Herr Bernd Rieger, seit 2012 Sozius der Rechtsanwaltskanzlei für Heilberufe sowie Wirtschafts- und Unternehmensrecht KLAPP RÖSCHMANN RIEGER mit Niederlassungen in München, Augsburg und Koblenz, im Gespräch mit Impulse über rechtliche Hürden bei der Gründung kommunaler Medizinischer Versorgungszentren.
Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.
Impulse: Bundesweit werden immer mehr Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in privater oder kommunaler Trägerschaft gegründet. Inwieweit unterscheiden sich diese in den zentralen Punkten Zielsetzung, Konzept und Gründungsaufwand?
Rieger: Allgemeingültige Unterschiede in Konzept und Zielsetzung vermag ich nicht auszumachen. Ich würde vielmehr nach der Art und Weise der Gründungsvorhaben differenzieren. Ist ein Medizinisches Versorgungszentrum Ergänzung zu dem Versorgungsangebot eines Krankenhauses, sind nach meinen Erfahrungen Zielsetzung und Konzept kommunaler Krankenhausbetreiber denen privatärztlicher Krankenhausbetreiber sehr ähnlich. Festzustellen ist aber zugleich, dass in unterschiedlichen Versorgungsbereichen die Marktpräsenz von kommunalen und privaten Betreibern unterschiedlich hoch ist. So ist beispielsweise die hausärztliche Versorgung in unterversorgten Gebieten eher Betätigungsfeld kommunaler Betreiber. Die Zahnärztliche-MVZ-Kette das Gegenbeispiel.
Der Gründungsaufwand ist jeweils hoch, die Hürden an unterschiedlichen Stellen. Kommunale Gründungsvorhaben kämpfen oftmals mit kommunalgesetzlichen Einschränkungen; wie dem teilweise bestehenden Verbot unbefristete Bürgschaften zu stellen. Für private Betreiber ist der Zugang zur Versorgung gesetzlich versicherter Patienten nur über den Erwerb und Betrieb eines Plankrankenhauses sinnvoll möglich.
Impulse: Bleiben wir bei den kommunalen MVZ. Bei der Gründung kommunaler MVZ trifft der bundesweit geltende § 95 SGB V auf die von Bundesland zu Bundesland etwas unterschiedlichen Kommunalgesetzgebungen. Welche Schwierigkeiten ergeben sich daraus für den Gründungsprozess und die Genehmigung der Rechtsaufsicht?
Rieger: Kommunalrecht ist Ländersache. Dies hat die Konsequenz, dass den in § 95 SGB V einheitlich festgelegten MVZ-Gründungsvoraussetzungen in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche kommunalrechtliche Vorbehalte entgegenstehen. Potenziert werden die hieraus resultierenden regionalen Besonderheiten dadurch, dass die in den einzelnen Bundesländern für die Zulassung Medizinischer Versorgungszentren zuständigen Zulassungsgremien ebenfalls sehr individuell und ohne Abstimmung mit den Gremien anderer Bundesländer entscheiden und Rechtsauffassungen entwickeln. Überspitzt formuliert, beginnen medizinrechtliche Berater, wenn sie zum ersten Mal ein neues Bundesland betreten, wieder “bei Null“.
Impulse: Im Februar 2020 gab das Bundesgesundheitsministerium ein Gutachten zu den Gründungsvoraussetzungen für MVZ in Auftrag. Darin wird, wie es scheint, eine mögliche „Behinderung“ für die MVZ-Gründung, mittels einer Erhöhung der dazu notwendigen Arztsitze empfohlen: Diese soll laut Gutachter von derzeit zwei auf drei volle Versorgungsaufträge ansteigen. In Regionen mit Unterversorgung oder lokalem Versorgungsbedarf sollen wie bisher zwei volle Versorgungsaufträge zur Gründung ausreichen. Wie stark wird sich diese Regeländerung auf die Gründung von privatwirtschaftlichen und kommunalen MVZ auswirken?
Rieger: Kommt es zu dieser Gesetzesverschärfung wären weit mehr als 90 % der MVZ-Gründungen, die ich in den letzten Jahren anwaltlich begleitet habe, unmöglich. Hinzu kommt, dass derzeit in den meisten Bundesländern die Rechtsauffassung vertreten wird, dass die Gründungsvoraussetzungen eines MVZ bereits gegeben sind, wenn sich zwei Vertragsärzte einen Vertragsarztsitz teilen. Hierdurch ist die in der Praxis oftmals anzutreffende Fortführung einer Einzelpraxis durch zwei angestellte Vertragsärzte als MVZ möglich. Die Situation, dass drei Vertragsärzte mit jeweils vollem Versorgungsauftrag bereits zu einer Berufsausübungsgemeinschaft verbunden sind und gleichzeitig abgeben wollen, kommt in der Lebenswirklichkeit praktisch nicht vor. Die Gesetzesverschärfung würde also eine weitere Konzentration von Vertragsarztsitzen hin zu den in den Ballungsgebieten bereits existierenden MVZ bewirken, was das Gegenteil dessen ist, was der Gesetzgeber mit dem Leitbild der Praxiserhaltung erreichen möchte. In Regionen mit Unterversorgung oder lokalem Versorgungsbedarf auf eine Gesetzesverschärfung zu verzichten, wird keine Auswirkungen haben. Hier wäre aus meiner Sicht angezeigt über weitere Gründungs- und Niederlassungsanreize nachzudenken.
Impulse: Gleichzeitig wird empfohlen, dass die Jahre, die ein bisher freiberuflich niedergelassener Arzt beim Einbringen seines Arztsitzes in ein MVZ in demselben angestellt sein muss, verringert werden sollen. Diese Frist soll von drei auf ein Jahr sinken. Aus unserer Sicht wird dies gerade in noch voll versorgten Gebieten eine der großen Gründungshindernisse für MVZ beseitigen. Wie sieht das „auf dem Lande“ aus? Wie bewerten Sie beides?
Rieger: Ich teile Ihre Einschätzung. Ein wesentliches Gründungshindernis ist derzeit, dass es nicht mehr in die Lebensplanung eines Abgebers passt, sich drei Jahre beim Übernehmer anstellen zu lassen. In Bedarfsplanungsbereichen, die nicht gesperrt sind, dürfte es keine Auswirkungen geben, da dort regelmäßig zur rechtssicheren Übertragung eines Vertragsarztsitzes der Verzicht zu Gunsten einer Anstellung beim Übernehmer nicht erforderlich ist.
Impulse: Wie sieht es mit der Soll-Anzahl von zu belegenden Arztsitzen aus. Wann und wie lange muss diese Rahmenbedingung erfüllt sein? Nur bei der Antragstellung? Was ist, wenn Monate nach dem Start eine z.B. eine Ärztin wg. einer Schwanger- oder Mutterschaft „von Bord geht“?
Rieger: Es muss davon ausgegangen werden, dass die Soll-Anzahl von Vertragsärzten als MVZ-Gründungsvoraussetzung dauerhaft dargestellt werden muss. Die Sonderregelung in § 95 Abs. 6 Satz 2 SGB V, wonach bei Wegfall einer Gründungsvoraussetzung sechs Monate Zeit zur Wiederherstellung sind, dürfte nicht greifen. Vielmehr droht der Zulassungsentzug. Zumindest ist anerkannt, dass Abwesenheiten wegen Schwangerschaft oder Mutterschutz nicht als „Ausscheidensfall“ zählen. MVZ die nach bisheriger Rechtslage zugelassen sind, wird aber Bestandsschutz zu gewähren sein.
Impulse: Gerade bei Gründung kommunaler MVZ in GmbH-Form gibt es hinsichtlich der Sicherheitsleistungen gegenüber der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung bundesweite Unterschiede. Woher rühren diese Unterschiede und wie gehen Kommunen mit Gründerabsicht damit um?
Rieger: Neben den erwähnten bundeslandspezifischen Besonderheiten im Kommunalrecht und der unterschiedlichen Spruchpraxis der Zulassungsgremien ist die gesetzliche Regelung zur Sicherheitsleistung in § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V für Kommunen kaum umsetzbar. Zwar wurde extra für Kommunen die Möglichkeit geschaffen eine sog. „andere Sicherheitsleistung nach § 232 BGB“ zu leisten. § 232 BGB ist aber seit dem 01.01.1941 inhaltlich unverändert und sieht zwischenzeitlich marktübliche Sicherheiten, wie eine Bankbürgschaft, nicht vor. Die Möglichkeit nach § 232 BGB Sicherheit beispielsweise durch Bestellung von Schiffshypotheken an Schiffen oder Schiffsbauwerken, die in einem deutschen Schiffsregister oder Schiffbauregister eingetragen sind, zu leisten, hilft gründungswilligen Kommunen wenig. Aktuell verbleibt nur die Möglichkeit sich in Vorabgesprächen mit den Zulassungsgremien auf die Stellung anderer, gleichwertiger Sicherheiten zu verständigen. Eine solche Verständigung ist rechtlich unproblematisch möglich, von der Kommune aber nicht einseitig durchsetzbar.
Impulse: Wie könnte dazu ein Lösungspfad aussehen? Braucht es weitere gesetzliche Regelungen um – nebenbei bemerkt – auch bei hinderlichen kommunalaufsichtsrechtlichen Regelungen, gegenzusteuern? Wäre auch ein Art Clearing-Stelle sinnvoll?
Rieger: Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und eine einheitliche Spruchpraxis der Zulassungsgremien kann aus meiner Sicht nur der Bundesgesetzgeber durch detailliertere Bundesgesetze schaffen. Da der Kernbereich der Gesundheitsvorsorge betroffen ist, besteht entsprechende Regelungskompetenz. Eventuelle entgegenstehende kommunalrechtliche Bestimmungen wären dann nicht mehr gründungshemmend, da Bundesrecht Landesrecht bricht (Art. 31 GG). Der Ansatz eine Clearing-Stelle einzurichten ist sicherlich gut, nur zeigt die Erfahrung, dass der Effekt solcher Einrichtungen häufig hinter den Erwartungen zurückbleibt. Meist lässt sich das Votum der Clearing-Stelle bereits mit Blick auf die dortige Bearbeitungsdauer nicht sinnvoll in die dynamischen Gründungsvorgänge integrieren. Aus meiner Sicht könnte daher nur der Bundesgesetzgeber effizient wirken. Nur leider gehen viele Überlegungen an dieser Stelle nicht in eine Richtung, die zukünftige MVZ-Gründungen erleichtern werden oder Rechtsklarheit schaffen. Dies gilt gleichwohl für MVZ in privater und kommunaler Hand.
Impulse: Herr Rieger, ich bedanke mich für das interessante Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Rieger: Ich bedanke mich ebenfalls für das Gespräch und die Möglichkeit meine Einschätzungen zu diesen wichtigen Themen mitzuteilen.
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