Zur Person: 1974 erhielt Hans Georg Faust seine Approbation als Arzt, 1976 erfolgte seine Promotion zum Dr. med. an der Universität Frankfurt. Faust war anschließend im St. Vincenz-Krankenhaus in Limburg an der Lahn tätig und durchlief hier die Ausbildung zum Facharzt für Anästhesiologie. Anschließend wechselte er als Leitender Arzt in die Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin in das Kreiskrankenhaus „Fritz-König-Stift“ in Bad Harzburg. Von 1984 bis 1998 war er Ärztlicher Direktor des Krankenhauses.
Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag arbeitete Faust als Berater im Gesundheitswesen. Seit 2014 ist er ehrenamtlicher Bürgermeister der Stadt Linz am Rhein.
Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.
Faust: Die von Ihnen gewählten Begriffe „Hausärztemangel“ und „Kliniksterben“ sind sehr allgemein und müssen, wenn man über Problemlösungsansätze nachdenkt, genauer gefasst werden.
Unbestritten ist, dass aus der Versorgung ausscheidende Hausärzte im ländlichen Raum zunehmend Schwierigkeiten haben, Praxisnachfolger zu finden. Die KBV macht dafür unter anderem Budgetierung, zunehmende Bürokratisierung und die schwache ländliche Infrastruktur verantwortlich. Über die Bedeutung der ersten beiden Punkte hatten und haben ärztliche Interessenvertreter und Gesundheitspolitiker sicherlich unterschiedliche Auffassungen, über die Frage der Bedeutung der Attraktivität eines „Einzelkämpferdaseins“ als niedergelassener Hausarzt im dörflichen Umfeld ist man sich weitgehend einig. Erfreulicherweise steigt der Anteil der weiblichen Medizinstudenten kontinuierlich, damit tritt die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Vordergrund. Die Stadt mit Ganztagsbetreuungen von Kindern in Schule und KiTa ist da eindeutig im Vorteil. Diesen Vorteil sieht auch der männliche ärztliche Kollege, dessen Ehefrau natürlich in ihrem Beruf weiter tätig bleiben will. Dazu kommt, dass mit der Vorstellung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eher Teilzeitarbeitsverhältnisse angestrebt werden und dass darüber hinaus die unternehmerische Verantwortung als Praxisinhaber/in gescheut und ein risikoärmeres Angestelltenverhältnis bevorzugt wird. Hier bedarf grundsätzlicher Neuüberlegungen; noch mehr Medizinstudenten lösen die Probleme nicht. (Lesen Sie auch: Die Landarztquote allein, wird es nicht richten)
Ein „Kliniksterben“, zumindest eines, das die Bedarfsdeckung an notwendigen medizinischen Krankenhausleistungen gefährdet, kann ich nicht erkennen. Es erscheint mir eher so, dass die Landes- und Kommunalpolitik in Einzelfällen auf Ängste der Bevölkerung reagiert, die zwar mit dem Blick auf historisch gewachsene Strukturen verständlich, aber mit Blick auf Spezialisierung, die Möglichkeiten der Telemedizin und vor allen Dingen dem Einsatz moderner Rettungsdienstsysteme nicht mehr gerechtfertigt sind. Nutzung von Synergien, Abbau von Doppelstrukturen, eine bessere Ermittlung des medizinischen Bedarfs unter Berücksichtigung von nachgewiesener Qualität und die strikte Vermeidung von angebotsorientierter Medizin täten der Versorgung gut. Leider werden solche Entwicklungsansätze durch die Dauerauseinandersetzung von Politik, Krankenkassen, Krankenhausgesellschaften und Ärzteverbänden um Krankenhausstandorte immer wieder in den Hintergrund geschoben. (Lesen Sie auch: Ginge es nach Experten, müsste jedes zweite Krankenhaus in Deutschland schließen)
Was müsste also getan werden? Nach Ermittlung des regionalen Bedarfs an moderner medizinischer Versorgung sollten sektorenübergreifende Ansätze, und diese je nach vorhandenem regionalem Angebot durchaus modifiziert, verfolgt werden. Die Generation junger Ärztinnen und Ärzte steht dem aufgeschlossen gegenüber und ist auch bereit, zumindest in Modellvorhaben neue Strukturen auszuprobieren.
Allgemein sollte gelten: Die Art der Erkrankung bestimmt den Einsatz der Ressourcen und fordert damit einen überall in Deutschland geltenden Mindeststandard ab. Dieser ist zu definieren und zu erbringen. Das bedeutet zum Beispiel, dass bei zeitkritischen Erkrankungen wie Infarkten das Einhalten der Hilfsfristen von zuverlässigen Notarztsystemen wichtiger ist als die Frage, wieviel tausend Einwohner mehr als 30 Minuten Fahrzeit bis zum nächsten Krankenhaus haben.
Faust: Im Sinne der Stärkung der Verbesserung der hausärztlichen Versorgung kann man das dann begrüßen, wenn die Gründung Versorgungslücken schließt und nicht mit dem Ziel erfolgt, einen ungleichen Wettbewerb vorhandener Leistungserbringer auszulösen. Schwierig wird diese Beurteilung dann, wenn der begründete Verdacht besteht, dass die Abläufe sektorenübergreifender Versorgung „aus einer Hand“ besser funktioniert als im herkömmlichen System oder gar, dass das allgemeinärztliche MVZ in Trägerschaft eines kommunalen Krankenhauses der Zulieferung von stationären Patienten dient. Immerhin scheint mir diese Gefahr durch die besseren Einflussmöglichkeiten der Kommunalpolitik bei kommunalen Trägern geringer zu sein als beispielsweise bei MVZs in der Hand von privaten Klinikketten.
Faust: Den ambulant niedergelassenen Ärzten würde ich folgendes mitgeben: Wenn man die krankenhausbetrieben hausärztlichen MVZs nur als Wettbewerber mit einem in der Regel stärkeren finanziellen background und keine weiteren Versorgungsvorteile für die Patienten oder das Gesundheitssystem sieht, dann sollte man sich überlegen, ob man diesen Konkurrenten nicht politisch bekämpfen kann. Das wurde nach dem Ende der DDR mit der Beseitigung der Polikliniken und dem Zwang zur Niederlassung der Ärzte im Osten, anfangs erfolgreich versucht. Die Zeit ist darüber hinweggegangen und die Zahl der Gründungen von MVZs, seit 2015 sogar in kommunaler Trägerschaft steigt stetig.
Von daher ist es sicher sinnvoll, die eigene persönliche Praxissituation objektiv zu beurteilen. Sofern nicht morgen ein krankenhausbetriebenes MVZ vor der Tür errichtet wird, bietet es sich an, die Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Kollegen und dem Krankenhaus auszuloten. Eine Einzelpraxis, Praxisgemeinschaften oder Gemeinschaftspraxen am Krankenhaus, der Betrieb eines Ärztehauses in Krankenhausnähe, die eigene Gründung eines MVZs oder der Kontakt mit der Kommune zur Gründung eines kommunalen MVZs zur Sicherung einer zukunftsfähigen Versorgung der Patienten oder auch nur mit dem Ziel, die eigene Praxis finanziell vorteilhaft an einen Nachfolger zu übergeben, das ist sicher noch nicht die vollständige Beschreibung aller Möglichkeiten.
Faust: Der vermehrte Dokumentationsaufwand war den Akteuren (Politikern, Krankenkassen, Ärzteverbänden) durch die Voraussagen von Gesundheitswissenschaftlern bewusst. Die Vorteile von Selektivverträgen wurden insbesondere von die Kollektivverträge kritisch sehenden Gesundheitspolitikern und vom Hausärzteverband herausgestellt, wobei auch im Einzelfall Lobbyarbeit und unterschiedliche Auffassungen von dem Wert traditioneller Positionen der Akteure im Kräftespiel des Gesundheitswesens eine Rolle spielten.
Mit den Einzelverträgen sollte eine höhere Qualität zum gleichen Preis oder die Qualität in der Regelversorgung wirtschaftlicher erbracht werden. Damit war auch klar erkennbar, dass der Hausarzt, der parallel zum Kollektivvertrag Einzelverträge abschließt, sich weiterer Nachweis- und Abrechnungsmühen unterziehen muss. Da konnte auch der seinerzeit sehr aktive Hausärzteverband nur begrenzt Hilfestellung leisten. Ob sich der Mehraufwand bei Selektivverträgen lohnt, muss in Kenntnis der unterschiedlichen Vertragsinhalte unter Berücksichtigung der eigenen Praxisgegebenheiten entschieden werden. Die seinerzeit in den Vertragswettbewerb gesetzten politischen Erwartungen bezüglich einer teilweisen Abkehr vom Kollektivvertrag haben sich, zumindest im Bereich ärztlichen Vertragsgeschehens, nicht erfüllt.
Seinerzeit ist der Einstieg in die Selektivverträge durch eine Abwehrhaltung der weitaus meisten Gesetzlichen Krankenkassen blockiert worden. Daraufhin hat der Gesetzgeber als Unterstützung der Ärzte eine Pflicht zum Vertragsabschluss eingeführt, wenn eine gewisse zahlenmäßige Stärke der Hausarztgemeinschaften in den Kassenärztlichen Vereinigungen besteht. (Lesen Sie auch: Ärzte folgen dem Geld, nicht den Kranken)
Faust: Linz am Rhein ist ein kleines Mittelzentrum, das infrastrukturell gut aufgestellt ist. Das örtliche Krankenhaus mit 185 Betten und 3 Fachabteilungen und einem zugeordneten Rettungsdienst- und Notarztsystem sichern den Grundbedarf an stationären Leistungen. Auch bei der haus- und fachärztlichen Versorgung gab es bisher keine Versorgungsdefizite. Das auftretende Problem der Überlastung der Notfallambulanz des Krankenhauses mit an sich dem kassenärztlichen Notdienstsystem zuzuordnenden Fällen ist allerdings auch in Linz nicht gelöst. Hier wäre eine engere Zusammenarbeit der Sektoren ausgesprochen sinnvoll.
Die Angebote der Leistungserbringer von Heil- und Hilfsmitteln sind gut, die Versorgung mit Arzneimitteln ist durch Apotheken gesichert. Was die Versorgung mit Leistungen der zentral- und Maximalversorgung betrifft, so sind die großen Kliniken in Bonn und Koblenz gut erreichbar.
Soweit, so gut. Als Bürgermeister und langjähriger Gesundheitspolitiker sehe ich mich in der Pflicht, die zu erwartenden grundlegenden Änderungen im gesellschaftlichen Zusammenleben, Stichworte sind Alterung der Bevölkerung, Digitalisierung, zunehmende Bedeutung der Ballungszentren, Mobilität, mit ihren Auswirkungen auf die gesundheitliche Versorgung vor Ort einzuschätzen und das Notwendige anzustoßen, damit auch in Zukunft die Deckung des Bedarfs an notwendigen medizinischen Leistungen gesichert ist. Das bedeutet aber auch, dass überkommene Strukturen überdacht und angepasst werden müssen. Nur dann wird unsere Stadt für niedergelassene ärztliche Kolleginnen und Kollegen, seien es Allgemeinmediziner oder hausärztlich tätige Internisten, als Ort des Wohnens und Arbeitens attraktiv bleiben.
Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.