Hausärztemangel Niedersachsen
Ärztemangel in Niedersachsen
26. August 2023
Hausärztemangel
Versorgungsassistentinnen sollen dem Hausärztemangel trotzen
14. September 2023

Hausärztemangel in Westfalen-Lippe

Hausärztemangel Westfalen-Lippe

Nordrhein-Westfalen ist bezogen auf die haus- und fachärztliche Bedarfsplanung unter den Bundesländern eine Besonderheit. Aufgrund historischer Gegebenheiten erfolgt die Bedarfsplanung durch zwei Kassenärztliche Vereinigungen (KV): Der KV Nordrhein sowie der KV Westfalen-Lippe. Wir werfen im Folgenden einen Blick auf Letztere, analysieren die derzeitige hausärztliche Versorgungssituation und werden versuchen zu prognostizieren, in welchen Regionen sich der Mangel an Allgemeinmedizinern in den kommenden zehn Jahren noch spürbarer auswirken wird. (Lesen Sie auch: Ärztemangel in Niedersachsen)

Westfalen-Lippe bleibt Schlusslicht bei Hausarztdichte

Die Ärztedichte in der Region Westfalen-Lippe zählt zu den dünnsten in Deutschland. Vor allem in Bezug auf die Hausarztversorgung ist die Region deutschlandweit Schlusslicht. So waren im Jahr 2020 mit 194 Ärzten und Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner die Patienten in Westfalen-Lippe vergleichsweise gering versorgt. Schlechter stehen Patienten nur in Brandenburg (188,3) da. Die ländlichen Kreise Gütersloh (124,8), Lippe (133,8) sowie der Hochsauerlandkreis (135,7) bilden das Schlusslicht in Westfalen-Lippe.

Zur Einordnung: In den Stadtstaaten Hamburg und Bremen war das Verhältnis mit Werten um die 300 deutlich besser, ähnliches gilt für Münster mit einer Ärztedichte von 314,1 je 100.000 Einwohner. Auch die Region der KV Nordrhein konnte 2020 mit knapp 227,6 niedergelassenen Medizinern pro 100.000 Einwohner einen besseren Wert vorweisen.

Vor allem Hausärzte gibt es in Westfalen-Lippe zum Teil erheblich weniger als anderswo: Mit nur 59,6 Hausärzten pro 100.000 Einwohner ist das Verhältnis in keiner der bundesweit 17 KV-Regionen schlechter. Die Kreise Herford (49,7), Gütersloh (50,4) sowie die Stadt Hamm (54,7) zählten 2020 zu den zehn Kommunen und Kreisen mit den schlechtesten Werten. Auf 100.000 Einwohner in Hamburg kommen beispielsweise 72,9 Hausärzte. Auch Baden-Württemberg, Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern können ähnliche Werte verzeichnen. Mit 65,9 Hausärzten sieht es im Rheinland besser aus. Die Zahlen dürften sich in den vergangenen drei Jahren nur geringfügig verändert haben. 

Ausgangssituation

Mit Stand 6. Dezember 2022 waren in Westfalen-Lippe 4.916 Hausärzte tätig. Hiervon waren 2.848 Männer und 2.068 Frauen. Darüber hinaus waren 6.947 Fachärzte und 3.154 ärztliche Psychotherapeuten in der ambulanten Versorgung tätig. Insgesamt demnach 15.017 Ärztinnen und Ärzte.

Quelle: KVWL 2023

Altersstruktur

Von den 4.916 Hausärztinnen und Hausärzten in Westfalen-Lippe waren zum Stichtag im Dezember 2022 40,3 Prozent über 60 Jahre alt (1.982 Hausärzte). Damit liegt der Anteil der über 60-jährigen über dem Bundesdurchschnitt. Eine weitere Aufschlüsselung der KVWL-Daten ist seit 2019 aus Datenschutzgründen nicht möglich. Doch der Jahresbericht 2022 der Ärztekammer Westfalen-Lippe liefert zumindest Daten bis zum 65. Lebensjahr – jedoch bedauerlicherweise nur für alle Facharztgruppen gebündelt. So waren von den 15.017 Ärztinnen und Ärzten im Jahr 2022 4.946 über 60 Jahre alt, 2.083 hiervon hatten das 65. Lebensjahr bereits überschritten. Überträgt man nunmehr diese Altersstruktur auf die der Hausärzte, dürften schätzungsweise 830 der 1.982 Hausärzte über 60 Jahre bereits 65 Jahre oder älter sein.

Quelle: KVWL 2023

Praxisstruktur

Die 15.017 Ärztinnen und Ärzte im Einzugsgebiet der KVWL üben in 9.090 Praxen ihre Tätigkeit aus. Hiervon entfallen 76,4 Prozent auf die Einzelpraxis. 20,6 Prozent auf Berufsausübungsgemeinschaften (z.B. Gemeinschaftspraxen) sowie 3 Prozent auf Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Der Anteil der Einzelpraxen in ländlichen Regionen ist erfahrungsgemäß deutlich höher als in urbanen Ballungsgebieten. Ländliche Regionen mit einem Einzelpraxis-Anteil von bis zu 90 Prozent sind nicht auszuschließen. Die Praxislandschaft ähnelt somit allen weiteren KV-Gebieten in Deutschland und zeigt die Herausforderungen bzgl. der erfolgreichen Transformation der ambulant-ärztlichen Versorgung auf.

So streben immer mehr junge Mediziner danach die ärztliche Tätigkeit in Anstellung auszuüben, ein Großteil wünscht dies sogar in Teilzeit zu tun. Ein-Personen-Praxen können diese Anforderungen kaum erfüllen. Die Folge ist, dass viele Mediziner nur in Ballungsgebieten derartige Anstellungsmöglichkeiten finden, viele Hausarztsitze in ländlichen Regionen verwaisen somit zunehmend. 

Dabei ist die Anstellung nicht nur für Ärztinnen attraktiv: Zunehmend arbeiten auch ihre männlichen Kollegen in Anstellung. Bei den Hausärzten in Westfalen-Lippe ist der Anteil der Angestellten in den letzten zehn Jahren von 16 auf 21,6 Prozent gestiegen. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig: Junge Mediziner scheuen vor allem das unternehmerische Risiko einer Selbstständigkeit. Ebenso wird die überbordende Bürokratie im Praxisalltag als Hindernis für die Niederlassung wahrgenommen. So müssen Mediziner in einer klassischen Ein-Personen-Praxis oft mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Prozessen verbringen. Der Praxisinhaber kommt hierbei leicht auf eine Wochenarbeitszeit von teilweise deutlich über 50 Stunden. Ärzte in Anstellungsverhältnissen können sich hingegen viel mehr auf ihre medizinische Kerntätigkeit, die Arbeit mit dem Patienten, fokussieren.

Quelle: KVWL 2023

Die nachfolgende Grafik „Entwicklung der angestellten Ärztinnen und Ärzte 2010 bis 2021“ verdeutlicht den generellen Umbruch im ambulanten Bereich. Obwohl die Anzahl der Ärzte nach Köpfen konstant zunimmt, sinkt das Arbeitspensum je Arzt. Dies bedeutet vereinfacht ausgedrückt, dass drei Nachwuchsmediziner dieselbe Arbeitsleistung erbringen wie bisher zwei Abgeber-Ärzte. Somit wird deutlich, weshalb die Landarztquoten – welche ohnehin viel zu niedrig angesetzt sind, um nachhaltig erfolgreich zu sein – ins Leere laufen werden. Es bedarf vielmehr ein Bündel zahlreicher Maßnahmen, darunter den Aufbau größerer Praxiseinheiten mit der Möglichkeit der Delegation ärztlicher Leistungen an nicht-ärztliche Mitarbeiter (z.B. VeraH etc.), mit der Möglichkeit der Teilzeit, die erfolgreiche Implementierung von telemedizinischen Angeboten sowie der generellen Einbettung medizinisch-therapeutischer Angebote in solch größere Strukturen (z.B. Regionale Versorgungszentren, Primärversorgungszentren etc.)

Quelle: Ärztekammer Westfalen-Lippe

Aktuelle Situation in Westfalen-Lippe

Stimmt die Relation von Ärzten und Patienten in einer Region mit der gesetzlichen Vorgabe überein, so beträgt der Versorgungsgrad genau 100 Prozent. Ab einem Versorgungsgrad von 75 Prozent (hausärztliche Versorgung) bzw. 50 Prozent (fachärztliche Versorgung inkl. Psychotherapie) besteht i.d.R. eine Unterversorgung. Eine Überversorgung wird im Allgemeinen ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent ausgewiesen. Der Planungsbereich wird dann für Neuzulassungen gesperrt. 

Planungsbereiche für die Arztgruppe der Hausärzte sind die 111 Mittelbereiche in Westfalen-Lippe nach der Zuordnung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Als allgemeine Verhältniszahl werden 1.609 Einwohner pro Arzt zugrunde gelegt. Diese wurden im Nachfolgenden aufgelistet und entsprechend ihres derzeitigen hausärztlichen Versorgungsgrades eingeteilt. Die Einteilung erfolgte auf o.g. Parametern, wobei gilt

  • dunkelgrün ab 110 %, Planungsbereich gesperrt, Vollversorgung
  • Hellgrün 100-109 %, Planungsbereich offen, in Regelversorgung
  • Gelb 90-99 %, unterhalb der Regelversorgung
  • Orange 76-89 %, drohende Unterversorgung
  • Rot <75 %, Unterversorgung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass 

  • sich mit heutigem Stand 5 von 111 hausärztlichen Planungsbereichen (4,5 %) in Unterversorgung befinden,
  • 26 der 111 Planungsbereiche als „drohend unterversorgt“ gelten können (23,4 %),
  • sich nurmehr 47 von 111 hausärztlichen Planungsbereichen (42,3 %) innerhalb der Regelversorgung/Vollversorgung befinden,
  • in Westfalen-Lippe insgesamt 572,5 Hausarztsitze unbesetzt sind.
Quelle: KVWL, eigene Darstellung

Mangelnde Transparenz bei KV-Daten

Wie eingangs erwähnt, ist einerseits eine detailliertere Altersgruppendarstellung (z.B. ab 70 Jahre bzw. 75 Jahre) nicht einsehbar, andererseits ist im Gegensatz z.B. zur KV Bayern, das Durchschnittsalter der Hausärzte je Planungsbereich nicht ausgewiesen. Vor allem aus letzterer Kennzahl wäre eine fundiertere Prognostizierung der weiteren Entwicklung der Versorgungssituation je Planungsbereich möglich. Als Beispiel sei hier die Kommune Stadtlohn (rd. 21.000 Einwohner) im Kreis Borken erwähnt. So weist der dazugehörige hausärztliche Planungsbereich Borken (rd. 91.000 Einwohner) einen Versorgungsgrad von 103,40 Prozent (Regelversorgung) aus. Zeitungsberichten der Jahre 2022/23 ist jedoch zu entnehmen, dass allein in Stadtlohn jeder zweite Hausarzt über 60 Jahre alt ist. Ist der Altersdurchschnitt des übrigen Planungsbereiches ähnlich und entspricht die Praxisstruktur der des KVWL-Gebietes, täuscht die ausgewiesene Regelversorgung von 103,40 Prozent über die baldigen Herausforderungen hinweg. Gibt es nur geringe bis keine privatwirtschaftlichen oder kommunale Initiativen, um die o.g. Transformation der Praxislandschaft anzustoßen, dürfte selbst ein derzeit (statistisch) gut versorgter Planungsbereich wie Borken aufgrund der Nachbesetzungsproblematik bis 2030 mit hoher Wahrscheinlichkeit nurmehr einen Versorgungsgrad von schätzungsweise 90-95 Prozent aufweisen. Es ist anzunehmen, dass sich bis zum Jahr 2030 rd. 40 Prozent der Planungsbereiche der KVWL in der (drohenden) Unterversorgung befinden werden. Derzeit sind dies 28,9 Prozent. (Lesen Sie auch: Die ambulante medizinische Versorgung im Umbruch)

Kommunale Initiativen in Westfalen-Lippe

Die im ländlichen Raum häufig fehlende privatwirtschaftliche Initiative ruft oftmals die betroffenen Kommunen auf den Plan. Im Münsterland hat Anfang Januar 2023 das erste Medizinische Versorgungszentrum in kommunaler Trägerschaft im Gebiet der KVWL eröffnet. Die Gemeinde Wettringen will damit dem Hausärztemangel vorbeugen. Zwei Hausärzte gaben zum Jahreswechsel ihre Arztpraxen auf, um seit diesem Jahr als Angestellte im Medizinischen Versorgungszentrum des Ortes zu arbeiten. Trägerin des Versorgungszentrums ist die Gemeinde Wettringen. „Wir wollen damit die Hausarzt-Versorgung in Wettringen für die Zukunft sichern“, so Bürgermeister Berthold Bültgerds. Bereits nach wenigen Wochen konnte eine dritte (ortsfremde) Ärztin gewonnen werden, wodurch sich bestätigt hat, dass sich – sobald die o.g. Strukturen im ländlichen Raum geschaffen werden –  Medizinerinnen und Mediziner erfolgreich anwerben lassen. Dostal & Partner begleitete das in Wettringen im Kreis Steinfurt befindliche kommunale MVZ von Planung bis Inbetriebnahme. (Lesen Sie auch: Dachverband der Betriebskrankenkassen sieht in Primärversorgungszentren die Zukunft)