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Hausärztemangel in Nordrhein-Westfalen

Nordrhein-Westfalen Ärztemangel

Nordrhein-Westfalen ist bezogen auf die haus- und fachärztliche Bedarfsplanung unter den Bundesländern eine Besonderheit. Aufgrund historischer Gegebenheiten erfolgt die Bedarfsplanung durch zwei Kassenärztliche Vereinigungen (KV): Der KV Nordrhein sowie der KV Westfalen-Lippe. Wir werfen im Folgenden einen Blick auf Erstere, analysieren die derzeitige hausärztliche Versorgungssituation und werden versuchen zu prognostizieren, in welchen Regionen sich der Mangel an Allgemeinmedizinern in den kommenden zehn Jahren noch spürbarer auswirken wird. 

Den 17 KVen im Bundesgebiet obliegt es dabei selbst zu entscheiden, wie detailliert die veröffentlichten Versorgungsberichte aufgeschlüsselt werden. Im direkten Vergleich zur „Schwester-KV“ in Westfalen-Lippe sind in Bezug auf die KV Nordrhein leider deutlich weniger aussagekräftige Daten über die Versorgungslage zu generieren. So finden sich weder Aussagen über die Struktur der Praxislandschaft (Anzahl Einzelpraxis, Gemeinschaftspraxis, Kooperationen oder MVZ), die genaue Altersverteilung noch über die Entwicklung von ärztlichen Anstellungsmöglichkeiten in der ambulanten Versorgung (Entwicklung Teilzeit etc.). Obgleich von Bundesland zu Bundesland Unterschiede existieren, dürfen die sog. Megatrends „Teilzeit“ und „ärztliche Kooperationsformen“ auch für die KV Nordrhein zu unterstellen sein. Sofern keine genauen Zahlen vorliegen, wird auf Vergleichsdaten zurückgegriffen. (Lesen Sie auch: Hausärztemangel in Westfalen-Lippe)

Ausgangssituation

Im Gegensatz zu Westfalen-Lippe liegt die Region Nordrhein bezüglich auf die Ärztedichte mit knapp 227,6 niedergelassenen Medizinern pro 100.000 Einwohner bundesweit im unteren Mittelfeld (Westfalen-Lippe: 194). Die Ärztedichte in der Region Westfalen-Lippe zählt beispielsweise zu den dünnsten in Deutschland. 

Mit Stand 30. März 2023 waren im KV-Gebiet Nordrhein rd. 6.300 Hausärztinnen und Hausärzte auf 5.966,18 Kassensitzen tätig. Eine Aufschlüsselung nach Geschlecht oder Umfang des Versorgungsauftrages war hingegen nicht möglich.  Ein Blick in das Zahlenwerk der Ärztekammer Nordrhein liefert zumindest bei den gemeldeten Ärztinnen und Ärzte mit arbeitsmedizinischer Fachkunde eine weiterführende Aufschlüsselung nach Altersgruppen. So sind von 1.415 Ärzte, welche diese Fachkunde vorweisen können, 60 % über 60 Jahre alt. Da diese Zahl jedoch fachspezifisch zu sein scheint, lassen sich hieraus keine Rückschlüsse auf die Gesamtheit aller Ärzte im Gebiet der KVNO ableiten. 

Lediglich einer Pressemitteilung der KVNO vom Frühjahr 2023 ist zu entnehmen ist, dass ein Drittel der Hausärztinnen und Hausärzte über 60 Jahre alt sind (rd. 2.100). Damit läge der Anteil der über 60-jährigen im Bundesdurchschnitt. Eine weitere Aufschlüsselung aus offiziellen KVNO-Daten ist nicht möglich. Doch der Kölner Stadtanzeiger berichtete Anfang Oktober 2023, dass 22,5 % der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (aller Fachgruppen) der KV Nordrhein im Jahr 2022 älter als 65 Jahre waren. Damit stellen sie einen höheren Anteil als jede andere Altersgruppe. Zum Vergleich, in Westfalen-Lippe sind 40 % der Hausärzte über 60 Jahre alt. Davon war knapp die Hälfte 65 Jahre oder älter. Die KVNO bestätigte zumindest die eingangs erwähnte Vermutung, und konstatierte in der Pressemitteilung, dass „die Arztzahlen nach Köpfen jährlich (steigen), doch es durch den Trend zu Teilzeit und Anstellung in Summe kein Wachstum im Versorgungsumfang (gibt). Konsequenz sind ein Absinken der Behandlungszeit, längere Wartezeiten und längere Wege zu den Praxen“.

Über die Praxisstruktur kann hingegen leider keine Aussage getroffen werden. Zum Vergleich stellt sich die Praxislandschaft in Westfalen-Lippe wie folgt dar: 76,4 Prozent der hausärztlichen Praxen sind Einzelpraxen. 20,6 Prozent Berufsausübungsgemeinschaften (z.B. Gemeinschaftspraxen) sowie 3 Prozent Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Da die Zahlen aus Westfalen-Lippe dem Bundesdurchschnitt ähneln, kann eine ähnliche Strukturierung auch für die Region Nordrhein unterstellt werden. 

Der Anteil der Einzelpraxen ist dabei in ländlichen Regionen erfahrungsgemäß deutlich höher als in Ballungsgebieten. Ländliche Regionen mit einem Einzelpraxis-Anteil von bis zu 90 Prozent sind nicht auszuschließen. Dies verdeutlicht die Herausforderungen bzgl. der erfolgreichen Transformation der ambulant-ärztlichen Versorgung.

So streben immer mehr junge Mediziner danach die ärztliche Tätigkeit in Anstellung auszuüben, ein Großteil wünscht dies sogar in Teilzeit zu tun. Ein-Personen-Praxen können diese Anforderungen kaum erfüllen. Die Folge ist, dass viele Mediziner nur in Ballungsgebieten derartige Anstellungsmöglichkeiten finden, viele Hausarztsitze in ländlichen Regionen verwaisen somit zunehmend. 

Aktuelle Situation in der Region Nordrhein

Stimmt die Relation von Ärzten und Patienten in einer Region mit der gesetzlichen Vorgabe überein, so beträgt der Versorgungsgrad genau 110 Prozent. Unter einem Versorgungsgrad von 75 Prozent (hausärztliche Versorgung) bzw. 50 Prozent (fachärztliche Versorgung inkl. Psychotherapie) besteht i.d.R. eine Unterversorgung. Eine Überversorgung wird im Allgemeinen ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent ausgewiesen. Der Planungsbereich wird dann für Neuzulassungen gesperrt. 

Planungsbereiche für die Arztgruppe der Allgemeinmediziner/Hausärzte sind die 94 Mittelbereiche nach der Zuordnung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Diese wurden im Nachfolgenden aufgelistet und entsprechend ihres derzeitigen hausärztlichen Versorgungsgrades eingeteilt. Die Einteilung erfolgte auf o.g. Parametern, wobei gilt:

  • dunkelgrün ab 110 %, Planungsbereich gesperrt, Vollversorgung
  • Hellgrün 100-109 %, Planungsbereich offen, in Regelversorgung
  • Gelb 90-99 %, unterhalb der Regelversorgung
  • Orange 76-89 %, drohende Unterversorgung
  • Rot <75 %, Unterversorgung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass 

  • sich mit heutigem Stand keiner der hausärztlichen Planungsbereiche in der Unterversorgung befindet, wobei v.a. bei den Planungsbereichen Heiligenhaus (75,8 %), Kaarst (82,9 %), Korschenbroich (84,1 %), Waldbröl (79,9 %) und Xanten (80,3 %) dies absehbar zu erwarten ist,
  • 12 der 94 Planungsbereiche als „drohend unterversorgt“ gelten können (12,8 %),
  • nurmehr 38 von 94 hausärztlichen Planungsbereichen (40,4 %) als regel- bzw. vollversorgt bezeichnet werden können,
  • in der Region Nordrhein insgesamt 519 Hausarztsitze unbesetzt sind.

Die Mittelbereiche im Überblick

Quelle: KVNO, eigene Darstellung

Mangelnde Transparenz bei KV-Daten

Im Gegensatz z.B. zur KV Bayern, wird das Durchschnittsalter der Hausärzte je Planungsbereich durch die KVNO nicht ausgewiesen. Vor allem aus letzterer Kennzahl wäre eine fundiertere Prognostizierung der weiteren Entwicklung der Versorgungssituation je Planungsbereich möglich. Als Beispiel sei hier die Stadt Köln erwähnt. So weist der dazugehörige hausärztliche Planungsbereich Köln einen Versorgungsgrad von 109,00 Prozent (Regelversorgung, nahe Vollversorgung) aus. Aktuellen Zeitungsberichten der Jahre 2022/23 ist jedoch zu entnehmen, dass z.B. in Köln-Nippes das Durchschnittsalter bei den Hausärzte bei 56 Jahren liegt, knapp 40 % wären 60 Jahre oder älter. Die ausgewiesene Regelversorgung für die Stadt Köln von 109,00 Prozent täuscht demnach über die baldigen Herausforderungen – zumindest in einigen Quartieren – hinweg. Gibt es nur geringe bis keine privatwirtschaftlichen oder kommunalen Initiativen, um die o.g. Transformation der Praxislandschaft anzustoßen, dürfte selbst ein derzeit (statistisch) gut versorgter Planungsbereich wie Köln aufgrund der Nachbesetzungsproblematik bis 2030/35 mit hoher Wahrscheinlichkeit nurmehr einen Versorgungsgrad von schätzungsweise 80 Prozent aufweisen (drohend unterversorgt). 

Kommunale Initiativen in der Region Nordrhein

Die im ländlichen Raum häufig fehlende privatwirtschaftliche Initiative ruft oftmals die betroffenen Kommunen auf den Plan. Die gründen derzeit die Gemeinde Nümbrecht (rd. 17.500 Einwohner) im Oberbergischen Kreis ein Medizinisches Versorgungszentrum in kommunaler Trägerschaft, um dem Hausärztemangel vorbeugen. Doch auch die fachärztliche Versorgung soll gestärkt werden, zumal die Gemeinde als heilklimatischer Kurort gilt. Darüber hinaus strebt die Stadt Goch (rd. 35.400 Einwohner) im Kreis Kleve die Gründung eines kinderärztlichen MVZ in kommunaler Trägerschaft an, welches perspektivisch um eine hausärztliche Komponente erweitert werden könnte. Es ist zu vermuten, dass in Bälde weitere Kommunen ähnliche Projekte zur Sicherstellung einer wohnortnahen und bedarfsgerecht ärztlichen Versorgung anstoßen werden, sofern privatwirtschaftliche Initiativen fehlen. (Lesen Sie auch: Dachverband der Betriebskrankenkassen sieht in Primärversorgungszentren die Zukunft)