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Sind kommunale MVZ Zuschussbetriebe?

Kommunales MVZ Gewinnermittlung

Mittlerweile existieren rd. 40 Medizinische Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft. Aussagen zur Wirtschaftlichkeit sind dennoch dürftig, da die meisten kommunalen MVZ erst innerhalb der letzten zwei bis drei Jahre den Betrieb aufgenommen haben. Unter vielen kommunalen Akteuren – welche eine MVZ-Gründung erwägen – herrscht verständlicherweise häufig noch Unklarheit darüber, ob ein Medizinisches Versorgungszentrum in kommunaler Trägerschaft ein Zuschussbetrieb ist oder ähnlich den vielerorts bekannten „Einweiser-MVZ“ von Kliniken jährliche Defizite aufweist. Wir sehen uns die MVZ-Branche daher genauer an:

Der MVZ-Markt im Kurzüberblick

Ende März 2024 existierten in Deutschland mittlerweile mehr als 5.300 MVZ (31.12.2022: 4.574). Im Jahr 2023 waren davon 44 % in der Trägerschaft von Vertragsärzten, gefolgt von 42 % in Trägerschaft eines Krankenhauses. Die restlichen 14 % befanden sich in sonstiger Trägerschaft (z.B. von Gesundheitszentren, Kommunen, Dialysezentren etc.). (Lesen Sie auch: Update zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz GVSG)

Die Anzahl der MVZ variiert stark je nach Bundesland. Zum Beispiel gibt es in Bayern mit Abstand die meisten MVZ (878), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (475) und Baden-Württemberg (365). Die Verteilung zeigt, dass in allen Bundesländern ein Anstieg der MVZ-Zahlen zu verzeichnen ist. Die größten Facharztgruppen innerhalb der MVZ waren Stand 2023:

  • Hausärzte: 4.048 Ärzte
  • Fachärztlich tätige Internisten: 3.324 Ärzte
  • Chirurgen und Orthopäden: 2.566 Ärzte
  • Radiologen: 1.878 Ärzte
  • Augenärzte: 1.802 Ärzte
  • Frauenärzte: 1.745 Ärzte
  • Neurologen: 1.083 Ärzte

Laut den aktuellen Daten sind etwa 28.140 Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland tätig. Insgesamt gibt es etwa 156.000 ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Das bedeutet, dass etwa 18% der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte ihren Beruf in einem MVZ ausüben.

Aktuelle ärztliche Honorarvolumina

Das Statistische Bundesamt veröffentlicht regelmäßig Statistiken zu Arzthonoraren. 2021 nahm jede Arztpraxis im Durchschnitt 756.000 Euro ein, unabhängig ob Einzel- oder Gemeinschaftspraxis, MVZ oder Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). 

  • Allgemeinmedizinische Praxen: Durchschnittliche Einnahmen von ca. 537.000 Euro.
  • Praxen der Inneren Medizin: Durchschnittliche Einnahmen von ca. 749.000 Euro.
  • Radiologie, Nuklearmedizin, Strahlentherapie: Diese Praxen verzeichnen die höchsten Einnahmen mit durchschnittlich ca. 2.836.000 Euro.
  • Zahnarztpraxen: Durchschnittliche Einnahmen von ca. 791.000 Euro.
  • Praxen psychologischer Psychotherapeuten: Durchschnittliche Einnahmen von ca. 127.000 Euro.

Den Einnahmen standen Aufwendungen von durchschnittlich 420.000 Euro pro Arztpraxis gegenüber, die Personalkosten betrugen zwischen 50-60 Prozent. Damit blieb im Durchschnitt ein Reinertrag von 336.000 Euro je Arztpraxis übrig. 2011 lag der durchschnittliche Reinertrag noch bei 234.000 Euro. Mit rd. 70 Prozent entfällt der überwiegende Teil der Einnahmen der Arztpraxen auf Kassenabrechnungen. 

Bei Zahnarztpraxen betrugen die durchschnittlichen Aufwendungen 510.000 Euro, mit einem Reinertrag von 281.000 Euro. Psychotherapeutische Praxen hatten im Durchschnitt Aufwendungen von 36.000 Euro und einen Reinertrag von 91.000 Euro.

MVZ-Umsätze

Ein Blick auf die entsprechenden Zahlen für MVZ weist für 2021 durchschnittliche Einnahmen aus ärztlicher Tätigkeit in Höhe von 3,4 Mio. Euro (2019: 2,7 Mio. Euro). Der Reinertrag kann bei MVZ je nach Fachrichtung und Größe stark variieren, liegt jedoch typischerweise zwischen 10-20% der Gesamteinnahmen.

Bei einem Umsatz von 3,4 Millionen Euro ergibt dies einen durchschnittlichen Reinertrag von etwa 340.000 bis 680.000 Euro pro Jahr. Radiologen haben in Deutschland übrigens die höchsten Einnahmen unter den Ärzten – mit weitem Abstand gefolgt von den anderen Facharztgruppen. Laut Statistischem Bundesamt erzielten 2021 die Praxen der Fachgebiete Radiologie, Nuklearmedizin und Strahlentherapie mit rd. 1,15 Mio. Euro im Schnitt den höchsten Reinertrag, Praxen der Kinder- und Jugendmedizin kamen auf durchschnittlich 271.000 Euro und der Orthopädie auf 214.000 Euro Reinertrag.

Das Umsatzvolumen von Hausarztpraxen

Obwohl die Hausarztpraxen die Pfeiler für die Grundversorgung bilden, lagen sie 2021 mit durchschnittlichen Einnahmen von 537.000 Euro deutlich unter den Einkünften vergleichbarer Fachärzte. Man kann dies auf die niedrigere Kopfpauschale zurückführen. Die Krankenkasse honoriert jede Behandlung mit einem festgesetzten Betrag, egal wie umfangreich diese ist. Bei Allgemeinmedizinern liegt diese niedriger als beispielweise bei einem Orthopäden. Hinzu kommt, dass die Einkünfte von Hausärzten aus sonstigen Tätigkeiten und privaten Behandlungen geringer sind. 

Die durchschnittliche Kostensteigerung lässt sich durch einen allgemeinen Anstieg der Mieten und der Gehälter erklären. Hier zeigt sich, dass Fachpraxen wie auch Hausärzte eine ähnliche Kostensteigerung zu verzeichnen haben.

Fachärzte haben höhere Aufwendungen aber auch einen größeren Reinertrag

Häufig sind fachärztliche Untersuchungen wie etwa Röntgenaufnahmen und Ultraschalluntersuchungen mit einem finanziellen Mehraufwand verbunden. Entsprechend sind auch die kassenärztlichen Fallpauschalen höher. Dies soll den eingangs hohen Investitionen Rechnung tragen und stellt im Endeffekt eine Rendite auf derlei Investitionen dar. Trotz der gestiegenen Aufwendungen für Personal und Material können die Fachpraxen also einen höheren Reinertrag ausweisen, weil sie für die Behandlung eine größere Patientenpauschale erhalten. 

Privatabrechnungen nehmen zu

Individuelle Gesundheitsleistungen versprechen eine bessere Heilung, gehören aber häufig nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen. Für Fachärzte sind sie besonders attraktiv, weil sie mit einem höheren Kostenfaktor abgerechnet werden können. Wie wichtig die selbstständigen Tätigkeiten für eine Praxis sind, lässt sich besonders gut am Beispiel der Zahnärzte zeigen. Im Jahr 2019 rechneten diese Leistungen in Höhe 410.000 Euro mit den gesetzlichen Krankenkassen ab. Die Höhe der Einkünfte aus selbstständiger zahnärztlicher Tätigkeit beträgt für diesen Zeitraum 381.000 Euro. Zahnärzte erwirtschaften damit fast die Hälfte ihres Umsatzes mit Privatabrechnungen.

Bei Hausärzten liegt der Anteil der Privatabrechnungen je nach Praxisstandort typischerweise zwischen 10-15%. Doch nicht nur die geographische Lage, sondern insbesondere die Persönlichkeit des Praxisinhabers spielt hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Fachärzte wie Radiologen, Dermatologen und Orthopäden haben oft höhere Anteile an Privatabrechnungen, die bis zu 30-40% ihrer Gesamteinnahmen ausmachen können. In Zahnarztpraxen sind die Einnahmen aus Privatabrechnungen wie oben bereits geschildert besonders hoch, oft bis zu 50%.

Erkennbare Entwicklungen 

„Mit dem Ziel, die hausärztliche Versorgung zu stärken und auch künftig flächendeckend zu gewährleisten, wird zudem die Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit in der allgemeinen hausärztlichen Versorgung dauerhaft finanziell attraktiver ausgestaltet und die Hausarztpraxen zugleich von medizinisch nicht notwendigen Arzt-Patienten-Kontakten entlastet“, so die im Referentenentwurf formulierte Zielsetzung. Diese Stärkung soll u.a. durch die Entbudgetierung und sogenannte jahresbezogene Versorgungspauschalen erfolgen. Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung sollen demnach von mengenbegrenzenden oder honorarmindernden Maßnahmen ausgenommen werden. Somit werden alle Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung, die im dritten Kapitel des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) abgebildet sind, sowie hausärztlich durchgeführte Hausbesuche, die nach Kapitel 1.4 des EBM abrechenbar sind, von den Krankenkassen in voller Höhe vergütet werden.

Diese Entbudgetierung kritisiert der Verband der Ersatzkassen e.V (vdek) gerade mit Blick auf den gleichzeitigen Wegfall der Primärversorgungszentren: „Auf den Prüfstand gestellt werden muss auch die vollständige Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen. Statt hier Versichertengelder mit der Gießkanne auszuschütten, brauchen wir insbesondere für ländliche Regionen zielgenaue, vernetzte Lösungen. Bedauerlich ist daher, dass gerade die Primärversorgungszentren wieder aus dem Gesetzentwurf gestrichen wurden. Diese sind mit dem Ersatzkassenvorschlag für Regionale Gesundheitszentren (RGZ) vergleichbar. Stattdessen wird der Bonus für die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung nur die Kosten erhöhen, ohne dass die Versorgung verbessert wird.“

Zudem soll der Bewertungsausschuss beauftragt werden, abweichend von der derzeitigen quartalsabhängigen Versichertenpauschale für die kontinuierliche Versorgung chronisch kranker Patientinnen und Patienten eine jahresbezogene Versorgungspauschale im EBM zu beschließen. Damit sollen dem BMG zufolge unnötige Arzt-/Praxis-Patienten-Kontakte vermieden und gleichzeitig eine angemessene Honorierung der hausärztlichen Leistungen gewährleistet werden. 

Zusätzlich zur jahresbezogenen Versorgungspauschale soll der Bewertungsausschuss eine Vorhaltevergütung für die hausärztliche Grundversorgung beschließen. Zu den vom Bewertungsausschuss festzulegenden Kriterien sollen unter anderem eine Mindestanzahl von 450 zu versorgenden Patienten je Arzt und je Quartal, eine „bedarfsorientierte Erbringung“ von Haus- und Pflegeheimbesuchen sowie „bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten, die regelmäßige monatliche Abendsprechstunden und ein ergänzendes Angebot an Samstagssprechstunden“ umfassen, gehören. 

Wirtschaftlichkeit von privatwirtschaftlichen und kommunalen MVZ

Eines vorweg: Die Trägerschaft, ob vertragsärztlich oder kommunal, hat auf den laufenden Betrieb (und für den Patienten) des Medizinischen Versorgungszentrums zunächst keinerlei Einfluss. Im Folgenden unterscheiden wir daher nicht zwischen diesen beiden Trägerschaften. (Lesen Sie auch: Landarztquote teilweise weniger erfolgreich als erwartet)

Da die Mehrheit der Medizinischen Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft hausärztlich ausgerichtet ist, betrachten wir diese Facharztausrichtung genauer. Die folgenden Berechnungen stellen exemplarisch die Gewinn- und Verlustrechnung eines Medizinischen Versorgungszentrums in kommunaler Trägerschaft im 4. Betriebsjahr dar. Die GKV- wie Privateinnahmen könnten dabei durchaus rd. 10 % höher liegen als im vorliegenden Beispiel. Ferner wurde unterstellt, dass der „Praxisaufbau“ abgeschlossen ist, d.h. die Anzahl der zu behandelnden Patienten je Arzt pro Quartal vorerst nicht weiter signifikant steigen wird. Im vorliegenden Beispiel werden die Ärzte im MVZ mit 20 Prozent am Gewinn beteiligt. 

Abb. 1: Exemplarische Gewinn-und-Verlustrechnung kommunales MVZ mit 3,0 Kassensitzen (hausärztlich), eigene Darstellung