Klaus Peter Schellhaas, seit 2009 Landrat des Landkreises Darmstadt-Dieburg und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Hessischen Landkreistages, im Gespräch mit Impulse über die Gründung Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) in kommunaler Trägerschaft.
Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.
Impulse: Herr Schellhaas, Sie haben seit 2014 mit nunmehr sieben MVZ im Landkreis Darmstadt-Dieburg ein dichtes Netz an haus- und fachärztlichen Versorgungsangeboten aufgebaut. In Ihrem Interview mit unserem Magazin vom Januar 2020 betonten Sie die enge Zusammenarbeit zwischen den kommunalen MVZ, den niedergelassenen Ärzten und den Bürgermeistern. Wie hat sich diese Zusammenarbeit in den nunmehr gut 1 ½ Jahren weiterentwickelt?
Schellhaas: Ein Teil unseres Erfolges ist die sehr enge Zusammenarbeit und der ständige Austausch aller Beteiligten, sowohl den niedergelassenen Ärzten, unseren Bürgermeistern und den vielen anderen Akteuren auf dem Gesundheitsmarkt. Durch die Etablierung mehrerer Beiräte sind wir sehr nah an den Entwicklungen in einzelnen Städten und Gemeinden als auch an bundesweiten Neuerungen, wie etwa durch unseren Fachbeirat, in dem sich Experten austauschen, oder unserem regionalen Beirat, in dem sich die Bürgermeister besprechen. Runde Tische mit den niedergelassenen Ärzten runden diese Zusammenarbeit ab und ergeben für uns ein komplettes Bild der aktuellen Versorgungssituation.
Impulse: Die Jahre 2020 und 2021 waren und sind aufgrund der Corona-Pandemie für den ärztlichen Bereich eine große Herausforderung. War es für Sie als Landrat von Vorteil, auf ein Netz an ärztlichen kommunalen Einrichtungen zurückgreifen zu können? Oder spielte die kommunale Trägerschaft der MVZ hierbei keine Rolle?
Schellhaas: Sowohl in unseren kommunalen MVZ als auch bei den niedergelassenen Haus- und Fachärzten im Landkreis war und ist die Corona-Pandemie eine große Herausforderung. Durch unsere hausärztlichen MVZ sind wir sehr nah an den Patienten und Bewohnern unseres Landkreises. Wir haben Erfahrungen in vorderer Reihe sammeln können und beteiligen uns auch in hohem Ausmaß an den Corona-Impfungen. Wir arbeiten hier Seite an Seite, um der Pandemie und deren Auswirkungen entgegentreten zu können. Regional sind unsere kommunalen MVZ natürlich sehr wichtig, die Rolle der Trägerschaft ist hier zweitrangig.
Impulse: Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen waren Anfang 2020 in den hausärztlichen Planungsbereichen Dieburg/Groß-Umstadt im Osten des Landkreises und Darmstadt im Westen (einschl. Stadt Darmstadt) 15,5 bzw. 5 Hausarztsitze unbesetzt. Diese Zahlen stiegen mit Stand 3/2021 auf 17,5 bzw. 5,5 freie Hausarztsitze an. Inwieweit helfen die kommunalen MVZ als größere Praxiseinheiten dabei den bestehenden Ärztemangel aufzufangen? Ich denke hierbei v.a. an den Einsatz von Telemedizin, nichtärztlichen Praxisassistentin usw.
Schellhaas: Bis zum Jahr 2030 werden wir in unserem Landkreis, und die Statistiken zeigen hier eine bundesweite Tendenz, über 65% der hausärztlichen Versorgungsaufträge nachbesetzen müssen. Diese Entwicklung ist seit Langem bekannt und aktuelle Beispiele zeigen, dass nicht nur im ländlichen Raum, sondern auch in den Städten Hausärzte keine Nachfolger mehr finden. Wir konnten in den vergangenen Jahren sehr gute Erfahrungen mit speziell ausgebildeten nicht-ärztlichem Personal (NäPA) in unseren MVZ sammeln. Unsere Ärzte werden entlastet und sowohl unsere NäPAs als auch unsere ambulanten Case-Manager sind in der Kombination Telemedizin ein guter Schritt, die medizinische Versorgung der Bevölkerung auf einem sehr hohen Niveau aufrecht zu erhalten.
Impulse: Sind derzeit weitere MVZ in Planung? In unserem letzten Gespräch vom Januar 2020 strebten Sie den Aufbau von drei zusätzlichen hausärztlichen MVZ-Standorten im Landkreis an.
Schellhaas: Wir haben konkret den Aufbau eines weiteren hausärztlichen MVZ im Süden unseres Landkreises, in der Gemeinde Alsbach-Hähnlein, in der Umsetzung. Konkrete Anfragen von weiteren Städten und Gemeinden und Ärzten, die keine Nachfolger finden, erreichen uns fast wöchentlich. Hier ist jedoch ein abgestimmtes Procedere einzuhalten, was auch die niedergelassenen Ärzte mit einbezieht und auch die wirtschaftliche Seite betrachtet. Hierzu sind wir in enger Abstimmung mit den Städten und Gemeinden, um auch kurzfristig Lösungen bieten zu können, falls die notwendig sind.
Impulse: Sie haben damals ja ganz bewusst die MVZ in die alleinige Trägerschaft des Landkreises übernommen und z.B. das Kreisklinikum und auch niedergelassene Ärzte als mögliche Träger eines kommunalen MVZ außenvorgelassen. Hat sich dieser Weg im Nachhinein bestätigt?
Schellhaas: Es gibt nicht nur einen Weg, und so ist die Trägerschaft auf viele Weisen möglich. Hier gibt es meist nicht richtig oder falsch – für uns war ein Vorteil, den Landkreis als Träger einzurichten, zum einen eine mögliche höhere Akzeptanz im Vergleich zu den oftmals privatrechtlich betriebenen „Krankenhaus – MVZ“, zum anderen war von Anfang an eine sehr gute Vernetzung im Landkreis selbst gegeben. Zudem konnten wir uns auf die Entwicklung unserer kommunalen MVZ fokussieren, das wäre als, anfangs kleiner Bestandteil einer großen Klinik, vielleicht untergegangen. Wie gesagt, gibt es hier viele Wege, die genauso gut umgesetzt hätten werden können. Wir sind jedenfalls sehr zufrieden mit der Entwicklung.
Impulse: Mit Ihrem hausärztlich-internistischen MVZ waren Sie eines von acht bundesweiten PORT-Projekten der Robert-Bosch-Stiftung. Die im Mai 2021 veröffentlichte Studie „Gesundheitszentren für Deutschland – Wie ein Neustart in der Primärversorgung gelingen kann“ baut auf den Erkenntnissen aus diesem Förderprogramm auf und gibt einige Antworten auf die kommenden Herausforderungen. Was waren im Rückblick gesehen für Sie die Vorteile am Förderprojekt teilzunehmen?
Schellhaas: Glücklicherweise konnten wir uns für eine Weiterförderung bei der Robert-Bosch-Stiftung bewerben und haben diese Förderung auch bis zum Jahr 2023 erhalten. Ein toller Erfolg für unseren Landkreis und unsere MVZ. Natürlich ist der finanzielle Aspekt, welcher eine solche Förderung mit sich bringt sehr wichtig um einzelne Projekte zu etablieren und auch Personal hierfür zu gewinnen. Mindestens genauso wichtig ist jedoch die bundes- und auch weltweite Vernetzung, die die Zusammenarbeit mit der Robert-Bosch-Stiftung mit sich bringt. Gemeinsam mit den anderen Förderpartnern ist ein Netzwerk entstanden, welches die gemeinsamen zukünftigen Herausforderungen leichter bewältigen lässt.
Impulse: Sie führen die fünf Landkreis-MVZ des „Zentrums der Medizinischen Versorgung (MVZ) GmbH“ als GmbH. Der Landkreis ist Alleingesellschafter. Bei aktuellen Gründungsvorhaben von kommunalen MVZ in Form einer GmbH taucht immer wieder das Problem der Sicherheitsleistung gegenüber der jeweiligen KV auf. Dabei ist KV-seitig eine mögliche Deckelung der Bürgschaft auf Basis § 232 BGB nicht beliebt, bundesweit wird zu Beginn immer auf eine nicht gedeckelte „selbstschuldnerische Bürgschaft“ bestanden. Dies verunsichert viele Rechtsaufsichten und Landratskollegen. Was können Sie diesen mit auf den Weg geben
Schellhaas: Auch bei unserem ersten MVZ gab es die Fragestellung mit der selbstschuldnerischen Bürgschaft für die KV. Man muss mutig sein und durch intensive Gespräche mit unserer Aufsichtsbehörde, der KV und unserem Landkreis, die damals wie heute dasselbe Ziel verfolgten, nämlich die Versorgung der Bevölkerung. So konnte eine Lösung gefunden werden. Die drohende ärztliche Unterversorgung und die Daseinsvorsorge sind hier die ausschlaggebenden Punkte. Mittlerweile handelt die KV nach dem Motto – Beratung vor Regress – womit eine Inanspruchnahme der Bürgschaft sehr unwahrscheinlich geworden ist.
Impulse: Herr Schellhaas, herzlichen Dank für das interessante Gespräch und weiterhin viel Erfolg!
Schellhaas: Sehr gerne!
Weitere informative Beiträge zu den Themen moderne medizinische Versorgung und Bewältigung des Ärztemangels finden Sie in unserem Magazin Impulse