Landarztmangel: Ohne Bewusstsein für die Befindlichkeiten der älteren Praxis-Abgeber gibt es kaum eine Lösung
14. Mai 2018
Hausärztemangel auf dem Lande: Vom richtigen Zeitfenster für eine kommunale Initiative
28. Mai 2018

Die Generation Y und der Hausärztemangel

Die Begrifflichkeit Generation Y hat sich in weiten Bereichen durchgesetzt: Auch die Vorstellung einer „Work Life Balance“ und „Feminisierung des Arztberufes“ kommt den vom Landarztmangel Betroffenen in den Kommunen recht schnell von den Lippen. – Was steckt aber noch hinter dem Begriff für die Jungärzte? – Hier das Zusammentragen einer knappen Stoffsammlung mit Anmerkungen:

Nun, diese Generation legt Wert auf eine fundierte und breite Ausbildung – das klingt in vielen Beschreibungen fast so, als hätten sich die Altvorderen mit weniger Ausbildung zufriedengegeben. Sie sieht darin einen Sicherheitsanker, ihre Ziele in einer zunehmend volatiler werdenden Berufswelt zu erreichen. Vieles verändert sich schneller als früher, über eine längere Zeit muss man sich alle paar Jahre neu positionieren.

Die Generation Y begründet folgerichtig eigene Praxen generell erst etwa zehn Jahre später als es früher üblich war. Sie ist weniger unternehmerisch (Praxis-Gründungen sind ja eine Art Start-up) und präferiert eher ein Angestellten-Dasein. Sie will sich in die vor Jahren in den Medien breit ausgetretene und von den heutigen Abgeber-Ärzten beklagte „alte Tretmühle“ mit 60 Stunden-Woche und „schlimmer“, nicht einspannen lassen.

Die Einzelpraxis ist bei der Generation Y wenig beliebt

Auch ist jungen Ärzten die Übernahme oder der Aufbau einer Praxis ein zu großes Risiko. In der Einzelpraxis ist der Arzt ohne kollegialen direkten Fachaustausch im Team auf sich alleine gestellt. Vernetzen mit Kollegen ist dann als Ersatz schnell eine hohle Phrase. Gleichzeitig führt ein exzessives Verkaufsgebaren von Industrie, Handel und Baubranche im Bereich der Investitionsgütern schnell zu viel zu hohen Anlaufkosten einer Einzelpraxisgründung bzw. -übernahme (Stichwort: Einzelpraxis als Auslaufmodell).

Die Generation Y präferiert eine Selbst- statt Fremdbestimmung, fokussiert dadurch eher die besagte Work-Life-Balance statt Arbeit bis zum Burnout. Sinn und Zufriedenheit im Beruf statt Chef spielen und Teamarbeit statt Hierarchie stehen für sie im Vordergrund. Wenn sie eine Einzelpraxis übernehmen wollen, dann – wie bereits angedeutet – eher in einer späteren Berufs- und Lebensphase. Eine schnelle Übernahme einer Praxis steht damit (ganz) hinten an. Bei Ärztinnen mit Kindern fehlt dazu häufig jeder Euro.

Facharztberufe sind für die Generation Y generell attraktiver. Hier stimmen Bezahlung, Möglichkeiten der Anstellung in einem Krankenhaus, MVZ oder größeren Praxiseinheit und damit auch eine geringe unternehmerische Verantwortung. Das Angestelltendasein birgt zudem die Chance den Arbeitgeber und Standort zu wechseln um gemeinsam mit dem Lebenspartner woanders zu leben und zu arbeiten. Gleichzeitig kann man mit privaten und beruflichen Lebensentscheidungen – insbesondere lästige Festlegungen zu treffen – noch warten. Die bietet aber auch die Chance vor Ort bei einem Hausärztemangel bei entsprechend attraktiven Praxisformen „Einpendlerärzte“ aus Großstädten zu gewinnen.

Die jungen Ärzte wollen eher gemeinschaftlich arbeiten, sich fachlich austauschen und ihre Zeit nicht mit Bürokratie und Praxisführung verbringen, sondern sich auf die medizinische Behandlung konzentrieren. Das schließt eine Dauerbeschäftigung in einer „Ein-Mann-Filialpraxis“ einer MVZ-Gruppe wohl eher aus.

Manch ein Jungarzt sucht nebenbei lange das für „ihn“ bzw. häufiger für „sie“ Richtige. Diese maßgeschneiderte Praxis gibt es jedoch nicht. Ärzte, die zur Existenzgründung eine Praxis übernehmen wollen, finden selten Praxis, die mit denselben Schwerpunkten geführt wird, wie sie sich das selbst vorstellen. Damit werden auch Praxisübernehmer immer älter.

Die Generation Y ist zudem mit dem Internet aufgewachsen. Das „www“ und die daraus sich entwickelnden digitalen Kommunikationsmittel sind immanenter Bestandteil der Lebensform, die sie intensiv in allen Lebensbereichen nutzt. – Der Beweis, dass damit „junge“ Praxen IT-affiner und deutlich effizienter geworden sind, findet sich allerdings noch nirgends zum Nachlesen. Oder gilt doch nur: Privat „Tablet“, beruflich weiterhin Fax?

Ein weiterer Knackpunkt ist übrigens die Zweigliedrigkeit des Kassensystems: Ärzte lassen sich dort nieder, wo viele gut verdienende Privatversicherte leben. Das ist nun einmal die Stadt und nicht ein prekärer Stadtteil oder eine ländliche Region. Wer also seine Allgemeinarztpraxis in der Großstadt hat (sozialschwache Stadtgebiete sind dabei nahezu strikt ausgenommen), hat tendenziell auch mehr Privatpatienten und damit höhere Umsatzmöglichkeiten. Dass sich daraus aufgrund der teureren Umgebung nicht gleichzeitig auch bessere Verdienstaussichten ableiten lassen, ist noch nicht im allgemeinen Bewusstsein verankert.

Generation Y: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist zum zentralen Element geworden

Nochmals angesetzt, aber etwas anders formuliert: Das Interesse an einer angestellten (Fach)Arzttätigkeit steigt. Immer mehr Ärzte arbeiten in Teilzeit, viele legen Wert auf eine optimale Work-Live-Balance. Anders gesagt: Ärzte wollen nicht mehr rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Frauen arbeiten oft nur halbtags, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Im geregelten Klinik-Alltag kein Problem, mit eigener (Einzel-)Praxis aber undenkbar. Für viele Nachwuchsärzte ist daher eine Festanstellung im (kommunalen) Krankenhaus – zumindest für die erste Phase attraktiver. Hier haben Mediziner geregeltere Arbeitszeiten und eine Vertretung bei krankheitsbedingten Ausfällen.

Zuletzt: Die Attraktivität des Wohnumfeldes gewinnt gerade auch für (verheiratete) Nachwuchsärzte immer mehr an Bedeutung (Stichwort: „weiche“ Standortfaktoren wie z.B. Kinderversorgung, Bildungsangebot usw.). Hier punkten bereits zahlreiche Kommunen mit ihrer „Lebensqualität“: Es gehören aber auch immer Arztsitze und konkrete Einstiege in moderne delegative Praxen dazu. Nur „Altes“ dabei übernehmen zu sollen, schreckt ab.

In Summe gilt: Die Jungen wollen nicht so, wie es sich die Alten vorstellen (Stichwort Praxis-Abgeber). Die Generation Y, d.h. die nach 1980 Geborenen, stellt sich quer. Doch die Medaille hat nicht umsonst immer zwei Seiten. Dieses Querstellen hat bereits heute schon erkennbare Auswirkungen auf die Struktur der Praxen. Eine der positiven Folgen davon sind z.B. Effizienzsteigerungen durch Mehrbehandlerpraxen.

Hier geht es zur Publikation: Wie ist dem Ärztemangel auf dem Lande zu begegnen?