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Die Beseitigung der Hausarztlücke hat viele Hebel: Ein Beitrag von den Heilmittelerbringern?

In den nächsten zehn bis zwölf, vielleicht auch 15 Jahren zieht Zug um Zug eine Hausarztlücke von 50 bis 60 Prozent herauf. Interessierten wird mehr und mehr deutlich, dass ausschließlich moderne delegative Praxisstrukturen helfen, diese zumindest teilweise zu kompensieren. Dazu werden auch Effizienz- und Ersatzeffekte durch die ärztliche Fernbehandlung beitragen – soweit sie in der Fläche genehmigt und dort auch als Dienstleistung angenommen wird (Stichwort Fernbehandlung). Ebenso sind Effizienzsteigerungen abzusehen, wenn der Umfang der aktuell noch sehr zersplitterten Landschaft der Praxisverwaltungssysteme mit derzeit noch 174 unterschiedlichen Systemen deutlich abschmilzt und die zahlreichen Knebelverträge mit Hausärzten bis spätestens 2025 ein Ende finden. Dieses Problems haben sich die Kassenärztlichen Vereinigungen bereits angenommen (Stichwort Digitalisierung).

Tatsache ist aber auch, dass hierdurch die Hausarztlücke nur leicht gemindert werden kann. Auch der Zuwanderung von ausländischen Ärzten setzt der BÄK aus Qualitätsaspekten Grenzen. Die Zulassungsvoraussetzungen für ausländische Ärzte außerhalb der EU werden verschärft. Von rd. 45.000 in Deutschland tätigen ausländischen Ärzten (rd.12 Prozent aller tätigen Ärzte) kommen rd. 75 Prozent aus anderen europäische Ländern, hiervon die Mehrzahl aus EU-Mitgliedsstaaten.

Ein sogenannter „Direct Access“ könnte in Zukunft Hausärzte um rd. 6% entlasten

Da ist es doch interessant, dass sich „Kapazitätsersatz“ möglicherweise von ganz anderer Seite zusätzlich anbietet: So fordert der neugegründete Spitzenverbund der Heilmittelerbringer (SHV) Köln langfristig den „kurzen Weg – den Direktzugang“ ihrer Patienten zu seinen rd. 75.000 Mitgliedern. Der SHV, der rd. 90 Prozent des Gesamtumsatzes im Heilmittelbereich repräsentiert, setzt sich aus mehreren Branchenverbänden der Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Podologen und physikalischen Therapeuten zusammen.

Denn: Ohne ärztliche Verordnung erhalten die Patienten derzeit keine Heilmitteltherapie. Auf der SHV-Homepage heißt es dazu: „Ein solch arztzentriertes Gesundheitssystem nimmt Patienten ohne Not die Chance, eine zügige Versorgung zu erhalten. Eine zukunftsorientierte Alternative ist der Direktzugang (Direct Access). Internationale Studien belegen, dass der direkte Zugang der Patienten zur Heilmitteltherapie sowohl die Qualität als auch die Wirtschaftlichkeit der Versorgung verbessert.“ Der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) verweist ergänzend auf Studien beispielsweise aus Australien und argumentiert: „Der Direct Access sichert dort auch die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, wo die Arztpräsenz in der Fläche reduziert ist.“ (Stichwort Versorgungseffizienz)

Modellvorhaben in Deutschland zeigen bereits erste Potentiale des Direktzugangs auf. Diese sind z.B. effektivere Behandlungsverläufe (Wirksamkeit der Maßnahmen) und eine Steigerung der Effizienz (direkte Kosten, vermiedene Kosten). Auch wird die Anzahl der Behandlungseinheiten von den Therapeuten, gegenüber den Verordnungen der Ärzte, reduziert. Gleichzeitig werden die Ärzte in vielen Fällen nennenswert entlastet.

Wie könnten diese einzusparenden Kapazitätseffekte bei den Rezeptausstellern überschlägig greifbar gemacht werden? 2016 betrug die Anzahl der Verordnungsblätter 37,4 Mio. mit durchschnittlich 1,2 Heilmitteln (GKV-Heilmittel-Schnellinformation Gesamtjahr 2016). Geht man nur von einem durchschnittlichen Zeitbedarf von etwa fünf Minuten aus (der zusätzliche administrative Zeitaufwand des Praxispersonals, der wohl fast doppelt so hoch ist, ist darin nicht enthalten), so bedeutet dies, berechnet bei einer 40 Stunden-Woche eines an 190 Tagen arbeitenden angestellten Arztes die Kapazität von gut 2.000 Ärzten p.a. (Hausärzte einschl. Fachärzte aller relevanten Fachrichtungen ambulant und stationär).

Dabei dürfte es sich wohl eher um eine erste Untergrenze handeln, da hier das Stiefkind IT bei der Abwicklung keine unerhebliche Rolle spielt. Überschlägig könnte die Heilmittelerbringer mit einem Direct Access einen etwa fünf bis sechs prozentigen Einsparungsbeitrag, d.h. etwa ein Zehntel der Fehlkapazität in den nächsten zehn bis zwölf Jahren, liefern. Ob so ein Argument „Pro Direct Access“ (natürlich wissenschaftlich und repräsentativ berechnet und gewichtet) in die betreffenden Diskussionen eingeht?

Hier geht es zur Publikation: Wie ist dem Ärztemangel auf dem Lande zu begegnen?