Impulse: Herr Topcuogullari, im letzten Interview betonten Sie, dass die Gründung des MVZ Klettgau eine große Herausforderung war, insbesondere im Bereich der Personalgewinnung. Wie haben sich diese Herausforderungen in den letzten zwölf Monaten entwickelt? Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt, oder gab es unerwartete Wendungen?
Topcuogullari: Die Gewinnung von Fachkräften ist in allen Bereichen ein Problem, ganz speziell die Gewinnung von medizinischem Fachpersonal. Wir konnten mit der Flexibilität des MVZ auf dem Fachkräftemarkt punkten, indem wir Teilzeitmodelle, geregelte Arbeitszeiten und ein modernes Arbeitsumfeld bieten sowie Urlaubsvertretungen sichern können. Heutzutage spielt das Gehalt zwar weiterhin eine wichtige Rolle bei den Angestellten und Arbeitnehmern, jedoch wird immer mehr auch auf die Arbeitsumgebung geachtet. Hier können wir auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer eingehen.
Ozan Topcuogullari, seit 2017 Bürgermeister der südbadischen Gemeinde Klettgau.
Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.
Impulse: Mittlerweile sind vier Ärztinnen und Ärzte im MVZ tätig, und weitere Arztpraxen in der Region haben geschlossen. Wie hat sich die Versorgungssituation dadurch verändert, und welche Rückmeldungen erhalten Sie aus der Bevölkerung in Bezug auf die Neupatientenversorgung? (Lesen Sie auch: Bis 2030 fehlen 50.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland)
Topcuogullari: Gerade weil andere Arztpraxen geschlossen haben, war es wichtig, dass wir das MVZ in kommunaler Hand eröffnet haben. Für uns steht nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund, sondern die maximale Patientenversorgung. Dadurch, dass wir den Ärzten einen großen Teil der administrativen Arbeiten abnehmen können, bleibt ihnen mehr Zeit, um sich um die Patienten zu kümmern. Mit fast 5.000 angemeldeten Personen binnen eines Jahres hat sich das MVZ sehr schnell etabliert, so dass sogar eine Erweiterung notwendig geworden ist. Damit wird die ärztliche Versorgung nochmals verbessert.
Aus der Bevölkerung erhalte ich sehr positive Rückmeldungen, die es sehr schätzen in unmittelbarer Nähe zum Wohnort eine gesicherte Medizinische Versorgung vorzufinden.
Impulse: Im letzten Gespräch nannten Sie die Pläne für die Erweiterung des MVZ im ehemaligen Rathaus im Ortsteil Grießen. Wie weit sind diese Umbauarbeiten fortgeschritten, und welche neuen Angebote oder Kapazitäten werden dort geschaffen?
Topcuogullari: Das MVZ wurde gestartet im Erdgeschoss des bisherigen Rathauses. Dazu sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung ins Obergeschoss des Verwaltungsgebäudes umgezogen. Nachdem wir mit unserem Konzept so erfolgreich waren, konnten wir recht schnell weitere Ärzte für unser MVZ gewinnen, so dass die Erweiterung notwendig wurde. Hierzu wurde von Seiten der Gemeinde das Obergeschoss bereitgestellt, nachdem die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ein anderes Gebäude gezogen sind.
Die Umbauarbeiten sind zwischenzeitlich abgeschlossen, im Moment wird die Praxiseinrichtung aufgestellt, so dass der Betrieb im Obergeschoss im Februar erfolgen kann. Wir konnten zudem einen fünften Arzt für unser MVZ gewinnen, der im Obergeschoss seinen Behandlungsraum haben wird. Schon allein dafür hat sich die Erweiterung gelohnt. Der bisherige Betrieb im Erdgeschoss war für drei Ärzte ausgelegt, so dass der fünfte Arzt nun ebenfalls im Obergeschoss praktizieren wird.
Impulse: Der Betrieb eines kommunalen MVZ bringt sicherlich auch neue Herausforderungen mit sich. Welche Probleme mussten im ersten Jahr bewältigt werden, und welche Chancen haben sich für die Gemeinde Klettgau durch das MVZ ergeben?
Topcuogullari: Es gab einige Hürden zu meistern. Einerseits musste die Gemeinde erst die grundsätzliche Genehmigung einholen beim Kommunalamt, da die ärztliche Versorgung keine kommunale Aufgabe ist. Im Anschluss daran konnte die GmbH gegründet werden. Die Zulassung bei der Kassenärztlichen Vereinigung und die zu hinterlegende Bürgschaft war eine weitere Hürde. Zusätzlich musste das MVZ mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden sowie das komplette Praxispersonal gefunden werden. Die Genehmigung durch das beim Landratsamt angesiedelte Baurechtsamt zur Nutzungsänderung war dann noch ein weiteres großes Thema, das viel Energie gekostet hat.
Schlussendlich zählt aber das Ergebnis. Die Chance die sich daraus ergibt, ist, dass wir mit dem Teilzeitmodell und der Übernahme der administrativen Aufgaben weitere Ärzte für unser MVZ gewinnen konnten und weiterhin werden, um die Versorgung im ländlichen Raum weiter zu verbessern.
Impulse: Mit dem MVZ haben Sie ein Modell geschaffen, das auch für andere Gemeinden ein Vorbild sein könnte. Welche Bedeutung hat das MVZ Klettgau über die Gemeindegrenzen hinaus, und welche Kooperationen könnten in der Zukunft angestrebt werden?
Topcuogullari: Das MVZ hat sich in einem Jahr bereits etabliert. Auch aus den umliegenden Gemeinden sind Personen in unserem MVZ angemeldet und das MVZ hat somit schon eine überregionale Bedeutung erlangt. Dass unser Konzept erfolgreich sein kann, hat sich gezeigt und ich denke, dass weitere Kommunen diesen Weg gehen werden. Ich glaube, dass sich kommunale MVZs in Zukunft durchsetzen und Einzelpraxen ablösen werden.
Kooperationen sehe ich aktuell keine, jedoch kann ich mir vorstellen, dass in Zukunft auch Notärzte in unserem MVZ tätig sein könnten, die bei Bedarf von der Rettungsdienstorganisation zum Einsatzort gefahren werden. So könnten Notärzte die Zeiten zwischen den Einsätzen überbrücken.
Impulse: Sie sagten damals, das MVZ sei ein erster Schritt hin zu einer zukunftssicheren ärztlichen Versorgung. Wenn Sie nun einen Blick in die Zukunft werfen: Wo sehen Sie das MVZ Klettgau in fünf Jahren, und wie soll die ärztliche Versorgung in der Region langfristig aussehen?
Topcuogullari: Wenn es so weitergeht wie im letzten Jahr, kann ich mir vorstellen, dass wir einen zweiten Standort errichten in der Gemeinde. Die Gemeinde Klettgau besteht aus 7 Ortsteilen und kann einen zweiten Standort sehr gut vertragen.
Ich hoffe, dass wir weitere Allgemeinmediziner und Ärzte mit spezialisierten Fachrichtungen gewinnen können. Den ersten Schritt mit der Sicherstellung der Grundversorgung haben wir erreicht. (Lesen Sie auch: Kommunale Versorgung neu gedacht – Ein Blick auf das MVZ Spreewald)
Impulse: Was möchten Sie den Bürgerinnen und Bürgern von Klettgau mit Blick auf die Erfolge des MVZ und die zukünftigen Entwicklungen mit auf den Weg geben?
Topcuogullari: Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass wir die medizinische Versorgung auch weiterhin sicherstellen und erweitern werden. Ich bedanke mich ausdrücklich beim MVZ-Personal, denn ohne deren täglichen Einsatz könnten wir die vielen Patienten gar nicht aufnehmen bzw. die Behandlungen nicht durchführen. Ich bin glücklich, ein so motiviertes Team anzutreffen.
Impulse: Herr Topcuogullari, nochmals lieben Dank für dieses Folgeinterview!
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