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Ellwangens Oberbürgermeister über kommunale Lösungsansätze hinsichtlich des Landarztmangels – Interview

Michael Dambacher (40), scheidender Bürgermeister der Gemeinde Bühlertann (seit 2010) und Ellwangens neuer Oberbürgermeister im Interview mit Impulse (erscheinen in Heft 3 am 26.08.2019) über kommunale Lösungsansätze hinsichtlich des heraufziehenden Landarztmangels.

Zur Gemeinde Bühlertann: Mit derzeit etwas über 3.100 Einwohnern gehört die Gemeinde Bühlertann zum KVBW-Mittelbereich Schwäbisch-Hall (Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg). Fast die Hälfte der niedergelassenen Hausärzte im Planungsbereich ist über 60 Jahre alt. Vor allem in klassischen Landgemeinden wie Bühlertann liegt die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Nachbesetzung einer Hausarztpraxis nur bei 10-20 Prozent. Die Gemeinde arbeitet deshalb seit Ende 2018 mit Nachdruck an einer Lösung.

Das Interview für Impulse (erschienen am 26.8.2019 in Heft 3/2019) führte Luise Viktoria Ruß.

Impulse: Herr Dambacher, die Thematik des Landarztmangels gewinnt zunehmend an Dynamik. Vor allem in den kommenden 3 bis 5 Jahren wird die Zahl der Praxis-Abgeber rasant steigen. Wann war Ihnen bewusst als Gemeinde das Thema selbst aktiv angehen zu müssen?  

Hr. Dambacher: Die Thematik „Sicherstellung der ärztlichen Versorgung“ ist im Zuge der Ortskernsanierung Bühlertann im Jahr 2014 aufgekommen. Durch den damaligen Verlust einer Zahnarztpraxis und den Wegfall einer von zwei Hausarztstellen in der Gemeinde rückte die Frage nach der Sicherstellung mehr in den Fokus von Gemeinderat und Verwaltung. Der verbliebene Hausarzt ist mittlerweile ebenso über 60 Jahre alt. Da sich keine Nachfolgelösung durch Übernahme eines jungen Arztes bis heute abzeichnet, hat die Gemeinde sich der Aufgabenstellung angenommen und gemeinsam mit verschiedenen Institutionen und mit Unterstützung durch dostal & partner nach möglichen Lösungswegen gesucht.

Impulse: Im Kern einer langfristigen Lösung zur Sicherung der ambulant-ärztlichen Versorgung muss die Schaffung von Angestelltenmöglichkeiten für junge Nachwuchsärzte stehen. Ziel Ihres gemeindlichen Engagements ist die Unterstützung einer Lösung aus dem Markt heraus, was bedeutet dies konkret?

Hr. Dambacher: Aktuell sind wir im Gespräch mit unserem Hausarzt sowie den Ärzten der umliegenden Nachbargemeinden, um zu klären, ob es nicht im Rahmen einer Mehrbehandlerpraxis Möglichkeiten gibt, künftig Ärzte in Teil- und Vollzeit anzustellen. Die Gemeinde als Moderator favorisiert diesen Lösungsansatz, da er rein über die Ärzteschaft organisiert erfolgen könnte. Eine weitere kommunale Beteiligung, sei es organisatorisch oder finanziell, wäre bei dieser Lösung nicht erforderlich.

Impulse: Arbeiten Sie hierbei auch mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den umgrenzenden Nachbargemeinden zusammen? Sie sitzen ja sprichwörtlich alle im selben Boot.

Hr. Dambacher: In der Tat findet teilweise eine Zusammenarbeit mit umgrenzenden Nachbargemeinden statt. Im näheren Umfeld gibt es aber auch wettbewerbsähnliche Situationen, da unter den einen oder anderen Kolleginnen und Kollegen natürlich auch der Wunsch besteht, eine ärztliche Versorgung in der eigenen Gemeinde sicherstellen zu können. Fakt ist aber, dass die wenigsten ländlich geprägten Kommunen langfristig alleine dieses Thema stemmen können. Die kommunale Familie im ländlichen Raum wird, wie bei anderen Aufgabenstellungen auch, künftig mehr zusammenarbeiten müssen, um die kommunale Daseinsvorsorge und notwendige Infrastruktureinrichtungen in der Region aufrecht erhalten zu können. Eine spannende Zeit mit zahlreichen Herausforderungen steht für die Damen und Herren Kommunalpolitiker in den kommenden Jahren an.

Impulse: Wie reagieren die niedergelassenen Ärzte auf das Engagement Ihrer Gemeinde?  (Lesen Sie auch: Der alte Arzt hat ausgedient)

Hr. Dambacher: Das Bestreben der Gemeinde Bühlertann eine Nachfolgelösung für die niedergelassenen Ärzte in der Raumschaft zu finden, wurde sehr positiv aufgefasst, da sie nicht nur für ihre Patienten eine ortsnahe Versorgung sicherstellen wollen, sondern natürlich auch eigene wirtschaftliche Interessen eine große Rolle spielen. Die Tatsache, dass eigene Bemühungen um eine Nachfolge bislang ergebnislos erfolgt sind, verstärkt natürlich den Wunsch nach einer gemeinsamen, ggf. interkommunalen Lösung unter der Moderation der Gemeinde. Das kommunale Mitwirken wird daher als große Chance empfunden.

Impulse: Was können Gemeinden vor dem Hintergrund des allgemeinen Hausärztemangels anders machen? Was empfehlen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen? 

Hr. Dambacher: Nachdem sich die Rahmenbedingungen teilweise radikal ändern und wichtige Infrastruktureinrichtungen, wie die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum, ernsthaft bedroht sind, werden sich Kommunen künftig verstärkt mit der Frage beschäftigen müssen, ob man nicht bereit ist, neue Wege zu gehen, z.B. mit der Gründung eines kommunalen medizinischen Versorgungszentrums. Sollte sich kein selbständiger Arzt niederlassen wollen, muss die Gemeinde sich grundsätzlich fragen, ob man stattdessen nicht selbst Ärzte anstellt. Dieser kommunalpolitische Willensbildungsprozess muss mit dem Gemeinderat und der Bürgerschaft frühzeitig kommuniziert und der Weg gemeinsam beschritten werden. Gerade die anfängliche Skepsis gegenüber dieser möglichen neuen freiwilligen Aufgabe muss ausgeräumt werden.

Impulse: Wir hören von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern immer wieder Klagen darüber, dass immer mehr Aufgaben auf die Kommunen abgewälzt werden. Welche Priorität sehen Sie in der Sicherstellung der ärztlichen Grundversorgung im Vergleich zu anderen kommunalen Aufgaben?

Hr. Dambacher: Auch wenn es nicht zu den ureigenen Pflichtaufgaben einer Kommune gehört, die ärztliche Versorgung in der Gemeinde sicherzustellen, so ist die Frage, ob und inwieweit ein Hausarzt in der Nähe des eigenen Wohnorts ist, ein wichtiger Standortfaktor, der darüber entscheidet, ob eine Gemeinde attraktiv ist oder nicht. Neben den zahlreichen Pflichtaufgaben, wie Kindergarten und Schule haben Kommunen in den vergangenen Jahren auch Aufgaben z.B. im Bereich des Breitbandausbaus gemacht, weil der Markt im ländlichen Raum hier völlig versagt. Sollte ich persönlich vor der Frage stehen, ob ich Hundertausende von Euros in den Bau von Glasfaserleerrohren oder lieber für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung setzen wollte, wäre die Antwort schnell gegeben. Ich hoffe und wünsche mir, dass von Seiten des Landes Baden-Württemberg in den kommenden Jahren ebenso eine ausreichende finanzielle Unterstützung, z.B. für die Förderung von MVZ´s,  für die ländlichen Kommunen bereitgestellt wird.

Impulse: Herr Dambacher, herzlichen Dank für das Gespräch!

(Lesen Sie auch: Niedersachsens erstes kommunales Medizinisches Versorgungszentrum geht an den Start)

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.