„Es gibt den fatalen Trend, dass Investoren [Anm.: Private-Equity-Gesellschaften] medizinische Versorgungszentren mit unterschiedlichen Facharztpraxen aufkaufen, um sie anschließend mit maximalem Gewinn zu betreiben“, kritisierte Lauterbach. Und weiter: „Ich schiebe einen Riegel davor, dass Investoren mit absoluter Profitgier Arztpraxen aufkaufen“. Er werde in den kommenden Wochen einen Gesetzesentwurf vorlegen, „der den Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen unterbindet“.
Im Jahr 2022 hatten sich Meldungen gehäuft, dass Privat-Equity-Gesellschaften nach Arztpraxen griffen. So berichtete das ARD-Magazin «Panorama» schon im Frühjahr, dass Hunderte, „möglicherweise sogar Tausende Arztsitze“ aufgekauft worden seien. Besonders attraktiv für Investoren seien Augenarztpraxen. Im Juni hatten die Gesundheitsminister der Länder den Bund gebeten, gesetzliche Regelungen zu prüfen, um den Einfluss von privaten Investoren bei der Gründung und dem Betrieb von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) einzuschränken.
Betrachtet man die Entwicklung der aktuell tätigen und durch eine Private-Equity-Gesellschaft übernommenen MVZ (PEG-MVZ) anhand des Bundeslandes Bayern, ergibt sich folgendes Bild: Im Jahr 2008 wurde ein erstes MVZ in Bayern durch eine Private-Equity-Gesellschaft erworben. Im Jahr 2016 erfolgte der Sprung auf über 25 PEG-MVZ. Zum Jahreswechsel 2019/2020 existierten 60 PEG-MVZ in Bayern. Mit Stand 1.1.23 dürften es Schätzungen mehrerer Institute zu Folge rd. 100 MVZ im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften stehen. Bei einer Gesamtzahl (Filial-Standorte mitgerechnet) von knapp 990 MVZ in Bayern entspricht dies einem Marktanteil von rd. 10%.
Besonders große Bedeutung haben MVZ jedoch im Bereich Augenheilkunde, Orthopädie und (Unfall-)Chirurgie sowie in der fachinternistischen Versorgung. Bei diesen Fachrichtungen dürfte der Marktanteil von PEG-MVZ bei deutlich über 10% liegen.
Kritik kam prompt vom Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV): „Pünktlich zu Weihnachten ist der Gesundheitsminister vollends unter die Populisten gegangen“, so die Vorsitzende Sibylle Stauch-Eckmann. Lauterbach kenne das Gesundheitssystem wie kein Zweiter und habe es die letzten Jahrzehnte entscheidend mitgeprägt. „Herr Lauterbach weiß, dass die Investoren, die er als ‚Heuschrecken‘ verunglimpft, dringend benötigtes Geld zur Modernisierung der ambulanten Versorgung bereitstellen. Sie investieren in die Qualität der Versorgung und die moderne Ausstattung der Praxen.“
Für die von ihm geäußerten Vorwürfe gebe es keinerlei Belege, das habe auch ein Gutachten im Auftrag des Gesundheitsministeriums bestätigt. „Karl Lauterbach ist als der Minister gestartet, der evidenzbasierte Politik versprochen hat – seine Aussagen lassen diesen Anspruch vermissen. Es ist purer Populismus.“
Gute Medizin und Wirtschaftlichkeit müssten zusammengehen. Durch den medizinischen Fortschritt, Ambulantisierung und die gewandelten Erwartungen des medizinischen Fachpersonals müsse man in den nächsten Jahren massiv in das Gesundheitssystem investieren. „Der Staat kommt diesen Verpflichtungen schon seit Jahren nicht ausreichend nach.“
Nach dem Vorstoß aus dem Gesundheitsministerium gegen den Aufkauf von Arztpraxen durch Investoren hat ausgerechnet die Bundesärztekammer (BÄK) vor überstürztem Handeln gewarnt. Statt eines Fremdbesitzverbots bringt Präsident Klaus Reinhardt andere Beschränkungen ins Spiel.
„Wir müssen das differenziert betrachten“, sagte Präsident Klaus Reinhardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Donnerstag). Auf der einen Seite gebe es Ärztinnen und Ärzte, die lieber in einer Anstellung arbeiteten. Auch Investitionen ins Gesundheitswesen seien nicht grundsätzlich negativ zu bewerten, denn in einigen Fachbereichen könne die Technologie kaum noch von einzelnen Ärzte finanziert werden. „Kritisch wird es aber, wenn die dort beschäftigten Ärzte unter hohem Renditedruck stehen oder es eine Monopolisierung durch große MVZ-Strukturen oder -Ketten gibt“, sagte Reinhardt.
Auch die BÄK sieht Probleme mit Investoren: In einigen Regionen Deutschlands hätten die Patienten bereits jetzt kaum Alternativen zu großen MVZ oder Ketten, sagte Reinhardt. „Dieser Wildwuchs bereitet uns große Sorge. Hier muss gegengesteuert werden.“ (Lesen Sie auch: Ärzte sehen überdurchschnittliche Qualität der Versorgung in MVZ)
Konkret schlug Reinhardt vor, dass künftig nur noch fachübergreifende Versorgungszentren zugelassen werden sollten. Außerdem solle der Marktanteil der von Private-Equity-Gesellschaften betriebenen MVZ in der Regel auf 10 Prozent begrenzt werden. Auch solle an allen MVZ-Standorten auf dem Praxisschild und im Internet angegeben werden, wer der Träger ist. „Die Patienten haben ein Anrecht zu erfahren, wie die Besitzverhältnisse tatsächlich sind.“
Vor einem Jahr hatte der Deutsche Ärztetag den Gesetzgeber in einem Grundsatzbeschluss aufgefordert, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um der zunehmenden Kommerzialisierung im Gesundheitswesen Einhalt zu gebieten. Ärztliches Handeln müsse vor ökonomisch motivierten Einflussnahmen geschützt sein – auch zum Wohle der Patienten.
Die entbrannte Diskussion um die investorengetriebenen MVZ (PEG-MVZ) ist sicherlich sinnvoll, wird jedoch zu einseitig geführt. Als einen der positiven Aspekte benannte der Bundesverband der Betreiber Medizinischer Versorgungszentren die notwendigen Investitionen, die in das ambulante Gesundheitswesen fließen müssen, und die allein durch die niedergelassenen Ärzte nicht gestemmt werden können. Vor allem bei kostenintensiver Gerätemedizin ist dies ein nicht zu unterschätzender Faktor. Doch wer kommt hier alternativ als Investor in Frage? Die selbst unter extremen Finanzdruck stehenden Krankenhäuser, unabhängig ob privat oder in kommunaler Hand? Oder die sich langsam bildenden Ärztenetzwerke und -genossenschaften? Auch Letztere tendieren dazu, die Abrechnungsmöglichkeiten für ärztliche Leistungen entsprechend der GoÄ auszuschöpfen, denn: auch Arztpraxen in Ärztehand müssen die laufenden und steigenden Kosten einnahmenseitig auffangen und Gewinne erzielen. Den KVen stehen als Controllinginstrument für eine einwandfreie Abrechnung die laufenden Wirtschaftlichkeitsprüfungen einschl. der entsprechenden Vergleichsdaten zur Verfügung. (Lesen Sie auch: Sind kommunale MVZ Zuschussbetriebe?)
Ein nicht zu leugnender Aspekt von investorengetriebenen MVZ ist jedoch deren einseitige Dislozierung in städtischen Regionen mit hohem Patientenaufkommen. Gerade im fachärztlichen Bereich können kleinere Kommunen in ländlichen Regionen hier nicht mithalten. Zudem sind sie auch für die o.g. Ärztegenossenschaften und -netze keine Wunschstandorte. Auch Letztere fokussieren sich primär auf das Umfeld von größeren Mittelzentren. Für Grundzentren und kleine Gemeinden ohne Raumordnungsfunktion ist dagegen die wohnortnahe ärztliche Versorgung kein Selbstläufer. Hier sind es fast ausschließlich die Kommunen, die an einer zukunftsfesten und wohnortnahen ärztlichen Versorgung Interesse haben. Beeinflusst diese nicht nur positiv den weichen Standortfaktor, sondern bringt durch den einfließenden Patientenverkehr auch wirtschaftliche Effekte für Handel, Gewerbe und Gastronomie mit sich. Hier schließen MVZ in kommunaler Trägerschaft genau jene Lücke im ländlichen Raum, welche durch die vorzufindende Praxisstruktur (vornehmlich Einzelpraxen) und einem Investitionsbedarf in Gebäude und Technik vorzufinden ist. Laufende Gewinne aus diesen kommunalen MVZ können entweder dem Gemeindehaushalt zufließen oder kommen – sollte das kommunale MVZ in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH gegründet worden sein – der Daseinsvorsorge im Gemeinde- oder Stadtgebiet zugute. (Lesen Sie auch: Fünftes Regionales Versorgungszentrum in Rehren eröffnet)
Quelle: Apotheke adhoc Online-Pressemitteilung vom 29.12.2022; KVB Forum 3/2021, Dr. phil. Christoph Scheuplein