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Ärztemangel in Österreich: Ein Blick in unser Nachbarland

Österreich Ärztemangel

DACH-Studie belegt eklatanten Ärztemangel in Österreich

Die vergangenen Oktober präsentierten Ergebnisse einer DACH-Studie zu den Gesundheitsausgaben in Österreich, Deutschland und der Schweiz des Berliner IGES Instituts und des Forschungsinstituts für Freie Berufe der Wirtschaftsuniversität Wien belegen einmal mehr die Warnungen der Ärztekammer: Es gibt zu wenig Ärztinnen und Ärzte in Österreich, sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in den Krankenhäusern (Spitälern), dies wird durch die kommende Pensionierungswelle noch weiter verschärft.

Gerade in der Diskussion über den Ärztemangel wurde über viele Jahre in den OECD-Statistiken mit Zahlen operiert, die keinen tragfähigen internationalen Vergleich ermöglichten. In zehn Jahren werden mehr als ein Drittel aller Ärztinnen und Ärzte im pensionsfähigen Alter sein, bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sogar fast 50 Prozent. Somit gehen jedes Jahr Stellen verloren, die bei Weitem nicht mit jungen Medizinerinnen und Medizinern nachbesetzt werden können. Der mittelfristige jährliche Nachbesetzungsbedarf liegt bei mindestens 1.450 Ärztinnen und Ärzten pro Jahr, um zumindest den Status quo zu erhalten. An den öffentlichen und privaten Universitäten gibt es zwar jährlich etwa 1.400 Medizinabsolventen, aber nur 60 Prozent davon nehmen eine ärztliche Tätigkeit in Österreich auf. Es gibt also ein reales Potenzial von nur 840 Absolventen pro Jahr. Um den tatsächlichen Bedarf zu decken, fehlen somit jährlich rund 610 ausgebildete Mediziner. Tatsächlich dürfte die jährliche Ausbildungslücke noch deutlich größer ausfallen. Angehende Medizinerinnen und Mediziner bevorzugen auch in unserem Nachbarland immer häufiger Teilzeitmodelle. Eine Umrechnung der jährlich effektiv zur Verfügung stehenden 840 Absolventen für Nachbesetzungen frei gewordener Arztsitze in Vollzeitäquivalente würde deren Zahl nochmals verringern (schätzungsweise auf rd. 640).

Weitere Verschärfung durch Pensionierungswelle

Die österreichische Politik ging aufgrund der OECD-Zahlen von einer besonders hohen österreichischen Ärztedichte im europäischen Vergleich und von einer Überversorgung aus, von der jedoch in der Realität nicht die Rede sein kann. Die Grundlagen der OECD-Berechnungen sind von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Österreich wurden in der Vergangenheit Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung stets als gleichwertig mitgezählt, obwohl sie noch nicht voll versorgungswirksam sind, bei der Berechnung der Ärztedichte anderer Länder werden Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung aber nicht mitgezählt. Daraus resultierte die Behauptung, dass Österreich in Europa die zweithöchste Ärztedichte habe.

Ein weiterer für die Beurteilung des künftigen Ärztebedarfs maßgeblicher Faktor ist, wie in Deutschland, die Altersstruktur. Der Anteil der Ärztinnen und Ärzte im Alter von mehr als 65 Jahren hat seit dem Jahr 2010 deutlich zugenommen und beträgt inzwischen in Deutschland 54,1 Prozent und in der Schweiz 54,8 Prozent. In Österreich ist er mit 55,9 Prozent am höchsten ausgeprägt.

Anzahl niedergelassener Ärzte in Österreich nach Alter und Geschlecht im Jahr 2018 (Quelle: Statista 2020)

Österreich: Ärzte dürfen seit Oktober 2019 Ärzte anstellen

Nachdem die ÖVP/FPÖ-Regierung am 21. Dezember 2018 die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) durch die Fusionierung von 21 Versicherungsträgern auf nunmehr fünf reformiert hat, begleitet die amtierende ÖVP/Grünen-Regierung angesichts überbordender Kosten und einem immer deutlicher werdenden Ärztemangel weitere Reformschritte. Ein Großteil der Vorschläge und Diskussionen erinnert an die Debatte in Deutschland vor rund 20 Jahren bis heute. Die Bandbreite reicht dabei von der Einführung ärztlicher Teilzeitmodelle über die Gründung größerer Praxiseinheiten bis hin zur Aufwertung des Berufs des Hausarztes durch die Einführung des „Facharztes für Allgemeinmedizin“ – in Deutschland existiert die Facharztausbildung seit 1972. (Lesen Sie auch: Zukunftsfeld „Kommunale Medizinische Versorgungszentren“)

Die Lücke von aktuell 157 Allgemeinmedizinern und 62 Fachärzten – in Deutschland sind es aktuell über 3.000 unbesetzbare Hausarztsitze (erwartet werden bis 2030 etwa 12.000) – zwingt dabei auch Österreich zum Handeln. Mit der Neuerung sollen Versorgungsengpässe behoben werden. Die Öffnungszeiten (Ordi-Zeiten) in den Praxen (Ordinationen) werden zum Teil verlängert.

Völlig neu aufgestellt wurde ab Herbst 2019 die medizinische Versorgung durch Kassenärzte: Seit 1. Oktober vergangenen Jahres dürfen Ärzte andere Mediziner bei sich in der Praxis (Ordination) anstellen. Österreich zieht damit bei den in Deutschland bereits seit über 20 Jahren geltenden (zuletzt geändert durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz 2006) nach. Darauf haben sich die österreichische Ärztekammer und Hauptverband der Sozialversicherungsträger geeinigt. Mit der Neuerung sollen die in den vergangenen Jahren immer schlimmer gewordenen Versorgungsengpässe (Stichwort: Ärztemangel) zumindest teilweise behoben werden.

Anforderungen der Generation-Y werden stärker berücksichtigt

Ein Arzt darf demnach maximal einen anderen (im Vollzeitäquivalent von 40 Stunden pro Woche) anstellen, Gruppenpraxen (vergleichbar mit deutschen Gemeinschaftspraxen) und Primärversorgungseinheiten (vergleichbar mit Gesundheitszentren) immerhin zwei. Die Versicherung rechnet die Leistungen mit dem Vertragsarzt ab, der angestellte Arzt erhält das zwischen ihm und dem Dienstgeber vereinbarte Entgelt. In Deutschland darf ein niedergelassener Arzt bis zu drei weitere Ärzte in Vollzeit beschäftigen, mit Ausnahmen sogar vier.

Als angestellter Arzt wird es auch möglich sein, in einem Teilzeit-Verhältnis zu arbeiten. Die Vereinbarung bilde die Wirklichkeit des Arbeitsalltags besser ab, da Teilzeitverhältnisse ermöglicht würden. „Wir wissen, dass vor allem junge Kolleginnen und Kollegen dem System oft verloren gehen, weil sie zu wenig attraktive Teilzeitarbeitsmodelle vorfinden“, sagt Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer.  

Österreichweit gibt es gem. dieser Kammer inzwischen bereits 470 Ausbildungsplätze für Jungmediziner beziehungsweise Turnusärzte in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner, 28 Primärversorgungseinheiten (vergleichbar mit Hausarzt-MVZ in Deutschland) sind aktiv oder im Aufbau, und bis 2021 sollen es 75 sein. Zumindest im niedergelassenen Bereich stünde nun eine „attraktive Alternative“ zur Verfügung. „Zum Beispiel im Falle eines Wiedereinstiegs nach einer Karenz“, sagt Steinhart. Ältere ordinationsführende Ärzte hätten zudem die Möglichkeit einer deutlichen Arbeitserleichterung vor ihrem Pensionsantritt.

Für die Patienten ergeben sich zum Teil verlängerte Ordi-Zeiten: Erfolgt die Anstellung zur Aufstockung der Vertragsarztstelle, müssen die Öffnungszeiten entsprechend angepasst werden. Erfolgt die Anstellung jedoch ohne Zusatzbedarf, gelten die bisherigen Öffnungszeiten des Vertragsarztes. Möglich sind befristete Anstellungen (im Falle eines zeitlich begrenzten Zusatzbedarfs) und unbefristete. Letzteres im Falle eines festgestellten Ärztemangels – wenn sich beispielsweise für eine unbesetzte Kassenstelle keine Bewerber bei der Ausschreibung finden.

Auch österreichische Experten begrüßen die Maßnahme: „Gruppenpraxen können damit ohne größeren Aufwand ihre Kapazitäten ausweiten“ und: „Die Anstellung kann für sie ein Karriere-Zwischenschritt sein, mit dem sie ohne wirtschaftliches Risiko Erfahrung in der Arbeit als niedergelassener Arzt sammeln können, ehe sie sich mit einer eigenen Ordination selbstständig machen.“ – Fazit: Kommt einem alles irgendwie bekannt vor. (Lesen Sie auch: Die Landarztquote allein wird es nicht richten)

Quelle: Kurier.at

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