Ärztemangel Rheinland-Pfalz
Ärztemangel in Rheinland-Pfalz
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Ärztemangel Prognose
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Ärztliche Versorgung in Hessen

Hessen Ärztemangel

Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen veröffentlicht im Abstand von mehreren Jahren sogenannte Versorgungsberichte zu Demografie, Anstellungsquoten und Praxisstrukturen im Bereich der ambulanten Versorgung. Darüber hinaus werden quartalsweise die Versorgungsgrade der einzelnen Mittelbereiche aktualisiert. Wir werfen im Folgenden einen Blick auf die aktuelle Versorgungssituation in Hessen und werden uns dabei insbesondere auf die hausärztliche Versorgung konzentrieren. Wir analysieren die stattfindende Transformation im Bereich der ambulanten Versorgung und zeigen notwendige (kommunale) Initiativen auf. 

Laut letztem Versorgungsbericht aus dem Jahr 2022, waren in Hessen sind zum Stichtag 01.03.2022 insgesamt 13.581 Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -therapeuten tätig, die entsprechend ihrem jeweiligen Versorgungsauftrag (Kassensitz) – mit insgesamt 11.003,76 Sitzen in der Bedarfsplanung – gezählt wurden. Im Vergleich zum Bedarfsplan 2019 waren in Hessen somit 787 zusätzliche Ärzte/Psychotherapeuten vertragsärztlich tätig, während sich die Anzahl der Arztsitze im gleichen Zeitraum um 232,36 erhöht hat. Dies zeigt, dass ein großer Anteil der nachrückenden Mediziner eine Tätigkeit in Anstellung (und ggf. Teilzeit) ausübt. Bezogen auf die allgemeinmedizinische Versorgung waren 4.183 Hausärztinnen und Hausärzte auf 3.939,18 Kassensitzen tätig.

Entwicklung der vertragsärztlichen Versorgung 

Insgesamt kann innerhalb der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung sowohl ein Trend von der Freiberuflichkeit hin zur Anstellung als auch eine Entwicklung von der Voll- in die Teilzeittätigkeit festgestellt werden. So hat sich die Anzahl der Anstellungen von 657 im Jahr 2009 auf 3.479 im Jahr 2021 mehr als verfünffacht. Im Vergleich hierzu ist die Anzahl der zugelassenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten im gleichen Zeitraum nahezu unverändert geblieben (Abb. 1 und 2).

Betrachtet man darüber hinaus den Umfang der an der vertragsärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Ärzte sowie Psychotherapeuten, so kann eine Zunahme der Teilzeitbeschäftigung festgestellt werden. Die nachfolgende Abbildung 3 zeigt die Entwicklung der Teilzeitbeschäftigung in prozentualen Angaben. 

Abb. 3: Entwicklung Teil- und Vollzeitbeschäftigung seit 2009, Quelle: KV Hessen 2022, eigene Darstellung

Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass die Teilzeitbeschäftigung seit 2007 auch innerhalb aller Praxisformen angestiegen ist. Während die Teilzeitbeschäftigung in Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) und Einzelpraxen im Jahr 2007 noch unter einem Prozent lag, stieg dieser Anteil bis zum Jahr 2021 stetig auf 13 bzw. 25% an. Den höchsten Anteil an Teilzeitbeschäftigungen ist allerdings nach wie vor in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) wiederzufinden: Hier stieg der Anteil der Teilzeitbeschäftigungen im Zeitraum 2007-2021 von 14 auf 41%. 

Eine Untersuchung der gewählten Praxisformen – unabhängig vom Beschäftigungsumfang – innerhalb der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung in Hessen zeigt zudem einen Trend zur Kooperation (Abbildung 4). Der Anteil der Einzelpraxen hat zwischen 2007 und 2021 um 10 Prozentpunkte abgenommen, wohingegen die Anteile der Medizinischen Versorgungszentren um neun Prozentpunkte und die der Berufsausübungsgemeinschaften um einen Prozentpunkt angestiegen sind. Dieser Trend hat auch in den letzten drei Jahren angehalten, sodass im Vergleich zum letzten Bedarfsplan die Anteile von Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften um 3 Prozentpunkte zugunsten der Medizinischen Versorgungszentren abgenommen haben. 

Abb. 4: Anzahl Versorgungsaufträge nach Praxisformen in % (alle Ärzte), Quelle: KV Hessen, eigene Darstellung

Trotz dieses Rückgangs zwischen den Jahren 2007 und 2021 ist die Einzelpraxis jedoch immer noch die dominierende Praxisform. Allerdings üben nur noch 50% der Hausärztinnen und Hausärzte bzw. 40% der Fachärztinnen und Fachärzte ihr ärztliche Tätigkeit in einer Ein-Personen-Praxis aus (Abbildungen 5 und 6). Medizinische Versorgungszentren (MVZ) wurde darüber hinaus vornehmlich im fachärztlichen Bereich gegründet, darunter fallen u.a. die aktuell in Rede stehenden Investoren-MVZ der spezialisierten Facharztgruppen.

Abb. 5: Anzahl Versorgungsaufträge nach Praxisformen in % (Hausärzte), Quelle: KV Hessen, eigene Darstellung
Abb. 6: Anzahl Versorgungsaufträge nach Praxisformen in % (Fachärzte), Quelle: KV Hessen, eigene Darstellung

Neben der Form sowie des Umfanges der Teilnahme an der vertragsärztlichen sowie psychotherapeutischen Versorgung als auch der Praxisform, hat sich in den letzten Jahren auch das Geschlechterverhältnis für zugelassene und angestellte Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Hessen verändert. Es zeigt sich, dass der Anteil weiblicher Ärzte bzw. Psychotherapeuten stetig ansteigt. Während im Jahr 2009 der Anteil weiblicher Ärzte bzw. Psychotherapeuten noch bei 40,46% lag, ist dieser inzwischen bis zum Jahr 2021 auf 52,28% und damit in diesem Zeitraum um über 10 Prozentpunkte gestiegen (Abbildung 7). 

Abb. 7: Anteil weiblicher und männlicher Ärzte und Psychotherapeuten, Quelle: KV Hessen, eigene Darstellung

Altersstruktur der hessischen Ärzte und Psychotherapeuten 

Nachfolgend wird die Altersstruktur der hessischen Hausärztinnen und Hausärzte abgebildet (Abbildung 8). Die Zahlen verdeutlichen, dass der Anteil der über Sechzigjährigen hoch ist. Da die hausärztliche Versorgung im deutschen Gesundheitssystem die gesundheitliche Primärversorgung übernimmt, stellt dies, auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Nachbesetzungsproblematik und der älter werdenden Bevölkerung, eine wesentliche Herausforderung dar. Dies gilt mit zeitlicher Verzögerung ebenfalls für die weiteren Versorgungsebenen, der Sekundärversorgung.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die ambulante Versorgung aufgrund der zunehmend älter werdenden Ärztinnen und Ärzte als auch der sich ändernden Vorstellungen von ihrem Beruf, wie z.B. die Work-Life-Balance, vor enormen Herausforderungen steht. 

Abb. 8: Altersstruktur der hessischen Hausärzte (in %), Quelle: KV Hessen, eigene Darstellung

Versorgungsform MVZ in Hessen

Die Anzahl der MVZ in Hessen und damit auch deren Anteil an der ambulanten Versorgung hat in den letzten Jahren stetig zugenommen, sodass im Jahr 2022 über 300 MVZ-Hauptbetriebsstätten gezählt werden können. Aufgrund der aktuellen Entwicklung rund um die bevorstehende Regulierung sogenannter Investoren-MVZ, dürfte sich diese Zahl mittlerweile bei rd. 350 bewegen. 

Viel interessanter ist dabei, dass auch räumlich deutliche Unterschiede bei der Verteilung der MVZ-Praxisstandorte festzustellen waren und sind. MVZ sind überwiegend in Mittel- und Oberzentren und in den städtisch geprägten Regionen angesiedelt. Die nachfolgende Karte (Abbildung 9) der KV Hessen zeigt alle MVZ-Praxisstandorte zum Stand vom 01.05.2022 in Hessen. 

Abb. 9: Verteilung von MVZ in Hessen, Quelle: KV Hessen
Abb. 10: Versorgungsanteile von hausärztlichen MVZ in den hessischen Mittelbereichen (Planungsbereichen), Quelle: KV Hessen

Schlussfolgerungen

Die obenstehende Abb. 10 zeigt den Versorgungsanteil hausärztlicher MVZ in den damals noch 72 (heute 73) hausärztlichen Mittelbereichen in Hessen. Wie die Abbildungen 5 und 6 zeigen ist der Anteil hausärztlicher MVZ an der Gesamtzahl aller hessischen MVZ relativ gering, da v.a. fachärztliche MVZ mit hoher Spezialisierung und damit deutlich höheren Gewinnen für Investoren besonders attraktiv sind. Dazu gehören u.a. folgende Fachbereiche: Transfusionsmedizin, Labormedizin, Strahlentherapie, Humangenetiker, Augenheilkunde und Radiologie. Wie Abb. 9 verdeutlicht, sind diese v.a. in Ballungsgebieten (z.B. Frankfurt am Main, Wiesbaden, Kassel, Darmstadt) vorzufinden. Ähnlich verhält es sich mit den wenigen existierenden hausärztlichen MVZ. So sind in den meisten Mittelbereichen keine oder nur vereinzelt hausärztliche MVZ vorzufinden (Abb. 10). Dabei handelt es sich erfahrungsgemäß um Arztgetragene-MVZ und keine Investoren-MVZ. (Lesen Sie auch: Hausärztemangel in Nordrhein-Westfalen)

Wie die Abbildungen 1-8 zeigen, schreitet der Umbruch im Bereich der ambulanten Versorgung unaufhaltsam voran. Die bisher dominierende Berufsausübungsform der Einzelpraxis kann dabei den Anforderungen jüngerer Medizinerinnen und Mediziner nicht mehr gerecht werden. Die Einzelpraxis ist jedoch die im ländlichen Raum vorherrschende Berufsausübungsform. Investoren außerhalb des Gesundheitsmarktes fokussieren sich auf den Aufbau fachärztlicher MVZ in großstädtischen Ballungsgebieten und Schaffen damit die geforderten Anstellungsmöglichkeiten für Nachwuchsmediziner. Im ländlichen Raum hingegen sind diese Initiativen spärlich gesät, hier fehlt es bundesweit an Akteuren, welche die Transformation der Praxislandschaft aktiv mitgestalten. Der Gesetzgeber hat diese Entwicklung bereits erkannt und erleichtert seit 2015 – und aktuell mit dem Entwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG Teil 1) – Kommunen bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Sicherstellung einer wohnortnahen ärztlichen Primärversorgung. Kommunen sollen dabei die dringend benötigten Initiativen anstoßen und das vorhandene ärztliche Engagement in diese Richtung unterstützen und fördern. Damit sollen auch fern der Ballungsgebiete hausärztliche MVZ-Strukturen aufgebaut werden, welche die so dringend benötigten Anstellungsmöglichkeiten für jüngere Ärztinnen und Ärzte bereitstellen. Die im Zuge dieses Beitrages aufgezeigten Entwicklungen lassen dies vielerorts alternativlos erscheinen, will man nach wie vor eine bedarfsgerechte und wohnortnahe ärztliche Versorgung für die Bevölkerung gewährleisten.

Hausärztliche Mittelbereiche im Überblick

Im Folgenden werfen wir einen Blick auf die 73 hessischen Mittelbereiche der hausärztlichen Versorgung zum Stichtag 1.1.2024 (Abb. 11 und 12). Stimmt die Relation von Ärzten und Patienten in einer Region mit der gesetzlichen Vorgabe überein, so beträgt der Versorgungsgrad genau 110 Prozent. Unter einem Versorgungsgrad von 75 Prozent (hausärztliche Versorgung) besteht i.d.R. eine Unterversorgung. Eine Überversorgung wird im Allgemeinen ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent ausgewiesen. Der Planungsbereich wird dann für Neuzulassungen gesperrt. (Lesen Sie auch: Hausärztemangel in Deutschland – Ein Blick in die Glaskugel)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit Stand 1.1.2024:

  • ein hausärztlicher Mittelbereich (Sontra) in der Unterversorgung liegt (1,4%), wobei auch die MB Allendorf (78,33%), Borken (76,94%), Homberg (77,66%), Haiger/Dillenburg (81,91%) und Witzenhausen (78,91%) sich nahe der Grenze zur Unterversorgung befinden und somit als „drohend unterversorgt“ zu bezeichnen sind,
  • 25 der 73 Mittelbereiche unterhalb der Regelversorgung liegen (34 %),
  • 30 der 73 Mittelbereiche innerhalb der Regelversorgung liegen (41 %)
  • nurmehr 17 von 73 hausärztlichen Mittelbereichen (23 %) vollversorgt sind,
  • in Hessen derzeit insgesamt 245,5 Hausarztsitze unbesetzt sind.
Abb. 11 und 12: Aktuelle hausärztliche Versorgung in den 73 Mittelbereichen, Quelle: KV Hessen, eigene Darstellung