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Ärztemangel – Checkliste zur Abwendung einer Versorgungskrise
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G-BA-Bedarfsplanung: An der sich hochschaukelnden Krisensituation im Hausärztebereich „voll daneben“

Bedarfsplanung Ärzte und Psychotherapeuten

Bedarfsplanung Ärzte und Psychotherapeuten

Vor Ablauf der Frist, welche das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) auf den 30. Juni 2019 terminiert hatte, passt der G-BA die Bedarfsplanung für Ärzte und Psychotherapeuten auf Basis des bereits seit Oktober 2018 vorliegenden Gutachtens zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung i.S.d. §§ 99ff SGB V an. Der Gemeinsame Bundesauschuss – kurz G-BA – ist das höchste Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Er ist durch den Gesetzgeber beauftragt, in vielen Bereichen über den Leistungsanspruch der Solidargemeinschaft von etwa 73 Millionen in Deutschland gesetzlich krankenversicherten Menschen rechtsverbindlich zu entscheiden.

Durch die angepasste Bedarfsplanung werden nicht nur rd. 3.500 neue Arztsitze geschaffen, sondern auch die der Bedarfsplanung zugrundeliegenden Verhältniszahlen auf Basis zusätzlicher Kriterien berechnet. Das Bundesgesundheitsministerium hat nun zunächst zwei Monate Zeit, den Beschluss des G-BA zu prüfen. Bei Nichtbeanstandung wird er im Bundesanzeiger veröffentlicht und tritt am Folgetag in Kraft. Mit Inkrafttreten beginnt die sechsmonatige Frist der Kassenärztlichen Vereinigungen für die Umsetzung.

Die konkrete Umsetzung erfolgt durch die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkassen. Sie soll bereits zum 1.1.2020 abgeschlossen sein. Diesen Termin nennt der KBV-Vize-Vorstandschef Dr. Stephan Hofmeister nicht umsonst „sportlich“. „Die neue Richtlinie bildet Hofmeister zufolge den Bedarf an Ärzten und Psychotherapeuten noch besser ab und ermöglicht eine passgenauere Planung. Es müsse aber allen klar sein, dass ‚mit dem Beschluss zunächst nur mehr Sitze auf dem Papier geschaffen werden. Neue Ärzte gibt es damit nicht auf Knopfdruck“, sagte er.

Eine G-BA-Planung kann eben keinen Mangel beseitigen, sondern nur einen rechnerischen, d.h. theoretischen Rahmen vorgeben. Das gilt insbesondere für Hausärzte, für welche die KBV bundesweit bereits 2016 eine Lücke von rd. 10.600 Hausärzten bis zum Jahr 2030 prognostizierte. Manche rechnen aufgrund der reduzierten Arbeitszeiten bei Ärzten der Generation Y mit einer Lücke von über 15.000 Hausärzten. Aufgelaufen sind davon Anfang Mai 2019 bereits rd. 2.700 unbesetzte Arztstellen. Also: Alles voll im Trend. (Lesen Sie auch: Checkliste zur Abwendung einer Versorgungskrise)

Erreichbarkeit als Kriterium für G-BA-Versorgungssicherheit

Für die Fachgruppen Hausärzte, Kinder- und Jugendmediziner, Gynäkologen und Augenärzte gilt künftig auch die Erreichbarkeit als entscheidendes Versorgungskriterium. Damit könnte ein (perspektivisch) zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf festgestellt werden, sofern 95 Prozent der Patienten in einer Region z.B. den Hausarzt nicht innerhalb von 20 Minuten Fahrzeit mit dem PKW erreichen können. Für Kinder- und Jugendmediziner liegt der Wert bei 30 Minuten, Gynäkologen und Augenärzte müssen innerhalb von 40 Minuten Fahrzeit erreicht werden.

Das bedeutet „geplante“ Anfahrtswege von 20 Kilometern und mehr. Bisher waren es im Alltag nach den Feststellungen der KV Rheinland-Pfalz etwa fünf Kilometer. Das dürfte bei den Senioren auf dem Lande ohne Pkw besonders gut ankommen. Zum Punkt: Die Versorgung auf dem Lande soll bewusst noch mehr ausgedünnt werden. Gespannt wie die Gemeinde- und Städteverbände – die meist von größeren Kommunen dominiert werden – darauf reagieren werden. Kommunale Medizinische Versorgungszentren von kleinen Kommunen auf dem Lande lehnen sie nahezu alle bereits rundweg ab.

Inwieweit diese PKW-Fahrzeitminuten die Realität widerspiegeln ist zudem nicht ganz verständlich. Eine Darstellung der aktuell realisierten Wegzeiten pro Facharztgruppe ergibt z.B. für Hausärzte für den Bund eine durchschnittliche Wegzeit von 12,22 PKW-Fahrzeitminuten. Interessant ist dabei die auf die Tabelle bezogene Anmerkung: „Realisierte Fahrzeiten innerhalb einer Postleitzahlregion sind datenbedingt nicht ausgewiesen.“ Bedeutet dies, dass alle Wege von Patienten zum Arzt, die innerhalb einer Postleitzahlregion erfolgten nicht in den Mittelwert einbezogen wurden? Sind alle wohnortnahen ggf. auch fußläufig oder innerhalb von 2-3 Minuten erfolgenden Wege ausgeschlossen worden? Dann wäre gerade im hausärztlichen Bereich der Unterschied zu den Zahlen der KVRLP erklärbar. Fraglich ist es jedoch eine entsprechend zweifelhafte Datenbasis als Grundlage für die weiteren Planungen zu nehmen.

Ergänzende Quotenregelungen für Internisten, Nervenärzte und Psychosomatiker

Die sich durch die G-BA-Reform ergebenden rund 3.500 neuen Niederlassungsmöglichkeiten setzen sich aus rund 1.500 neuen Hausarztsitzen (diese kommen dann zu den genannten fehlenden Hausärzte bis 2030 noch obendrauf), rund 800 Sitze für Psychotherapeuten, rund 480 Sitze für Nervenärzte und rund 400 Sitze für Kinder- und Jugendmediziner zusammen. Im fachärztlichen Bereich werden die quantitativen Bedarfszahlen noch durch Mindest- und Maximalquoten ergänzt. Damit werden die unterschiedlichen Schwerpunkte des jeweiligen Facharztbereiches reguliert.

Dies hat auch Auswirkungen auf die Nachbesetzung: Wird beispielsweise die Obergrenze der Kardiologen von 33 Prozent überschritten, darf der freie Sitz eines Gastroenterologen oder eines Rheumatologen nicht mit einem Kardiologen besetzt werden. Bestehende kardiologische Arztsitze können gleichwohl nachbesetzt werden. Wird dagegen die Mindestquote z.B. für Rheumatologen mit acht Prozent in einem Planungsbereich unterschritten, der für Internisten gesperrt, weil überversorgt ist, kann sich hier trotzdem ein Rheumatologe neu niederlassen.

Zuschnitte der KV-Planungsregionen teilweise geändert

Im Zuge der Reform hat der G-BA gleichzeitig die Zuschnitte der Planungsbereiche – so gibt es heute z.B. hausärztliche Planungsbereiche für weniger als zehn Hausärzten für 16.000 Einwohner bis über 1.500 Hausärzte bei mehr als 2.000.000 Einwohner – sowie deren Typisierung an die aktuellen Gebietsstände der Landesplanung angepasst. Dadurch können sich im Einzelfall Änderungen in der Zusammensetzung der Planungsbereiche ergeben. – Fazit: Für die gesundheitliche ambulante Versorgung auf dem Lande bleibt es nicht etwa gleich, nein: Sie geht wohl erkennbar einem weiteren Niedergang entgegen. Basis des Ganzen ist das bereits durch den G-BA am 20. September 2018 abgenommene 800 Seiten starke „Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung i.S.d. §§ 99 ff. SGB V zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung“ (Lesen Sie auch: Gutachten unterstützt Gründung kommunaler Medizinischer Versorgungszentren)

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.