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Ärztemangel
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Ärztemangel: Schritte zur Gründung kommunaler MVZ

Gründung kommunales MVZ

Wie schwerwiegend ist der Ärztemangel in Deutschland?

Im Rahmen des seinerzeit erkennbaren Hausärztemangels hat der Bundesgesetzgeber bereits 2015 grundsätzlich und abschließend entschieden, dass kommunale Medizinische Versorgungszentren (kMVZ), d.h. auch den Gemeinden und Kommunen gehörende MVZ, nicht nur möglich, sondern auch gewünscht sind. Erfreulich ist, dass mittlerweile nahezu alle kommunal-, sozial-, wettbewerbs-, gesellschafts- und europarechtlichen Fragen durch die gelebte Praxis transparent gemacht und als geklärt betrachtet werden können.

Tatsächlich zeichnet sich der „Landarztmangel“ schon seit über zehn Jahren ab. Die Entwicklung verläuft dabei in zwei Zeitschienen: Einmal die Zeit nach 2030 – hierzu gibt es zahlreiche eingeleitete Lösungen, wie z.B. die bundesweite Errichtung neuer Medizin- Fakultäten und -Lehrstühle sowie die Landarztquote, welche ein Medizinstudium unter Aufhebung des Numerus Clausus ermöglicht. Die andere Zeitschiene, die der nächsten 10 Jahre, steht hier im Fokus. Bis 2030 scheiden voraussichtlich etwa die Hälfte der Hausärzte aus dem Berufsleben aus. Tatsache ist: In diesen Jahren baut sich ein ungedeckter Bedarf an Hausärzten von etwa 50 Prozent auf, möglicherweise auch mehr. In Zahlen ausgedrückt sind dies rd. 12.000 fehlende Allgemeinmediziner und -medizinerinnen bis zum Jahr 2030. Geht der Trend „Hin zur Stadt und nicht auf das Land“ unverändert weiter, hieße das für ländliche Regionen, dass nur mehr 20-30% der Hausarztsitze nachbesetzt werden können. Um diesen Trend etwas abzuschwächen, fördern die Kassenärztlichen Vereinigungen bundesweit die Niederlassung von Ärztinnen und Ärzten in unterversorgten oder strukturschwachen Gebieten. Zahlreiche Bundesländer ergänzen diese Förderungen durch sogen. Landarztprämien oder Strukturfonds. (Lesen Sie auch: Die Landarztquote – Ein Lösungsbeitrag für die Zeit nach 2030)

Anzahl kommunaler Medizinischer Versorgungszentren in Deutschland ohne Filialpraxen (Stand 01.10.2021)

Die Empfehlungen, welche man Kommunen bei der Bewältigung des Ärztemangels geben kann, lassen sich am ehesten unter dem Motto „make or buy“ zusammenfassen. Also der Frage, inwiefern das Projektmanagement zur „Sicherstellung einer wohnortnahen hausärztlichen Grundversorgung“ mit eigenen Ressourcen oder über externe Anbieter gedeckt und abgewickelt werden soll.

Je nachdem, inwiefern sich die betreffende Kommune in das Thema einbringen will, sind unterschiedliche Engagement-Stufen zu erkennen. Mit dem Ausbau des Engagements steigt die Notwendigkeit personelle und finanzielle Ressourcen für die Thematik aufzuwenden oder sich externer Unterstützung zu versichern.

Was können betroffene Kommunen unternehmen?

Schritt 1 (Informationssuche): In einem ersten Schritt geht es darum, sich Klarheit über die aktuelle ärztliche Versorgung und die erkennbaren Entwicklungen zu verschaffen. Halbjährlich veröffentlichen die Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer aktuelle Zahlen aus der Bedarfsplanung. Kommunale Akteure sollten diese Zahlen kennen und regelmäßig die Entwicklungen in ihrem Planungsbereich beobachten. Anzahl Ärzte bzw. Arztsitze, geographische Verteilung sowie demographische Daten zur Ärzteschaft sind einsehbar.

Kommunale Vertreter müssen sich auch bewusst machen, dass die Einzelpraxis als Versorgungsform zunehmend ein Auslaufmodell ist. Diese Aussage soll selbstverständlich nicht bedeuten, dass die Einzelpraxis im 21. Jahrhundert für die ärztlich-ambulante Versorgung keine nennenswerte Rolle mehr spielen wird. Ihr Anteil an allen Versorgungs- und Praxisformen hat sich jedoch seit den 1990er Jahre spürbar verringert. Ein Trend, welcher in der kommenden Dekade an Schwung gewinnen wird. Größere Praxiseinheiten, sogen. Mehrbehandlerpraxen bieten der Ärzte-Generation Y und der bald folgenden Generation Z (Jahrgänge ab 1991) Anstellungsmöglichkeiten und attraktive Arbeitszeitmodelle. Der Wunsch nach einer „Work Life Balance“ kann hier – im Gegensatz zu einer klassischen Einzelpraxis mit bis zu 60-Stunden-Wochen – erfüllt werden. 

Die notwendige Strukturveränderung weg von der Ein-Personen-Landarztpraxis hin zu größeren Praxiseinheiten bedeutet für die kommunalen Akteure auch, dass die kommunalen Vertreter sich mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten über deren zukünftige Pläne und Absichten austauschen. Hier ist zu signalisieren, dass die Kommune zur Unterstützung bereit ist. Thema für diese Gespräche ist nicht nur die „Abgabe der Praxis aus Altersgründen“. Ebenso wichtig ist es, jüngeren Ärzten mit unternehmerischem Verständnis zu signalisieren, dass sie auf die Unterstützung der Kommune zählen können. Hierbei ist jedoch auf ein behutsames und diskretes Vorgehen zu achten, da niedergelassene Ärzte dies häufig und verständlicherweise als Eindringen in ihre Privatsphäre empfinden. 

Schritt 2 (Vermietung & Bau Praxisräume): Das Schaffen größerer Praxiseinheiten bringt auch andere Anforderungen an die Praxisräumlichkeiten mit sich. Vermietung aus kommunalem Immobilienbesitz oder der Verkauf von Baugrundstücken kann erwogen werden. Zahlreiche Kommunen haben sich hier im vergangenen Jahrzehnt durch den Bau von Ärztehäusern oder Gesundheitszentren engagiert. Dies kann durchaus im Rahmen von geförderten Stadtentwicklungs-, Leader- oder ILEK-Projekten geschehen.

Schritt 3 (Moderation): Ist erkennbar aus dem Markt heraus keine Lösung in Sicht, muss – sofern dies beabsichtigt ist – die Kommune eine aktivere Rolle einnehmen. Sie tritt dann als Moderator und Anstoßgeber auf, um die unterschiedlichen Interessen der niedergelassenen Ärzte zu bündeln und zu begleiten. Den einzig „richtigen“ Zeitpunkt für ein vertieftes Engagement der Kommunen gibt es nicht, kann es auch nicht geben. Eines ist sicher: Sind die Arztsitze einmal weg bzw. fast weg, ist es häufig zu spät. Die in den Kommunen Verantwortung Tragenden müssen selbst einen Zeitpunkt festsetzen und soweit es geht einen ärztlichen Akteur, der mitmachen will, belastbar identifiziert haben. 

Schritt 4 (Moderator bis Treiber): Da Kommunen untereinander im Wettbewerb stehen, ist der Einstieg mittels einer Markterkundung/-analyse und der Aufbau eines Projektmanagements auf Zeit notwendig. Für die kommunalen Akteure ist dabei wichtig zu verstehen, dass der Handlungsdruck bei ihnen liegt. Ältere Bestandsärzte haben im Allgemeinen wenig bis keinen Grund sich zu bewegen. Die intrinsische Motivation die laufende Praxis zum Ende des eigenen Berufslebens hin zu vergrößern fehlt verständlicherweise. Dazu ist das laufende Geschäft zu stabil und der Arbeitsaufwand zu hoch. 

Schritt 5 (Arztsuche): Ist lediglich passives Interesse der Ärzteschaft vorhanden, empfiehlt sich eine aktivere Rolle der Kommune. Diese reicht vom kreativen DocFinding bis hin zur Gewinnung von Unternehmerärzten aus der Region, welche mit einer Filialpraxis (inkl. Angestelltenmöglichkeiten für Nachwuchsärzte) den Kern einer Lösung bilden. 

Schritt 6 (Gesundheitsversorger): Findet sich kein privatwirtschaftlicher Weg, kann die Kommune als eigenständiger Versorger auftreten. Dies ist erst seit 2015 rechtlich möglich. Hierbei wird die Gemeinde oder Stadt durch die Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums in (teil-)kommunaler Trägerschaft selbst zum Gesundheitsversorger. Aufgrund der Komplexität dieses Vorhabens sowie des personellen und zeitlichen Bedarfs, empfiehlt sich hierbei immer die Hinzuziehung von externen Fachleuten. In der Regel dauert solch ein Prozess zwei bis drei Jahre. Zu klären ist dabei neben der Rechtsform des kommunalen MVZ auch die Art der Sicherheitsleistung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung. Für die Neugründung oder Umgründung mit bereits niedergelassenen Ärzten müssen die Rollen des ärztlichen Leiters und des kaufmännischen Leiters besetzt werden, entsprechende Absichtserklärungen und Verträge für den Kauf der notwendigen Arztsitze müssen geschlossen werden.

Der für die kommunalen Gremien und die Rechtsaufsicht notwendige Geschäftsplan einschl. Investitions- und Finanzprognose muss erstellt werden und nach erfolgter Gründung muss die Zulassung beim regional zuständigen Zulassungsausschuss beantragt werden. Parallel hierzu sollte mittels eines Gründungsgeschäftsführers der Betrieb der neuen größeren Praxis vorbereitet werden. Hierbei empfiehlt sich die Hinzuziehung eines Fachanwalts für Medizin- und Vertragsrecht. (Lesen Sie auch: Gründung kommunaler MVZ im Landkreis Darmstadt-Dieburg – Interview)

Fazit

Ergänzend zu den oben dargestellten Kernpunkten sei hinzugefügt, dass kommunale Medizinische Versorgungszentren durchaus auch mit Beteiligung von Vertragsärzten und (privaten) Krankenhäusern gegründet werden können. Ein kommunales MVZ ist dabei immer nur als ultima ratio zu sehen: Eben dann, wenn es partout keine privatwirtschaftliche Lösung gibt, sich keine Lösung durch eine solvente, sprich schuldenfreie Kreisklinik anbietet und eine wohnortnahe medizinische Versorgung für große Teile der Bevölkerung einfach unabdingbar ist.

Weitere informative Beiträge zu den Themen moderne medizinische Versorgung und Bewältigung des Ärztemangels finden Sie in unserem Magazin Impulse