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Kommunale MVZ – Zuschussbetriebe?

Kommunales MVZ wirtschaftliche Tragfähigkeit

Unter kommunalen Akteuren herrscht häufig Unklarheit darüber, ob ein Medizinisches Versorgungszentrum in kommunaler Trägerschaft ein Zuschussbetrieb ist oder tatsächlich einen Deckungsbeitrag zum Gesamthaushalt leisten kann. Ein Blick auf aktuelle ärztliche Honorarvolumina gibt Auskunft darüber.

Das Statistische Bundesamt veröffentlicht regelmäßig Statistiken zu Arzthonoraren. 2019 nahm jede Arztpraxis im Durchschnitt 602.000 Euro ein, egal ob Einzel- oder Gemeinschaftspraxis, jedoch ohne MVZ. Den Einnahmen standen Aufwendungen von durchschnittlich 306.000 Euro pro Praxis gegenüber, die Personalkosten betrugen rd. 55 Prozent. Damit blieb im Durchschnitt ein Reinertrag von 296.000 Euro übrig. 2011 lag der durchschnittliche Reinertrag noch bei 234.000 Euro. Mit rd. 70 Prozent entfällt der überwiegende Teil der Einnahmen der Arztpraxen auf Kassenabrechnungen. Ein Blick auf die entsprechenden Zahlen für MVZ weist für 2019 durchschnittliche Einnahmen aus ärztlicher Tätigkeit in Höhe von 2.725.000 Euro und Aufwendungen von 2.210.000 Euro aus. Dies bedeutet einen rechnerischen Reinertrag von durchschnittlich 515.000 Euro pro MVZ.

Der Reinertrag, nicht zu verwechseln mit dem Gewinn, ist die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben, berücksichtigt dabei aber nicht Aufwendungen von Praxisinhabern für Praxisübernahmen oder Sozialabgaben. Er ist praktisch vergleichbar mit einem Bruttoeinkommen. (Lesen Sie auch: 100 – so viele kommunale MVZ soll es 2030 in Deutschland geben)

Radiologen haben in Deutschland die höchsten Einnahmen unter den Ärzten – mit weitem Abstand gefolgt von den anderen Facharztgruppen. Laut Statistischem Bundesamt erzielten 2019 die Praxen der Fachgebiete Radiologie, Nuklearmedizin und Strahlentherapie mit 1.128.000 Euro im Schnitt den höchsten Reinertrag, Praxen der Kinder- und Jugendmedizin kamen auf durchschnittlich 239.000 Euro und der Orthopädie auf 341.000 Euro Reinertrag.

Das Umsatzvolumen von Hausarztpraxen

Obwohl die Hausarztpraxen die Pfeiler für die Grundversorgung bilden, lagen sie 2019 mit durchschnittlichen Einnahmen von 466.000 Euro deutlich unter den Einkünften vergleichbarer Fachärzte. Man kann dies auf die niedrigere Kopfpauschale zurückführen. Die Krankenkasse honoriert jede Behandlung mit einem festgesetzten Betrag, egal wie umfangreich diese ist. Bei Allgemeinmedizinern liegt diese niedriger als beispielweise bei einem Orthopäden. Hinzu kommt, dass die Einkünfte von Hausärzten aus sonstigen Tätigkeiten und privaten Behandlungen geringer sind. 

Die durchschnittliche Kostensteigerung lässt sich durch einen allgemeinen Anstieg der Mieten und der Gehälter erklären. Hier zeigt sich, dass Fachpraxen wie auch Hausärzte eine ähnliche Kostensteigerung zu verzeichnen haben.

Fachärzte haben höhere Aufwendungen aber auch einen größeren Reinertrag

Häufig sind fachärztliche Untersuchungen wie etwa Röntgenaufnahmen und Ultraschalluntersuchungen mit einem finanziellen Mehraufwand verbunden. Entsprechend sind auch die kassenärztlichen Fallpauschalen höher. Dies soll den eingangs hohen Investitionen Rechnung tragen und stellt im Endeffekt eine Rendite auf derlei Investitionen dar. Trotz der gestiegenen Aufwendungen für Personal und Material können die Fachpraxen also einen höheren Reinertrag ausweisen, weil sie für die Behandlung eine größere Patientenpauschale erhalten. 

Privatabrechnungen nehmen zu

Individuelle Gesundheitsleistungen versprechen eine bessere Heilung, gehören aber häufig nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen. Für Fachärzte sind sie besonders attraktiv, weil sie mit einem höheren Kostenfaktor abgerechnet werden können. Beispielsweise lässt sich eine Kniearthrose mit Hyaluronsäure behandeln. Die Therapie kostet den Patienten jedoch zwischen 150 und 400 Euro. Wie wichtig die selbstständigen Tätigkeiten für eine Praxis sind, lässt sich besonders gut am Beispiel der Zahnärzte zeigen. Im Jahr 2019 rechneten diese Leistungen in Höhe 372.000 Euro mit den gesetzlichen Krankenkassen ab. Die Höhe der Einkünfte aus selbstständiger zahnärztlicher Tätigkeit beträgt für diesen Zeitraum 349.000 Euro. Zahnärzte erwirtschaften damit fast die Hälfte ihres Umsatzes mit Privatabrechnungen.

Bei Hausärzten liegt der Anteil der Privatabrechnungen je nach Praxisstandort zwischen 5% und 30%. Doch nicht nur die geographische Lage, sondern insbesondere die Persönlichkeit des Praxisinhabers spielt hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle. So fokussieren sich zahlreiche Praxisinhaber nicht auf den Ausbau eines zahlungskräftigen Privatpatientenstamms bzw. Selbstzahler, sondern auf das Regelleistungsvolumen. Dies ist selbstverständlich keine Kritik, soll jedoch die teils nicht unerheblichen Unterschiede beim Praxisumsatz erklären.

Jährliche Honorarverhandlungen legen den Verdienst der Ärzte fest

Der Verband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) verhandelt mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) jährlich über das Budget der Haus- und Fachärzte. Für die Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten erhalten die Mediziner eine Pauschale, die 70 Prozent des Budgets ausmacht. Wie hoch die Vergütung ist, wird mit Hilfe eines Punkteplans entschieden. Dabei gibt es regionale Unterschiede, die Besonderheiten in ländlichen und städtischen Regionen berücksichtigen.

Regionale Unterschiede und erkennbare Entwicklungen 

So stiegen die Honorarumsätze der Ärzte der KV Berlin von 2019 auf 2020 um + 6,5 Prozent, der KV Hamburg um + 6,3 Prozent. Im Gegensatz hierzu sanken die Honorarumsätze der KV Westfalen-Lippe um -1,1 Prozent. Insgesamt errechnete die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine Steigerung von 2,2 Prozent in hausärztlichen Praxen und von 3,1 Prozent in fachärztlichen Praxen. 

Aktuell wird von den ambulant arbeitenden Ärzten und ihren jeweiligen KVen der vorgesehene Wegfall der Neupatientenregelung durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz stark kritisiert. Diese wurde eingeführt, um die Wirkungen der gegensätzlichen Entwicklungen im Markt, d.h. steigende Patientenzahlen durch die demographische Entwicklung bei gleichzeitigem Rückgang der ambulant niedergelassenen Ärzte aufzufangen. Nach aktueller Systematik erhält jeder Arzt ein Regelleistungsvolumen (RLV) und ein Qualifikationsgebundenes Zusatzvolumen (QZV). Beide nennen Grenzwerte, bis zu denen jeder Patient (Fall) mit einem festen Punktwert vergütet wird. Behandelt eine Praxis deutlich mehr Patienten als der Durchschnitt, werden die „überzähligen“ Patienten nur teilweise berücksichtigt (abgestaffelt nach Prozent).

Damit wird es für Ärzte zunehmend uninteressanter neue Patienten aufzunehmen, je mehr Patienten sie in ihrer Praxis bereits behandelten. Zahlreiche Patienten, der Haus- oder Facharztpraxis, fanden daher keine neue Praxis mehr, die sie aufnahm (Stichwort: Patientenstopp). Um diesem Effekt entgegenzuwirken, wurden seit dem 01.09.2019 Neupatienten unabhängig von der Deckelung voll vergütet. Ein neuer Patient ist dabei jemand, der erstmals in der Praxis behandelt wird oder mindestens zwei Jahre nicht in der Praxis war. Diese Regelung wurde im aktuellen Gesetzesentwurf wieder gestrichen, was de facto zu einer Leistungskürzung im ambulanten Bereich führen wird und die ambulante Versorgungssituation in vielen Regionen nochmals verschärfen wird. (Lesen Sie auch: Hürden bei der Gründung kommunaler MVZ)

Wirtschaftlichkeit von privatwirtschaftlichen und kommunalen MVZ

Eines vorweg: Die Trägerschaft, ob rein privatwirtschaftlich oder kommunal, hat auf den laufenden Betrieb (und für den Patienten) des Medizinischen Versorgungszentrums keinerlei Einfluss. Im Folgenden unterscheiden wir daher nicht zwischen diesen beiden Trägerschaften. 

Da die Mehrheit der Medizinischen Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft hausärztlich ausgerichtet ist, betrachten wir diese Facharztausrichtung genauer. Die folgenden Berechnungen stellen exemplarisch die Gewinn- und Verlustrechnung eines Medizinischen Versorgungszentrums in kommunaler Trägerschaft im 4. Betriebsjahr dar. Gegenübergestellt haben wir ein MVZ mit zwei Hausärzten (2,0 Arztsitze) sowie drei Hausärzten (3,0 Arztsitze). Ferner wurde unterstellt, dass der „Praxisaufbau“ abgeschlossen ist, d.h. die Anzahl der zu behandelnden Patienten je Arzt pro Quartal vorerst nicht weiter signifikant steigen wird. Die Einnahmen aus Privatabrechnungen und sonstigen ärztlichen Tätigkeiten wurden moderat veranschlagt. Als einzige Besonderheit kommunaler MVZ wurden die jährlichen Bankkosten für die Bereitstellung einer entsprechenden Bürgschaft der Kommune gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung ergänzt. Die Berechnung der Honorarvolumina basierte auf den durch die KV Niedersachsen 2021 festgelegten Fallwerten. Steuern und ggf. Gewinnbeteiligungen von angestellten Ärzten wurden nicht berücksichtigt. Die Personalkosten umfassen darüber hinaus auch freiwillige soziale Leistungen wie z.B. Weihnachtsgeld.

GuV kommunales MVZ

Die oben abgebildete Berechnung erhebt selbstredend keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll kommunalen Entscheidern lediglich als Orientierungspunkt dienen und dabei aufzeigen, dass (kommunale) MVZ nach einer rd. dreijährigen Startphase kontinuierlich Erträge erwirtschaften. 

Fazit: MVZ leisten einen positiven Beitrag zu kommunalen Haushalten

Bis in die 1990er Jahre hinein war die Einzelpraxis die absolut dominierende Praxisform. Die Zahl der Gemeinschaftspraxen stieg nur langsam. Mit Beginn des neuen Jahrtausends wurde die Idee einer zentrenbasierten und fachübergreifenden ambulanten Versorgung in der Bundesrepublik aufgegriffen. Bis zur Wiedervereinigung waren in der DDR sogenannte Polikliniken die überwiegende Organisationsform von niedergelassenen Fachärzten. 2004 hielt diese Organisationsform schließlich in Form der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) Einzug in das Sozialgesetzbuch. 2022 zählen wir über 3.700 privatwirtschaftliche MVZ, in denen mehr als 24.000 Ärzte ihre Patienten versorgen. Seit 2015 sind auch Kommunen gründungsberechtigt. 

Diese Entwicklung wäre undenkbar gewesen, würde es sich bei Medizinischen Versorgungszentren um Zuschussbetriebe handeln. Kein niedergelassener Arzt käme da auf die Idee sich mit einer Kollegin zusammenzutun um ein MVZ zu gründen. Wie Einzelpraxen, gleich ob haus- oder fachärztlich, Gemeinschaftspraxen, Praxis- oder Berufsausübungsgemeinschaften sind MVZ Ertrag generierende und sich selbst tragende Unternehmen.

Sofern Kommunen bei der Gründung und Inbetriebnahme auf fachkundige Unterstützung zurückgreifen können, ist gewährleistet, dass Sach- und Personalkosten in einem gesunden Verhältnis zum Ertrag stehen und das MVZ spätestens im 4. Betriebsjahr dauerhaft positive Salden aufweist. Auf diese einmalige Art und Weise können Kommunen nicht nur eine zukunftsfeste und wohnortnahe ärztliche Versorgung für ihre Bevölkerung gewährleisten, sondern gleichzeitig mit den erwirtschafteten Erträgen ggf. weitere Projekte im Bereich der Daseins- und Gesundheitsvorsorge unterstützten und fördern. (Lesen Sie auch: Rechtliche Hürden bei der Gründung kommunaler MVZ)