Impulse: Herr Richter, Herr Sell, zunächst vielen lieben Dank für das heutige Interview. Die Stadt Lübben engagiert sich bereits seit Anfang 2023 bzgl. der Sicherstellung einer wohnortnahen und bedarfsgerechten ärztlichen Grundversorgung. Im Juni 2024 wurde dazu die Medizinisches Versorgungszentrum Spreewald GmbH notariell gegründet. Wie viel Vorarbeit war bis zu diesem Schritt erforderlich? Wie gelang es die Ärztinnen und Ärzte für das Projekt zu gewinnen? Die Stadt Lübben hat mit ihrem Vorhaben ein MVZ in kommunaler Trägerschaft zu gründen ja (noch) Neuland betreten.
Jens Richter, Bürgermeister der Spreewaldstadt Lübben (Lk. Dahme- Spreewald, rechts) und MVZ-Geschäftsführer sowie Projektleiter Marco Sell (links) im Interview mit Impulse über die Errichtung des kommunalen MVZ Spreewald.
Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.
Richter: Herr Richter: Das ist vollkommen richtig, die Kommune sieht nicht unbedingt im Gesundheitswesen Ihre Aufgabenerfüllung. Aufgrund des wandelnden Gesundheitsmarktes wird sich dies an der einen oder anderen Stelle ändern müssen. Grundlegend haben wir dennoch bereits vor Jahren in der Lübbener Stadtverordnetenversammlung darüber gesprochen, waren uns aber die zunehmende Notwendigkeit noch nicht im Klaren. Vor 2 Jahren, also im Juni 2022, haben wir dann 2 Beschlüsse in der Stadtverordnetenversammlung gefasst, um der zunehmenden „Schieflage“ in der amb. med. Versorgung in Lübben (Spreewald) entgegenzutreten. Diese beinhalteten einerseits die finanzielle Förderung von Ärzten und Ärztinnen bei Praxisneugründung bzw. -übernahmen sowie anderseits das Projekt zur Gründung und Entwicklung eines kommunalen MVZ in der Stadt Lübben (Spreewald). Das Projekt startete am 1. Januar 2023 und war vorerst für 3 Jahre angelegt. Unser Projektleiter Herr Sell hat sehr frühzeitig mit sehr umfangreichen Analysen auf die Notwendigkeit der Gründung eines kMVZ hingewiesen. Dies erfolgte dann bereits im Juni des letzten Jahres. Es war und ist bis jetzt ein sportlicher Zeitablauf. Sie sprachen die Personalgewinnung im ärztlichen Bereich an; diese ist wie in allen Bereichen anspruchsvoll und nicht mit zwei Sätzen zu erklären. Ich denke das Herr Sell Ihnen bei den nächsten Fragen dies besser beantworten kann, denn eine direkte Antwort gibt es darauf nicht. (Lesen Sie auch: Wir feiern die Gründung des jüngsten kommunalen MVZ – Interview mit dem Bürgermeister der Gemeinde Klettgau)
Impulse: Herr Sell, Sie sind nunmehr Geschäftsführer der MVZ Spreewald GmbH, zuvor waren Sie Projektleiter „kommunales MVZ“. Inwiefern hat die Schaffung dieser Stelle eigens zur Realisierung des MVZ letztendlich zum Erfolg beigetragen. Haben Sie sich auch mit anderen Kommunen ausgetauscht?
Sell: Aktuell arbeite ich in einer Personalunion. Da das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, bin ich bis zur Eröffnung des kMVZ weiterhin als Projektleiter aktiv. Die Bestellung einer Geschäftsführung wurde mit der Gründung notwendig. Hier fiel die Wahl des Bürgermeisters und der Stadtverordneten auf meine Person, was mich sehr freut. Ein Zeichen des Vertrauens und der Zufriedenheit meiner Arbeit im Projekt. Die Arbeit in zwei verschiedenen Ebenen ist nicht einfach, dennoch aber notwendig. Die gegründete städtische Tochtergesellschaft ist ein Betrieb ohne Betriebszulassung. Die Betriebszulassung erteilt als hoheitlicher Aufgabenträger die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg. Dafür muss ich als Geschäftsführer bereits ärztliche Anstellungsverträge schließen. Die Projektleitertätigkeit beinhaltet die Vorbereitung der Betriebsstätte für den Praxisbetrieb. Es ist also ein täglicher Drahtseilakt zwischen beiden Verantwortlichkeiten, da beide Bereiche miteinander eng verzahnt sind. Daher kann an dieser Stelle keine Differenzierung aufgrund der neuen Stelle der Geschäftsführung für einen erfolgreichen Weg vorgenommen werden. Hier würde ich eher die Personalunion als Schlüssel zum Erfolg benennen. Dieser komplexe Prozess, anfänglich aus einer Hand, ist möglicherweise der richtige Weg. Die Projektarbeit benötigt eine Mischung aus kommunaler Kenntnis verbunden mit dem Wissen des komplexen Gesundheitswesens. Keine leichte Aufgabenstellung. Leider konnte ich mich dahingehend mit keiner weiteren Kommune intensiv austauschen. Hier fehlen die Erfahrungswerte. Lediglich die Stadt Baruth/Mark hat diesen Weg in Brandenburg beschritten.
Impulse: Wie sehen die weiteren Schritte bis zur Inbetriebnahme aus? Soweit mir bekannt ist, können Sie in neuen, umgebauten Räumen starten. Wie beziehen Sie die Ärzte aus unterschiedlichen Facharztgruppen in die Planungen mit ein? Welche Chancen aber auch Herausforderungen ergeben sich daraus?
Richter: Wir hatten parallel zur Projektinitiierung die städtische Tochtergesellschaft Lübbener Wohnungsbaugesellschaft mbH (LWG) beauftragt, ein Gebäude für diese Vorhaben zu erwerben. Es war für uns alle ein Glücksfall, dass zudiesem Zeitpunkt ein Ärztehaus in Lübben (Spreewald) zum Verkauf stand. Dieses konnte durch die LWG erworben werden. Das Ärztehaus wurde vor ca. 25 Jahren erbaut und entspricht leider nicht mehr den heutigen Vorgaben und Richtlinien. Daher muss vieles umgebaut werden. Das hatten wir anfänglich nicht so eingeschätzt.
Sell: Ich hatte im Businessplan noch nicht so viele Ärzte eingeplant. Daher dachten wir, es würden noch nicht so viele Umbaumaßnahmen notwendig werden. Nun benötigen wir den gesamten Platz auf allen drei Etagen. Auch das Kellergeschoss, welches baulich hervorragend nutzbar ist, wird für die Umkleide- und Lagerräume vollständig benötigt. Die Ärzte involviere ich in alle Prozesse. Die Umbau- und Einrichtungsplanung habe ich den Ärzten mehrmals vorgestellt und Ihre Vorschläge wie auch Erfahrungen einfließen lassen. Dies gilt gleichfalls für die IT-Infrastruktur und das Organisationsmanagement. Dafür treffen wir uns regelmäßig mit den Ärzten im MVZ-Gebäude. „Wir wollen doch das Projekt gemeinsam gestalten und vor allem eine Betriebsstätte schaffen, die optimale Arbeitsbedingungen hergibt!“ Dies sehe ich als Chance, eine Betriebsstätte nach aktuellen Forderungen und auch Bedürfnissen der Beschäftigten wie auch der Patienten zu schaffen. Im weiteren Verlauf werde ich ebenfalls die Medizinischen Fachangestellten in die Planung einbeziehen, auch wenn die vielen Interessengruppen sicherlich eine Herausforderung darstellen. Hier sehe ich aber die Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, auch wenn sich dieser in Form einer städtischen Gesellschaft präsentiert.
Impulse: Wie haben Sie auf die gegenüber der KV Brandenburg abzugebende Bürgschaft reagiert? Wie hoch war in Ihrem Fall die geforderte Bürgschaftssumme? Diese weicht ja von KV-Region zu KV-Region ab und ist abhängig von der Anzahl der Kassensitze im MVZ.
Richter: Das ist eine der großen Herausforderungen für Kommunen. Hier haben wir uns aber immer wieder regelmäßig zusammengesetzt, um Herrn Sell intensiv zu unterstützen. Hier wird Herr Sell tiefgreifende Aussagen machen können. Eins kann ich an dieser Stelle aber schon jetzt sagen; von Frust über Freude bis hin zum Ärgernis war hier alles dabei. (Lesen Sie auch: Der Wandel in der ambulanten ärztlichen Versorgung)
Sell: Ich kann Herrn Richter nur beipflichten. Schlaflose Nächte, Enttäuschung, Hoffnung und Ernüchterung, ergänzen die Ausführungen von Herrn Richter. Wenn Sie Ärzte für das kommunale MVZ gewinnen und Ihnen anschließend die selbstschuldnerische Bürgschaftssumme von der KV Brandenburg mitgeteilt wird, ist die Freude schnell dahin. Für das kommunale MVZ in Lübben wird aktuell für die avisierten ärztlichen Kassensitze eine Bürgschaftssumme von 5,6 Mio. Euro aufgerufen. Nach dem Sozialgesetzbuch Fünf (SGB V) muss für Regressforderungen gegenüber der KV und den Krankenkassen eine selbstschuldnerische Bürgschaft vorgehalten werden, so will es das Gesetz, nur die Höhe ist leider nicht eindeutig definiert. Ich habe absolutes Verständnis für Rücklagen in Form einer Bürgschaft, welche im Baugewerbe ebenfalls üblich sind. Wichtig ist aber dabei, dass diese nachvollziehbar und für alle stemmbar einherkommen.
Impulse: Welche Fachrichtungen sind im MVZ zu Beginn vertreten? Wie soll die Zielstruktur in fünf Jahren aussehen?
Sell: Wir werden auf jeden Fall die Fachrichtung Allgemeinmedizin vorfinden. Weiterhin haben wir eine gynäkologische wie auch urologische Fachabteilung vorgesehen. Die Dokumente für die Antragstellung der Zulassung aller Ärzte haben wir dem Zulassungsausschuss für Ärzte der KV Brandenburg bereits übermittelt. Im kommenden Jahr wollen wir dann das kMVZ erst einmal zum Laufen bringen und die Organisationsstruktur stabilisieren. In den weiteren Jahren werde ich natürlich den amb. med. Versorgungsbereich für die Stadt Lübben (Spreewald) nicht aus den Augen verlieren und möglicherweise das kMVZ weiterentwickeln. Dahingehend haben wir bereits sehr gute Kooperationen beginnen können, u. a. mit der Spreewaldklinik Lübben.
Impulse: Herr Richter, Herr Sell, herzlichen Dank für das interessante Gespräch!