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Die ambulante medizinische Versorgung im Umbruch

Transformation ambulante medizinische Versorgung

Basierend auf den Zahlen und Aussagen des Versorgungsberichts der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) soll die derzeit stattfindende Transformation der ambulanten ärztlichen Versorgung aufgezeigt werden. Die dargestellten Entwicklungen und Trends sind dabei auf alle anderen Bundesländer mehr oder minder eins-zu-eins übertragbar. 

Seit dem Jahr 2013 ist die Zahl der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg um zwölf Prozent auf derzeit über 23.000 gestiegen. Gleichzeitig herrscht aber in vielen Regionen Ärztemangel, vor allem im hausärztlichen Bereich. Doch auch die fachärztlichen Versorgung konzentriert sich mehr und mehr auf Ballungszentren. Woran liegt das? (Lesen Sie auch: Neue Konzepte gegen den Ärztemangel)

Trend zur Anstellung hält an

Im Jahr 2010 waren sieben Prozent der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg angestellt, im Jahr 2022 sind es bereits 24 Prozent. Damit hat sich der Anteil der Angestellten mehr als verdreifacht. Dabei ist die Anstellung nicht nur für Ärztinnen attraktiv: Zunehmend arbeiten auch ihre männlichen Kollegen in Anstellung. Bei den Hausärzten ist der Anteil der angestellten Ärztinnen und Ärzte in den letzten zehn Jahren von 24 auf 31 Prozent gestiegen. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig: Junge Mediziner scheuen vor allem das unternehmerische Risiko einer Selbstständigkeit. Ebenso wird die überbordende Bürokratie im Praxisalltag als Hindernis für die Niederlassung wahrgenommen. So müssen Mediziner in einer klassischen Ein-Personen-Praxis oft mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Prozessen verbringen. Der Praxisinhaber kommt hierbei leicht auf eine Wochenarbeitszeit von teilweise deutlich über 50 Stunden. Ärzte in Anstellungsverhältnissen können sich hingegen viel mehr auf ihre medizinische Kerntätigkeit, die Arbeit mit dem Patienten, fokussieren.

Work-Life-Balance: Teilzeit statt Vollzeit

Im Sinne einer persönlichen Work-Life-Balance entscheiden sich immer mehr Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg für eine Teilzeittätigkeit. Der Anteil der in Teilzeit arbeitenden Mediziner nimmt weiter zu und beträgt im Jahr 2022 bereits 19 Prozent. Damit haben sich die Teilzeitbeschäftigungen bei den selbstständig tätigen Ärztinnen und Ärzten gegenüber 2014 mehr als verdoppelt. Bei den Angestellten ist die Teilzeitquote nahezu konstant um die 60 Prozent.

Quelle: KVBW, Die ambulante medizinische Versorgung 2022

Der Trend zur Teilzeittätigkeit und zur Anstellung ist ungebrochen. Auch bei jungen Ärztinnen und Ärzten spielt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine wichtige Rolle. Dieser Trend verschärft den ohnehin schon bestehenden Nachwuchsmangel in der ambulanten Medizin. Geht eine Ärztin oder ein Arzt in den Ruhestand, werden zwei bis drei neue Ärzte gebraucht, um die gleiche Arztzeit für die Patientenversorgung zu generieren. Die Arztzeit ist und bleibt knapp, wie die nachfolgende Grafik zeigt.

Quelle: KVBW, Die ambulante medizinische Versorgung 2022

Obwohl die Anzahl von Medizinern in der ambulanten Versorgung in Baden-Württemberg seit 2013 um rd. 12% zugenommen hat, ist die Anzahl an Vertragsarztsitzen zurückgegangen. Dies bedeutet, dass hunderte Arztsitze nicht nachbesetzbar waren und folglich in der Versorgung fehlen. Auch in den kommenden Jahren ist es nahezu ausgeschlossen, dass trotz eines Ausbaus des Studienplatzangebote, ausreichend Neu-Mediziner diese Lücke schließen werden.

Hausärztliche Versorgung

Noch gravierender ist die Entwicklung bei den Hausärzten. Im Gegensatz zur allgemeinen Entwicklung der Arztzahlen ist die Zahl der hausärztlich tätigen Niedergelassenen nicht gestiegen, sondern seit 2013 um sogar 69 „Köpfe“ gefallen. Bei den Versorgungsanteilen ist der Rückgang noch größer: 371 Hausarztsitze sind für die Patientenbetreuung im Betrachtungszeitraum verloren gegangen und fehlen in der Fläche für eine wohnortnahe hausärztliche Versorgung.

Quelle: KVBW, Die ambulante medizinische Versorgung 2022

Hinzu kommt: 37 Prozent der Hausärzte in Baden-Württemberg sind über 60 Jahre alt. Rund 2.600 sind älter als 60 Jahre und gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Für diese Hausärztinnen und Hausärzte fehlt flächendeckend der Nachwuchs. Über das Rentenalter von 65 Jahren hinaus arbeiten derzeit rund 1.400 Hausärztinnen und Hausärzte und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der hausärztlichen Versorgung. Doch auch diese Versorgungsleistung wird auf absehbare Zeit wegfallen. Selbst ein verstärkter Ausbau der Medizinstudienplätze wird diese Entwicklung nicht auffangen können.

Quelle: KVBW, Die ambulante medizinische Versorgung 2022

Größere Praxiseinheiten liegen voll im Trend

Der Anteil an kooperativen Praxisgründungen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Immer mehr Ärzte wissen, dass eine effiziente Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen sowohl wirtschaftliche als auch organisatorische Vorteile mit sich bringt. Der Arzt oder die Ärztin als Einzelkämpfer ist ein Auslaufmodell. Der medizinische Nachwuchs legt Wert auf den kollegialen Austausch und die Arbeit im ärztlichen Team. Dies erleichtert die Gestaltung geregelter und flexibler Arbeitszeiten sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die nicht nur für den immer höheren Anteil der Medizinerinnen ein wichtiger Aspekt ist.

Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit haben sich weiterentwickelt und umfassen derzeit: die Praxisgemeinschaft (nicht zu verwechseln mit der Gemeinschaftspraxis), die Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) oder das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ). 

Quelle: KVBW, Die ambulante medizinische Versorgung 2022

Im Betrachtungszeitraum ist die Anzahl von Einzelpraxen ohne angestellte Ärzte (klassische Ein-Personen-Praxis) um knapp 10% gesunken. Bis 2030 ist damit zu rechnen, dass diese ärztliche Berufsausübungsform nurmehr einen Anteil von 25% an der ambulanten Versorgung aufweist (2022: ca. 69%). (Lesen Sie auch: Ärzte sehen überdurchschnittliche Qualität der Versorgung in Medizinischen Versorgungszentren)

Medizinische Versorgungszentren

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) ermöglichen eine patientenorientierte Versorgung aus einer Hand. MVZ können nur von zugelassenen Ärzten, von zugelassenen Krankenhäusern oder von gemeinnützigen Trägern, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, sowie seit 2015 von Kommunen gegründet werden. Mit Stand Februar 2023 gibt es bereits drei solcher kommunaler Medizinischer Versorgungszentren in Baden-Württemberg.

Fazit

In ihrem Fazit zieht die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg den Schluss: Praxiskooperationen liegen voll im Trend. Wer kooperativ tätig ist, kann dem ärztlichen Nachwuchs die gewünschten Arbeitszeitmodelle anbieten und ist daher gegenüber Einzelpraxen im Vorteil. Die KVBW unterstützt dies unter anderem mit dem Förderprogramm ZuZ. Auf welches auch Kommunen bei der Gründung Medizinischer Versorgungszentren zurückgreifen können. Als weitere Schlussfolgerung ist zu ziehen, dass es aufgrund der oben geschilderten Entwicklung in Kommunen, in denen es keine oder nur geringe privatwirtschaftliche Initiativen zur Schaffung von größeren Praxiseinheiten mit Anstellungsmöglichkeiten für Ärzte gibt, es zu einem nachhaltigen Wegfall einer wohnortnahen ärztlichen Versorgung kommen wird. (Lesen Sie auch: Regionales Versorgungszentrum und kommunales MVZ in Baddeckenstedt eröffnet)

Quelle: Die ambulante medizinische Versorgung 2022, Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (Hrsg.), Autoren: Marion Dorbath, Eva Frien, Gabriele Kiunke, Claudia Lupo, Rebecca Larosa, Frank Portenhauser, Kai Sonntag, Martina Tröscher, Clara Vogginger, Wolfgang Wiedlin, Stuttgart, September 2022