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Ambulantisierungspotenzial in deutschen Kliniken

Über das Zusammenwachsen des stationären und ambulanten Sektors

Laut aktuellen Forschungsergebnissen könnten mindestens 20 Prozent aller Behandlungsfälle in Krankenhäusern ambulant vorgenommen werden. Im Jahr 2021 wären dies etwas mehr als 2,5 Millionen stationäre Eingriffe gewesen, welche ambulant hätten erfolgen können.

Das sind die zentralen Ergebnisse des vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) geförderten Forschungsprojekts „Ambulantisierungspotenzial in deutschen Akutkrankenhäusern“. Im Rahmen der Studie wurde das Ambulantisierungspotenzial anhand zweier unterschiedlicher Methoden untersucht. Demnach hätten nach den unterschiedlichen Modellen 2021 rund 2,6 respektive rund 2,7 Millionen stationär erbrachte Behandlungen ambulant vorgenommen werden können. Dies entsprach knapp 18 bzw. 19 Prozent aller stationären Behandlungsfälle. Die Schnittmengen beider Verfahren waren recht gering, wodurch das rechnerische Potenzial bei bis zu vier Millionen Fällen liegt. Unter den Fachabteilungen haben neben der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, die Strahlenheilkunde und die Augenheilkunde das größte Potenzial bei der Ambulantisierung stationärer Behandlungsleistungen. Eine zunehmende Ambulantisierung bei bisher stationär erbrachter Leistungen scheint vor allem angesichts der finanziellen und personellen Herausforderungen in der stationären Krankenhausversorgung, dringend angeraten. In den Kliniken in Deutschland könnte im Zuge der Ambulantisierung ein Erlösvolumen von bis zu 6 Milliarden Euro im stationären Bereich wegfallen. Dieses Volumen würde erreicht, wenn alle potenziell ambulanten Fälle nicht mehr im stationären Bereich erbracht würden, so eine Branchenstudie aus dem Jahr 2021. (Lesen Sie auch: Bis 2030 fehlen 50.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland)

Die stationäre Versorgung in Deutschland ist durch eine im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Bettenkapazität sowie eine übergroße Anzahl akutstationärer Krankenhausbehandlungen geprägt. Andere europäische Länder verzeichneten 2019 im Mittel vier Krankenhausbetten und 146 stationäre Behandlungsfälle pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Hingegen lag Deutschland mit sechs akutstationären Klinikbetten und 252 Behandlungsfällen pro 1.000 Einwohner deutlich darüber. Insbesondere aufgrund stark steigender Kosten für Klinikbehandlungen und des zunehmend deutlicher zu Tage tretenden Fachkräftemangels wird immer eindringlicher gefordert, bisher stationär erbrachte Leistungen in die ambulante Versorgung zu verlagern.

Dr. Christiane Wessel, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, bekräftigte, dass niedergelassene Ärztinnen und Ärzte deutlich zeiteffizienter und kostenökonomischer ambulant operieren könnten, als dies im stationären Bereich üblich sei. „In den stationären Preisen sind eben auch versorgungsferne Kosten enthalten, da muss die Klinik auch den Pförtner mitbezahlen. Auf der anderen Seite müssen die Vertragsarztpraxen aber auch Wettbewerbsnachteile gegenüber den Krankenhäusern ausgleichen. Etwa, weil die Vergütungen für die Praxen generell weniger günstig ausgestaltet sind als für vergleichbare Leistungen in Krankenhäusern. Hinzu kommen deutlich höhere Haftpflichtversicherungsprämien und massiv gestiegene Sachkostenpreise, die derzeit bei den zeitaufwendigeren Leistungen kaum noch aus den Pauschalen für die sektorengleiche Vergütung herausgewirtschaftet werden können. Während Klinikkonzerne ihre Preise durch Synergie- und Mengeneffekte drücken und so Nachteile bei der Zeiteffizienz ausgleichen können, stellen die in den neuen sektorengleichen Leistungspauschalen enthaltenen Sachkostenanteile bei aufwendigen Leistungen ein höheres Risiko für einzelne Praxen dar. Zudem werden in den Praxen immer Fachärztinnen und Fachärzte tätig, während in den Krankenhäusern nicht immer klar ist, ob der sogenannte Facharzt-Standard eingehalten wird. Damit die Pauschalen für sektorengleiche Leistungen tatsächlich breit genutzt und damit Ambulantisierungspotenziale gehoben werden, dürfen sie nicht nur für Krankenhäuser attraktiv sein, sondern müssen insbesondere für die Praxen attraktiv ausgestaltet werden“, so Wessel weiter.

„Um das hohe ambulante Potenzial bisher stationär erbrachter Leistungen zu heben, ist eine weitere Überarbeitung des AOP-Katalogs hinsichtlich der einbezogenen Leistungen sowie der Kontextprüfung unbedingt erforderlich“, sagte Prof. Dr. Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin. Der AOP-Katalog 2023 falle hinsichtlich der einbezogenen Leistungen deutlich hinter das im IGES-Gutachten aufgezeigte Potenzial zurück und müsste auch konservative Behandlungen umfassen. Mit einem Potenzial von rechnerisch bis zu 5,5 Millionen Fällen erscheine eine zunehmende Ambulantisierung bisher stationär erbrachter Leistungen angesichts der finanziellen und personellen Herausforderungen in der stationären Krankenhausversorgung, vor allem auch vor dem Hintergrund internationaler Vergleiche, aber dringend geboten.

„Insbesondere bei der onkologischen Versorgung wird deutlich, wie groß das Ambulantisierungspotenzial hierzulande ist. So werden in Deutschland Krebspatientinnen und -patienten doppelt so häufig stationär versorgt wie in anderen vergleichbaren Ländern. Hier müssen Behandlungsketten innovativ gedacht und neu sortiert werden. Insgesamt könnten Hybridinstitutionen, wie sie in den Level 1i-Versorgungseinrichtungen angedacht waren, eine wichtige Rolle auf dem Weg hin zu deutlich mehr Ambulantisierung einstmals stationärer Leistungen spielen. Voraussetzung ist aber eine starke Konzentration der eigentlichen stationären Fälle auf Krankenhäuser, die die im Krankenhausreformgesetz vorgesehenen Leistungsgruppen und die damit verbundenen Personalmindestanforderungen erfüllen“, so Busse abschließend.

Aktuelle Entwicklungen

Bislang werden in Deutschland sektorengleiche Leistungen, die sowohl ambulant als auch stationär erbracht werden können, unter verschiedenen Bedingungen und häufig mit signifikanten „Preisunterschieden“ vergütet. Demnach herrschen in Deutschland finanzielle Anreize Fälle stationär aufzunehmen, anstatt diese ambulant zu behandeln. Laut einer Studie des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) sind durchschnittlich 34% der anfallenden Kosten bei ambulanten Operationen im Krankenhaus nicht durch die Erlöse gedeckt. Strukturelle Rahmenbedingungen ambulanter Operationen im Krankenhausumfeld werden durch die EBM-Gebührenordnung als Vergütungsinstrument nicht ausreichend berücksichtigt, wodurch keine sachgerechte Vergütung stattfindet. Erfolgt die ambulante Operation durch einen am Krankenhaus tätigen Belegarzt, sind seine Leistungen ausschließlich nach den vertragsärztlichen Regelungen mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung abzurechnen. Erfolgt die ambulante Operation oder die Anästhesie allerdings durch einen Vertragsarzt, wird die Leistung vom Krankenhaus in Rechnung gestellt. 

Hybrid DRGs  

Die Einführung von Hybrid-DRGs für eine sektorengleiche Vergütung bestimmter Prozeduren soll den vorherrschenden Fehlanreizen sowie der nicht sachgerechten Vergütung der Krankenhäuser entgegenwirken. Hybrid-DRGs würden auch als strukturelle Voraussetzung die Ausweitung der Ambulantisierung noch stärker vorantreiben. Demnach sollten Vergütungen durch den GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vereinbart werden, die jeweils für Krankenhäuser und Vertragsärzte identisch sind und nur nach Schweregrad des Behandlungsfalls variieren. Da es zu keiner fristgerechten Einigung durch die Selbstverwaltungspartner kam, liegt die Verantwortung und Fortsetzung nun beim Bundesgesundheitsministerium. Die Einführung der Hybrid-DRGs erfolgte zum 01. Januar 2024.  

Exkurs: Was sind (Hybrid) DRG?

Hybrid-DRGs (Diagnosis Related Groups) sind ein Konzept im Gesundheitswesen, das eine Kombination aus stationären und ambulanten Behandlungsformen innerhalb eines Fallpauschalensystems ermöglicht. Dieses System wurde entwickelt, um die Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern, indem es eine flexiblere und patientenzentrierte Behandlung ermöglicht. DRGs sind dabei ein Klassifikationssystem, das Patienten in Gruppen mit ähnlichen klinischen Merkmalen und ähnlichem Ressourcenverbrauch einteilt. Das Ziel ist es, die Krankenhausfinanzierung zu standardisieren und eine leistungsgerechte Vergütung zu gewährleisten. In Deutschland wurde dieses System im Jahr 2003 eingeführt und hat die Abrechnung von Krankenhausleistungen revolutioniert.

Hybrid-DRGs erweitern das klassische DRG-System, indem sie eine integrierte Betrachtung von stationären und ambulanten Behandlungen ermöglichen. Sie bieten eine einheitliche Vergütung für eine komplette Behandlungskette, unabhängig davon, ob bestimmte Leistungen stationär oder ambulant erbracht werden. Dies soll verhindern, dass ökonomische Anreize zu einer nicht bedarfsgerechten Verlagerung von Behandlungen führen.

AOP Katalog

Befeuert werden soll die Ambulantisierung auch durch die Ausweitung des AOP-Katalogs um zusätzliche ambulante, stationsersetzende Operationen. Zum 1. Januar 2024 wurde dieser um 171 OPS-Kodes erweitert – das entspricht rund 300.000 vollstationären Fällen pro Jahr, die künftig ambulant erbracht werden können. 

Im Rahmen der Erweiterung des AOP-Katalogs sowie der Einführung der Hybrid-DRGs wird sich der Trend dahingehend bewegen, dass sektorenübergreifend die Anzahl ambulanter Operationen steigen wird inklusive der gleichzeitigen Verlagerung stationärer Eingriffe in den ambulanten niedergelassenen Bereich. 

Der AOP-Katalog (Ambulantes Operieren im Krankenhaus) ist eine Liste von medizinischen Eingriffen und Prozeduren, die in Deutschland ambulant in Krankenhäusern durchgeführt und abgerechnet werden können. Er wurde von den gemeinsamen Selbstverwaltungspartnern im Gesundheitswesen, insbesondere den Krankenkassen und Krankenhausgesellschaften, entwickelt und festgelegt. Der AOP-Katalog dient dazu, bestimmte Operationen und Eingriffe, die früher typischerweise stationär durchgeführt wurden, als ambulant durchführbar zu klassifizieren. (Lesen Sie auch: Unzufriedenheit niedergelassener Ärzte nimmt dramatisch zu)

Die nachfolgende Abbildung zeigt die Anzahl ambulant operativer Prozeduren in den Top 10 Fachbereichen. Demnach fanden im Jahr 2021 an deutschen Kliniken die meisten ambulanten Eingriffe mit rund 479.000 Eingriffen im Bereich der Inneren Medizin statt, gefolgt von den Fachabteilungen für Frauenheilkunde sowie Allgemeine Chirurgie. Betrachtet man allerdings den Anteil der ambulant erbrachten Prozeduren in den Krankenhäusern im Verhältnis zu den gesamten operativen Prozeduren (also inkl. stationär), so wird deutlich, dass im Bereich der Augenheilkunde der Anteil an ambulanten Operationen mit knapp 46,3% mit Abstand am höchsten ist. Danach folgt die Plastische Chirurgie mit einem Anteil ambulanter Eingriffe von 30,9%. Im Vergleich ist der Ambulantisierungsgrad zwischen den Fachbereichen sehr heterogen verteilt. Dies kann durch strukturelle Voraussetzungen sowie medizinische Anlässe begründet werden. 

Quelle: Pressemitteilung von Gesundheitsmarkt.de vom 11.01.2024

Quellen: Zi, Pressemitteilung vom 18. April 2024; Gesundheitsmarkt.de, Pressemitteilung vom 11. Januar 2024