarztmangel“ schon seit über zehn Jahren ab. Erfreulich ist, dass mittlerweile alle kommunal-, sozial-, wettbewerbs-, gesellschafts- und europarechtlichen Fragen mit dem Gutachten Kingreen/Kühling (Universität Regensburg) als transparent gemacht und als geklärt betrachtet werden können. Unstrittig ist ebenfalls in der Fachwelt, dass die Einzelpraxis als Versorgungsform ein Auslaufmodell ist. Große Hoffnungen können in sogen. Mehrbehandlerpraxen mit delegativen Strukturen, die deutlich mehr medizinisch-ärztliche Kapazität freisetzen, gesetzt werden. Kommunale MVZ sind eine Ausprägung dieser Mehrbehandlerpraxen. Abstrakt bekannt sind häufig auch die Anforderungen der Ärzte-Generation Y. Der Wunsch nach einer „Work Life Balance“ und einer damit einhergehenden angestellten ärztlichen Tätigkeit, ist eine der zentralen Forderungen. – Wann ist es aber geboten die Versorgungsform eines kommunalen MVZ in den ländlichen Gemeinden und Regionen, möglicherweise auch interkommunal, auf die Agenda zu setzen?

Worum geht es generell?

Die Entwicklung verläuft in zwei Zeitschienen, die aber häufig übersehen werden: Einmal die Zeit nach 2030 – hierzu gibt es zahlreiche eingeleitete Lösungen, wie z.B. der „Masterplan Medizinstudium 2020“ und die bundesweite Ankündigung neuer Medizin-Fakultäten und -Lehrstühle. Die andere Zeitschiene, die der nächsten 10 bis 12 Jahre, steht hier im Fokus. Bis 2030 scheiden voraussichtlich etwa die Hälfte der Hausärzte aus dem Berufsleben aus. Tatsache ist: In diesen Jahren baut sich ein ungedeckter Bedarf an Hausärzten von etwa 50 Prozent auf, möglicherweise auch mehr. In Zahlen ausgedrückt sind dies rd. 10.000 fehlende Allgemeinmediziner bis zum Jahr 2030. Geht der Trend „Hin zur Stadt und nicht auf das Land“ unverändert weiter, heißt das fürs Land: Es fehlen 70 bis 80 Prozent.

Das bedeutet, dass bundesweit mindestens jeder zweite Arztsitz nicht 1:1 gedeckt werden kann. Die Ressource „Hausarzt“ muss also anders als bisher, sprich effizienter, genutzt werden. Auch kann nur bei einem Drittel der betroffenen Kommunen eine – und zwar modern strukturierte – Praxis aufrechterhalten bzw. besser formuliert, neu auf den Weg gebracht werden. Was kaum bekannt ist: Der Hausärztemarkt befindet sich in einer Transformation in Richtung Steigerung der Versorgungseffizienz.

Warum sind die Entwicklungen im Detail schwer abschätzbar?

Unklar sind u.a. folgende Faktoren: Wie groß wird die Kohorte der 65 bis 75jährigen tätigen Hausärzte noch werden? – eine steigende Tendenz ist unverkennbar. Wie hoch fallen die 1:1-Nachfolgebesetzungen weiterhin vor Ort aus? Die Anzahl der Allgemeinmediziner aus dem stationären Sektor, die in den Niedergelassenen-Bereich wechseln, ist ebenso nicht zu beziffern wie die bereits hohe Anzahl an (Haus-)Ärzten aus dem benachbarten EU-Ausland (Tschechien, Polen, Ungarn usw.) sowie mögliche „Wiedereinsteiger“ nach Berufspausen, Auslandsaufenthalten oder Reaktivierungen. Aber auch die Ergebnisse von Förderprogrammen sind kaum einschätzbar. Detaillierte Angaben pro Jahr, geschweige denn pro Planungsbereichen usw., sind nicht möglich. Letztendlich erschweren auch die nicht konkret einschätzbaren entlastenden Entwicklungen bei den Praxisstrukturen die Bezifferung des Umfangs.

Wieso zerschlagen sich Hoffnungen und Initativen?

Unter dieser Intransparenz leiden natürlich auch häufig bisher geführte Gespräche zur Beseitigung des hausätzlichen Ärztemangels  – in der Regel von mehr als drei oder vier Jahren Dauer – mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, der „Politik“ in allen Formaten, den Ärztefunktionären, den eigenen Ärzten am und vor Ort sowie Immoblieninvestoren. Sie generieren ein zunehmendes Problembewußtsein. Aber diese endlosen „Schwarzen-Peter-Spiele“, die zwischendurch auch ein Weiterreichen des Problems nach dem „Florian’s-Prinzip“ zeitigen, verärgern zunehmend.

Zu den in Angriff genommenen Initiativen gehören häufig auch „Runde Tische“ oder die zahlreichen ergebnislosen Einzelgespräche, die zu keinem erkennbaren Lösungskonzept geführt haben. Gleichfalls sind Gespräche mit den Kliniken im Landkreis und Umgebung erfolglos geblieben, Filialen eines Krankenhaus-MVZ auch neben den bisherigen Klinikstandorten auch in der Fläche zu begründen und zu betreiben. Wer sollte die begünstigten Gemeinden im Landkreis zudem „gerecht“ auswählen?

Nicht unerwähnt sollen die zahlreichen (Stellen-)Förderprojekte wie z.B. die über 100 Gesundheitsregionen bleiben. Allein in Bayern sind es in einer zweiten Welle derzeit 42 GesundheitsregionenPlus. Auch mit anderen Instrumenten wie Modellprojekten, Gesundheitskonferenzen, einer allgemeinen intensiveren Vernetzung der Gesundheitsakteure und dem Einrichten von Gesprächskreisen zur Problemlösung wird ebenfalls versucht die Probleme vor Ort gesprächsweise zu lösen. Bemerkenswert ist hierbei meistens, dass die Kommunen selbst bei solchen Ansätzen kaum bis überhaupt nicht vertreten sind.

Auch gehören hier die mittlerweile nahezu aussichtslosen Versuche von Abgeber-Ärzten dazu, veraltete Einzelpraxen auf dem Lande an den Mann bzw. an die Frau „zu bringen“. Da wird bis zum Schluss „gehofft“ und die Kommune vertröstet. Derweil wirkt das Einzelkämpferdasein von niedergelassenen Hausärzten auf nachrückende Ärzte häufig abschreckend. Bei einem Wochenarbeitspensum von teils über 60 Stunden nicht verwunderlich. Auch wollen die jüngeren Mediziner eher im Ärzte-Team arbeiten und dabei angestellt sein. Auf den Wunsch nach einer Work-Life-Balance sei erneut verwiesen. (Lesen Sie auch: Der alte Arzt hat ausgedient)

Daneben dürfen auch die zahlreichen Fälle nicht unterschätzt werden, dass sich niedergelassene Ärzte an irgendwelchen (kommunalen) Aktivitäten zur Sicherung der künftigen ärztlichen Versorgung vor Ort überhaupt nicht beteiligen wollen. Das ist ihr gutes Recht; später auch – wenn die KV keinen Nachfolger für sie gefunden hat – werden sie ihre Praxis regelmäßig einfach abmelden, sie schließen und den Arztsitz ggf. in den Nachbarort verkaufen.

Warum führt der Paradigmenwechsel zu einer Chance vor Ort?

Die aufgeführten Trends sind zentrale Bausteine für den mehrfachen sich dahinter verbergenden Paradigmenwechsel: Das „Alte“, z.B. das Ideal einer Einzelpraxis und Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärzteschaft, der nur bei auch zur Verfügung stehenden Ärzten realisierbare sogen. Sicherstellungsauftrag der KVen ist aus vielfachen Gründen passé. Sie haben keine Lösungskraft mehr. Damit sind eben neue Regularien (§ 95 Abs. 1a SGB V bzgl. kommunales MVZ), Akteure und Entscheidungsprozesse nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig: Die Kommunen gehören wesentlich dazu. Aus der nunmehr zulässigen Fernbehandlung kann sogar eine neue effizientere Versorgungsebene, neben der ambulanten und der stationären Medizin werden.

Der Paradigmenwechsel von der Einzel- zur Mehrbehandlerpraxis mit angestellten Ärzten ist meist erkannt und wird zunehmend akzeptiert. Neben Pilotprojekten zur Gründung von neuen Ärztegenossenschaften, die Jungärzte anstellen sollen, bis hin zu Unternehmerärzten die ihre Praxen mit zusätzlichen Ärzteanstellungen ausbauen und dabei auch Arztsitze für Filialen in der Fläche aufkaufen, ist manches erfolgreich auf den Weg gebracht. – Doch was ist mit den übrigen Gemeinden die „leer“ ausgehen? Denn maximal ein Drittel der hausärztlichen „Kapazitätsausfälle“ kann so aufgefangen werden.

Wann soll ein kommunales MVZ (kMVZ) auf den Weg gebracht werden?

Den einzig „richtigen“ Zeitpunkt gibt es nicht, kann es auch nicht geben. Eines ist sicher: Sind die Arztsitze einmal weg bzw. fast weg, ist es längst zu spät. Die in den Kommunen Verantwortung Tragenden müssen selbst einen Zeitpunkt festsetzen und soweit es geht – einen ärztlichen Akteur, der mitmachen will, belastbar identifiziert haben. Die relevanten Kommunen haben nahezu alle weniger als 12.000 bis 15.000 Einwohner (i.d.R. im jeweiligen Kerngebiet). Der jeweils zu betrachtende Versorgungs- bzw. Einzugsbereich wird auch größer. Da Kommunen untereinander im Wettbwerb stehen, ist der Einstieg mittels einer Markterkundung/-analyse und der Aufbau eines Projektmanagements auf Zeit notwendig.

Projektmanagement in dem Sinne, damit das notwendige „Sample“ an Akteuren für eine eigene Lösung vor Ort belastbar zusammenzubringen, zu moderieren und gemeinsam unter Führung der Kommune zügig zu einer Lösung zu motivieren ist. Das ist natürlich ein weiterer Lernprozess: Aber auch niederlassungswillige Einzelkämpfer durchlaufen da KV-Schulungen. Davor muss natürlich ein „pfiffiges“ Lösungskonzept die eigenen Stadt- bzw. Gemeinderäte ins Boot holen.

Der Verweis auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) der Bund, Länder und Kommunen verpflichtet, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten eine funktions- und leistungsfähige Gesundheitsinfrastruktur zu gewährleisten, mag zu deren Mobilisierung hilfreich sein. Die Kommunen müssen eine erreichbare, d.h. wohnortnahe Versorgung mit ärztlichen Leistungen sicherstellen (Gutachten Kingreen/Kühling). (Lesen Sie auch: Gutachten unterstützt Gründung kommunaler Medizinischer Versorgungszentren)

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.