Die Beseitigung der Hausarztlücke hat viele Hebel: Ein Beitrag von den Heilmittelerbringern?
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Die Generation Y und der Hausärztemangel
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Landarztmangel: Ohne Bewusstsein für die Befindlichkeiten der älteren Praxis-Abgeber gibt es kaum eine Lösung

Manchmal ist es sinnvoll sich vor einem Gedankenaustausch mit Hausärzten die eine oder andere Ausgangssituation, Rahmenbedingung und mögliche Einstellung bzw. Motivation nochmals kursorisch vor Augen zu führen. Da gibt es zahllose Aspekte, einige beispielhafte im Folgenden:

Die häufigste Form der Berufsausübung auf dem Lande ist zu etwa zwei Dritteln die Einzelpraxis („lonely hero“). Dies bedeutet, dass bislang kaum Angestelltenverhältnisse für Allgemeinärzte auf dem Lande existieren (Stichwort Generation Y). Die Praxis ist manchmal Ersatzfamilie mit wenig Kontakt nach außen, hohem persönlichen Risiko und Hierarchie mit Chef und Mitarbeitern. Das Führen eines Teams wird eher als unangenehm empfunden – wie da einen Arzt in Weiterbildung oder eine VERAH integrieren? Die neuen Medien werden bei älteren Praxisinhabern häufig mit größter Zurückhaltung aufgenommen. Das Fax dient weiterhin als das häufigste Kommunikationsmittel.

Landarztpraxen sind regelmäßig aber „Goldgruben“: Wenig Kosten, viel Ertrag, hohe Sicherheit. Ein großer Vorteil auf dem Land sei das Alleinstellungsmerkmal, das hohe Einkommensmöglichkeiten biete. Dafür wurde auch die hohe Stundenzahl gerne in Kauf genommen. Ab 62 ist man allerdings bei Bereitschaftsdiensten (z.B. in Bayern) schon längstens befreit, was jedoch wiederum zur Verknappung der davon betroffenen jüngeren Landärzte führte, im Sinne von mehr Stunden für den „Rest“.

Das Lebensmodell der jüngeren Ärztegeneration hat sich verändert

Praxisinhaber arbeiten im Schnitt 50 Stunden pro Woche, angestellte Ärzte in der ambulanten Versorgung bevorzugen Teilzeitmodelle und arbeiten im Schnitt nur rund 24 Wochenstunden, also nur halb so lange wie die Praxisinhaber. Zahlreiche bisherige Regelungen der Bereitschaftsdienste führ(t)en zu einer empfundenen Überbelastung der Hausärzte auf dem Land. Dies wurde regelmäßig auch so von den Funktionären nach Außen getragen und fällt jetzt der ganzen Kohorte der „Praxis-Abgeber“ vor die Füße.

Gravierender: Auf ein bisher auf 30 bis 40 Jahre angelegtes Niederlassungsmodell (häufig noch im alleinstehenden Einzelhaus mit Praxis im Parterre oder Anbau) mit einer räumlichen Fixierung auf einen bestimmten Standort bzw. eine bestimmte Region will sich kein jüngerer „Übernehmer“ mehr einlassen. Der Lebenspartner bringt seine eigene Biographie inkl. Beruf mit – letzteres lässt sich häufig nicht am gleichen neuen Standort realisieren. Wer will da von beiden möglicherweise pendeln? (Stichwort Auslaufmodell Einzelpraxis)

„Damit prallen fast zwei Welten aufeinander. Der Verkauf von Landarztpraxen – häufig mit Wohnen und Praktizieren im gleichen Haus – wird mit Masse zum Auslaufmodell. Gegenteilige Fälle treten teilweise bei eigenen Kindern auf, welche die väterliche, mütterliche bzw. elterliche Hausarzt- bzw. vereinzelt auch Gemeinschaftspraxis übernehmen. Da passt aber auch schon räumlich selten ein Weiterbildungsarzt oder gar eine auch nur halbtägige Bestellpraxis eines Facharztes hinein.

Die niedergelassenen Fach- und Hausärzte leben generell in einer recht günstigen Einkommenssituation. Gleichzeitig wird in den letzten zehn bis fünfzehn Berufsjahren kaum noch in die Praxen investiert. Investitionen nicht nur in IT sondern auch in medizinische Geräte leiden häufig darunter. Budgetierung der Behandlungen, die zunehmende Bürokratisierung (eine bessere IT könnte hier helfen) und eine schwache Infrastruktur auf dem Land halten den Ärztenachwuchs davon ab auf Selbiges zu gehen.

Landarztmangel: Kommunen können Abgeber-Ärzte erfolgreich einbinden

Niedergelassene Ärzte reagieren auf die heranrückende Zurruhesetzung überwiegend passiv oder halten sich zurück. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Schlichtes Desinteresse, Überforderung oder mangelnde Kenntnis des formalen und strengen Beendigungs- und Abgabeprozesses gegenüber der KV können mögliche Gründe sein. Da gibt es Ähnlichkeiten bei den Mittelständlern in der Wirtschaft, die sich zur Ruhe setzen wollen. Das Aufhören bzw. Abgeben fällt auch dort schwer: Da wird ebenfalls wenig vorbereitet und man verschiebt das Thema „bis auf den letzten Drücker“. Die IHKen und HWKen können davon ein Lied singen …

Zudem befinden sich die Praxis-Abgeber in einem Wettbewerb untereinander. Wer sich zu früh „outet“ mit einem Fix-Termin des „Schlussmachens“, verliert Patienten. Praxis-Abgeber sitzen damit in dem Käufermarkt „am kürzeren Hebel“, wenn sie sich auf die tradierten Vermittlungswege verlassen. Gleichzeitig sind viele Ärzte auf den Erlös des Praxisverkaufs oder des Arztsitzes überhaupt nicht mehr angewiesen. Vielmehr handelt es sich beim Verkaufserlös aus ihrer Sicht um die Honorierung der eigenen Lebensleistung.

Hier setzen die Möglichkeiten der Kommune an (Stichwort kommunale Initiative). Zwar ist die Bereitschaft der Ärzte zu Veränderungen in der letzten Berufsphase häufig eher gering. Gemeint sind u.a. ein möglicher Umzug in größere Praxisräume im Rahmen einer Übergangslösung, das sich Einbringen in eine Mehrbehandlerpraxis oder Praxisgemeinschaft oder gar die Beteiligung an einem MVZ. Nichts desto trotz sind Gemeinden, die sich um die zukünftige ärztliche Versorgung sorgen auf das Mitwirken der Praxis-Abgeber angewiesen. Hier kommt es dann darauf an, mit einem schlüssigen Konzept die Bedürfnisse der vorhandenen Abgeber-Ärzte aufzugreifen und Möglichkeiten der Ergänzung bzw. Nachfolge zu erschließen. Dabei ist im Einzelfall auch mit Übergangslösungen zur Arztsitz-Sicherung, Arbeitszeitreduzierung usw. zu arbeiten. Zielgerichtet, fundiert und überzeugend vorgegangen gelingt es dann in den meisten Fällen die Abgeber-Ärzte in eine Win-Win-Situation einzubinden.

Hier geht es zur Publikation: Wie ist dem Ärztemangel auf dem Lande zu begegnen?