Kommunales MVZ wirtschaftliche Tragfähigkeit
Kommunale MVZ – Zuschussbetriebe?
17. September 2022
Ärzte kommunales MVZ
Studie: Ärzte sehen überdurchschnittliche Qualität der Versorgung in MVZ
24. Oktober 2022

Gesetzesentwurf von Bundesgesundheitsminister Lauterbach wird den Hausärztemangel weiter verschärfen

GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz plant Bundesgesundheitsminister Lauterbach unter anderem, die so genannte Neupatientenregelung zu streichen. 2019 war diese zusammen mit einer erhöhten Sprechstundenzeit im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eingeführt worden. Sie diente als Anreiz für Arztpraxen, mehr Termine anzubieten und mehr Menschen zu behandeln. (Lesen Sie auch: Ärzte- und Fachkräftemangel: Neuartige Versorgungsmodelle im Überblick)

Zu dem Gesetzesentwurf erklärt der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried:

„Das Zi hat aktuell alle vertragsärztlichen Abrechnungsdaten ausgewertet. Das Ergebnis ist eindeutig: Im ersten Quartal 2022 war die Zahl der Neupatientenfälle mit 27,1 Millionen so hoch wie noch nie seit Einführung der Regelung im Mai 2019. Auch 2021 war die Zahl der Neupatientenfälle mit insgesamt 101,1 Millionen deutlich höher als 2020 (92,8 Millionen) und höher als 2019 (99,2 Millionen).

[…] Die Krankenkassen verweisen zu Recht darauf, dass auch vor Einführung des TSVG bereits hohe Neupatientenzahlen zu verzeichnen waren. 2018 wurden insgesamt 100,4 Millionen Neupatientenfälle behandelt. Dabei gab es im ersten Quartal 2018 mit knapp 27 Millionen die zweithöchste Anzahl an Neupatientenfällen in den letzten sechs Jahren. Und zwar genau in dem Quartal, in dem Deutschland einer extremen Grippewelle ausgesetzt war. Wenn man das Fallzahlaufkommen über die Quartale hinweg vergleicht, zeigt sich ein von den Krankenkassen vernachlässigter Zusammenhang sehr deutlich: Eine hohe Anzahl von Neupatientinnen und Neupatienten ist ein Indikator für einen insgesamt hohen Behandlungsbedarf im betreffenden Quartal. In Quartalen mit hohen Neupatientenzahlen sind auch die Fallzahlen insgesamt erhöht. Wie im ersten Quartal 2018, so im ersten Quartal 2021 waren die Praxen extrem belastet – mit bekannten sowie neuen Patientinnen und Patienten. Im Jahr 2018 hat eine besonders schwere Grippewelle dazu beigetragen, 2022 war es dann die Omikron-Welle. In diesen Zeiten kommt es logischerweise zu Termin- und Versorgungsengpässen. Genau für diese Zeiten ist die Neupatientenregelung eingeführt worden. Die Erfahrungen des ersten Quartals 2018 waren schließlich Auslöser für den im zweiten Quartal 2018 vorgestellten Entwurf des TSVG.“

Patienten-Aufnahmestopps in Arztpraxen

Seit Einführung des TSVG haben die Praxen eine steigende absolute Anzahl von Neupatienten versorgt. Die notwendigen Mittel zur Aufnahme und Behandlung von Neupatienten werden den (v.a. hausärztlichen) Arztpraxen nunmehr gezielt gestrichen. Ein Anreiz zur Behandlung zusätzlicher bisher unbekannter Patienten wird trotz eines bereits hohen und weiter steigenden Versorgungsbedarfs somit gezielt abgeschafft. Betreiben die Praxen künftig in einer vergleichbaren Situation Dienst nach Vorschrift, werden die Zugangsmöglichkeiten für nicht bekannte Patienten als erstes darunter leiden. Dass dies für die Betroffenen mit wahrnehmbaren Einschränkungen der gesundheitlichen Versorgung einhergehen kann, ergibt sich daraus, dass gem. aktuellen Zahlen des Zi, rund 80 Prozent der Neupatienten im gleichen Quartal auch eine neue Diagnose erhalten haben und somit offenbar von neuen, bisher noch nicht bekannten gesundheitlichen Problemen betroffen waren. (Lesen Sie auch: Jeder zweite Klinikstandort vor dem Aus)

Prognose bis 2035

Gemäß einer aktuellen Studie der Robert Bosch Stiftung werden in Deutschland bis 2035 rund 11.000 Hausarztstellen unbesetzt sein, fast 40 Prozent der Landkreise werden demnach unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sein. Derzeit sind bereits die Hälfte, also 5.500 Hausarztsitze, nicht mehr nachbesetzbar. Die Folgen sind vielerorts heute schon spürbar. 

Eine sinkende Ärztezahl erhöht selbstredend die Anzahl der Patienten und Neuerkrankten, die bei den verbleibenden Ärzten behandelt werden wollen und müssten. Die nun diskutierte Neupatientenpauschale macht es gerade im hausärztlichen Bereich mit seiner Deckelung des Regelleistungsvolumens unattraktiv neue Patienten aufzunehmen. Neben der oben geschilderten Arbeitsüberlastung in den Praxen fließen Patientenzahlen, die deutlich über der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe liegen nicht vollständig in die KV-Honorare ein. Dabei werden jeweils die Quartalszahlen zugrunde gelegt. Liegt z.B. die durchschnittliche Patientenzahl bei 800 Patienten pro Quartal, können bis zu 1.200 Patienten mit vollem Wert abgerechnet werden (150%). Überschreitungen der Fallzahl zwischen 150 und 170% werden mit 75% des Fallwertes vergütet, zwischen 170 und 200% mit 50% und über 200% mit nur mehr 25%. D.h. zu der Arbeitsüberlastung kommt auch noch eine geringere betriebswirtschaftliche Attraktivität neue Patienten aufzunehmen. Hier setzte die Neupatientenpauschale an, die genau diesen Effekt ausschloss. (Lesen Sie auch: Hausärztemangel – Prognose bis 2035)

In Zeiten des oben skizzierten Ärztemangels bei gleichzeitig älterwerdender Bevölkerung und auch wachsender Bevölkerung (durch die Migration stieg die Bevölkerungszahl auf aktuell um zwei Millionen auf nunmehr 84 Millionen) ist dies genau das falsche Signal und macht insbesondere den Hausarztberuf unattraktiver.

Quelle: Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi), Pressemitteilung vom 27. September 2022