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Der Landrat von Darmstadt-Dieburg über die Gründung Medizinischer Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft

Gründung kommunaler MVZ

Klaus Peter Schellhaas, seit 2009 Landrat des Landkreises Darmstadt-Dieburg und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Hessischen Landkreistages, im Gespräch mit Impulse über die Gründung Medizinischer Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft. 

Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.

Impulse: Herr Schellhaas, Ihr Landkreis ist nunmehr Träger von fünf Medizinischen Versorgungszentren unterschiedlicher Fachrichtungen. Sie stehen damit deutlich an der Spitze einer sich abzeichnenden Transformation im Bereich der ambulanten-medizinischen Versorgung. Durch den Mangel an Ärzten kann die Sicherstellung der flächendeckenden ärztlichen Versorgung nicht mehr ausschließlich durch die Kassenärztlichen Vereinigungen bewerkstelligt werden, neue Akteure werden benötigt. Im Kern einer Lösung muss immer die Schaffung von Angestelltenmöglichkeiten für junge Nachwuchsärzte stehen. Wann war Ihnen bewusst als Landkreis das Thema selbst aktiv angehen zu müssen?  

Schellhaas: Wir haben uns seit 2014, mit Gründung unseres ersten MVZ, noch intensiver mit der Frage der ambulanten Versorgung – insbesondere der hausärztlichen Versorgung – auseinandergesetzt. Ich selbst habe im Jahr 2015 dem Kreistag ein Positionspapier zur Zukunft der Gesundheitsversorgung im Landkreis vorgelegt und darauf hingewiesen, dass sich die Situation bis 2030 ohne unser Handeln dramatisch zuspitzen wird. Seither arbeiten wir sehr bewusst und kontinuierlich daran, die ambulante medizinische Versorgung der Menschen in der Region Hand in Hand mit den Niedergelassenen und Bürgermeistern sicherzustellen.

Impulse: Sie gehörten und gehören damit immer noch zu Deutschlands ersten kommunalen Gebietskörperschaften mit einem Medizinischen Versorgungszentrum in kommunaler Trägerschaft. War Ihnen das von Beginn an bewusst?

Schellhaas: Das war uns von Beginn an nicht bewusst. Als der erste Bürgermeister auf mich zukam und berichtete, dass er ohne die Hilfe des Landkreises ein massives Problem in der ärztlichen Versorgung bekommen würde, haben wir schnell gehandelt. Erst im weiteren Prozess – auch aufgrund rechtlicher Gründungsprobleme, die im Kommunalrecht angelegt sind – ist uns bewusst geworden, dass wir Pionierarbeit leisten. (Lesen Sie auch: Gutachten veröffentlicht: Freie Fahrt für kommunale Medizinische Versorgungszentren)

Impulse: Wie reagierten die niedergelassenen Ärzte auf das Engagement des Landkreises?

Schellhaas: Die niedergelassenen Ärzte waren von Anfang an in diesen Prozess eingebunden. Wir sagen immer, dass wir MVZ nicht gegen den Willen der Niedergelassenen vor Ort gründen. Die Gründung eines kommunalen MVZ ist Ultima Ratio, sofern die KV oder die Ärzteschaft die Versorgung nicht mehr alleine sicherstellen kann. Da die Versorgung in der Gemeinde ohne unsere Tätigkeit nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen wäre, waren die Niedergelassenen dem Vorhaben gegenüber offen. Bis heute ist die Situation vor Ort durch ein konstruktives Zusammenarbeiten gekennzeichnet.

Impulse: Wie haben Sie sich auf den Gründungsprozess vorbereitet? Gab es intern viele Bedenken abzubauen? 

Schellhaas: Es gab vor allem viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Vor fünf Jahren war das Thema des Hausärztemangels noch nicht so flächendeckend bekannt, wie es heute der Fall ist. Auch die Kreispolitik musste sich mit diesen Themen auseinandersetzen. Ansonsten haben wir davon profitiert, dass uns viele bei der Gründung unterstützt haben. Aber wir haben auch Anfangsfehler bei der Gründung gemacht. Nach insgesamt fünf Gründungen und nunmehr der Erfahrung von fünf Jahren ambulanter Tätigkeit sind wir deutlich routinierter und haben uns weiter professionalisiert. Der Betrieb eines MVZ kann nicht nebenherlaufen. Das muss allen, die sich auf den Weg zur Gründung machen, bewusst sein.

Impulse: Was hat Sie dazu bewogen, den Landkreis zum Alleingesellschafter der MVZ GmbH zu machen anstatt diese direkt an das Kreisklinikum anzubinden? 

Schellhaas: Aus unserer Sicht ist die ambulante medizinische Versorgung auch Teil der kommunalen Daseinsvorsorge. Dies gilt insbesondere, wenn die Versorgung auf anderem Wege nicht sicherzustellen ist.

Impulse: Mit Ihrem hausärztlich-internistischen MVZ sind Sie eines von acht bundesweiten PORT-Projekten der Robert-Bosch-Stiftung. Was hat es damit auf sich?   

Schellhaas: Der Landkreis und sein kommunales MVZ werden seit 2018 von der Robert Bosch Stiftung im Rahmen des Förderprogramms ,supPORT – Auf dem Weg zu Patientenorientierten Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung‘ materiell und immateriell unterstützt. Dies ermöglicht uns, unser hausärztlich-internistisches MVZ in ein sogenanntes Primärversorgungszentrum weiterzuentwickeln. Eine Hausarztpraxis wird künftig mehr als nur akute Kuration leisten müssen. Mit unserem MVZ wollen wir vom Reparaturbetrieb zu einem Inspektionsbetrieb werden und mit interdisziplinären Angeboten der Ansprechpartner für die Primär- und Langzeitversorgung sein. Das Vorbild sind die lokalen Gesundheitszentren, die der Sachverständigenrat in seinem Gutachten aus dem Jahr 2014 skizziert hat. Wir setzen dies um, indem wir eine Care- und Casemanagerin einsetzen, die sich gemeinsamen mit unserer Geriaterin um die hochaltrigen Patienten/innen kümmert. Das MVZ kooperiert mit dem Pflegestützpunkt und weiteren regionalen Gesundheitsversorgern. Hinzu kommt, dass wir – wie andere Praxen auch – eine Nichtärztliche Praxisassistentin einsetzen, die in Delegation des Hausarztes Hausbesuche wahrnimmt und diesen entlastet. Wir bieten einen Präventionspfad zur Vermeidung von Diabetes an. Unser Primärversorgungszentrum ist für uns eine Blaupause, mit welcher wir im Rahmen der geförderten Pilotprojekte neben MVZ-Gründungen weitere Antworten auf zukünftige Versorgungsengpässe finden wollen. 

Impulse: Sie führen die fünf Landkreis-MVZ des „Zentrums der Medizinischen Versorgung (MVZ) GmbH“ als GmbH. Der Landkreis ist Alleingesellschafter. Was waren die Vorteile einer GmbH gegenüber einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AdÖ) oder einer kleinen Aktiengesellschaft (AG)?

Schellhaas: Damals ging es rechtlich nicht anders. Aber selbst wenn, hätten wir uns für eine GmbH entschieden, da wir andere Gesellschaften in gleicher Rechtsform haben. Für uns gab es dadurch keinen Nachteil, da es bei uns im Kreis geübte Praxis ist.

Impulse: Die fünf bestehenden MVZ konzentrieren sich auf die bestehenden Klinikstandorte und stärken dadurch vor dem Hintergrund des Ärztemangels die bestehende Konzentration des Versorgungsangebots. Wie reagieren die Landkreisgemeinden ohne Klinikstandort auf diese Entwicklung?

Schellhaas: Das hausärztlich-internistische MVZ ist an keinem Klinikstandort. Bei den fachärztlichen MVZ entstehen Synergien mit der Klinik, so dass die Gemeinden hierfür Verständnis haben. Zumal Patienten durchaus bereit sind, zum Facharzt weitere Wege in Kauf zu nehmen. Im Übrigen planen wir aktuell in drei weiteren Gemeinden die Gründung von hausärztlichen MVZ. Die Gemeinden begleiten im Rahmen eines Regionalen Beirats diese Projekte und schätzen, dass wir als Landkreis fundierte Lösungsangebote für die hausärztliche Unterversorgung bieten können. Und auch hier gilt, dass wir diesen Weg nur mit der Gemeinde und den Niedergelassenen vor Ort gehen. Von daher ist die Resonanz der Gemeinden positiv und konstruktiv. (Lesen Sie auch: Das Zusammenwachsen des stationären und ambulanten Sektors – Interview)

Impulse: Viele Ihrer Kollegen erkennen zwar die Herausforderungen, zögern jedoch als Kommune neue Wege zu gehen. Was können Sie diesen empfehlen? 

Schellhaas: Man muss akzeptieren, dass niemand anderes kommen wird und die Probleme der ambulanten Versorgung für einen löst. Ich ermutige die anderen hessischen Landräte, sich frühzeitig mit dieser Thematik zu befassen. Falls man dann den Weg gehen will, sollte man sich mit einem guten Team umgeben, das Erfahrungen in der Gründung und im Betrieb von MVZ hat. Es ist eine interessante Aufgabe, bei der man viel Zuspruch erfährt und Positives für die Menschen in seinem Landkreis erreichen kann.

Impulse: Herr Schellhaas, herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.