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Versorgungsassistentinnen sollen dem Hausärztemangel trotzen

Hausärztemangel

Das Versorgungsprojekt „Versorgt am Ort“, welches bis vor Kurzem noch „VERAH am Ort“ hieß, startete in der Gemeinde Stockheim (rd. 5.000 Einwohner) im Landkreis Rhön-Grabfeld in Bayern am 22. Mai diesen Jahres. Dabei sollen Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VeraH) die wohnortnahe Versorgung im ländlichen Raum verbessern.  (Lesen Sie auch: Die ambulante medizinische Versorgung im Umbruch)

Was ist eine VeraH?

Mobile Versorgungsassistenten/Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH) bzw. Nichtärztliche Praxisassistenten/Praxisassistentin (NäPa) entlasten bereits einige Hausärzte durch gezielte Hausbesuche. Jedoch werden die Patientinnen und Patienten dabei ausschließlich einzeln besucht. Das neue Vorhaben „Versorgt am Ort“ richtet sich an Patientinnen und Patienten, denen der Weg in die Praxis nicht möglich ist, die aber ausreichend mobil sind, um eine Räumlichkeit im Ort aufzusuchen. Dort soll die ortsgebundene VERAH zu regelmäßigen Präsenzzeiten und mit direkter ärztlicher Anbindung die Leistungen erbringen, die sie sonst bei den Patientinnen und Patienten zu Hause durchführen würden. Die dadurch eingesparte Fahrzeit hilft, die hausärztliche Versorgung in den Orten des Streutals zu erhalten.

Hintergrund

Das Projekt geht auf eine Zusammenarbeit der Streutalallianz, der HeimatUnternehmer, der Universität Bayreuth als wissenschaftlicher Begleiter und mehreren Ärztinnen und Ärzten aus dem Streutal zurück. Das bayerische Gesundheitsministerium förderte das Pilotprojekt mit 50.000 Euro (Machbarkeitsstudie) sowie 500.000 Euro (Co-Finanzierung Inbetriebnahme).

Die Idee der „Dorfschwester“, so der damalige Arbeitstitel, entwickelte sich immer weiter. Ältere Menschen können sich noch an diese erinnern. Damals kümmerten sich in kleineren Dörfern und Ortschaften ausgebildete Krankenschwestern um die Gesundheit der Bevölkerung zu ausgewiesenen Sprechstunden. 

Aktuell besteht zwischen Oberstreu und Fladungen formal eine hausärztliche Überversorgung, die durch die derzeit acht Hausarztpraxen im Streutal begründet ist. Allerdings ist ein Großteil der praktizierenden Ärztinnen und Ärzte älter als 65 Jahre. Lediglich drei von ihnen sind unter 65 Jahren. Wenn in den nächsten Jahren keine Nachfolger für diese Praxen gefunden werden, müssen diese schließen. So wäre die hausärztliche Versorgung in den Gemeinden nur schwer bis gar nicht zu gewährleisten. Um weite Anfahrtswege zu den Arztpraxen zu verhindern, wurde „Versorgt am Ort“ entwickelt. 

Der Ärztemangel ist eine der großen Herausforderungen für die medizinische Versorgung: In einer alternden Gesellschaft steigt der Bedarf an ambulanten medizinischen Leistungen stetig. Gleichzeitig werden auch die Ärztinnen und Ärzte immer älter. Entsprechend schließen viele Praxen. Diese Entwicklung hat schon heute in manchen, insbesondere ländlichen Regionen zur Folge, dass es vielerorts keine flächendeckende wohnortnahe hausärztliche Versorgung mehr gibt. Das Versorgungsprojekt „Versorgt am Ort“ kann eine Lösung für die betroffenen Regionen bieten. Die SBK Siemens-Betriebskrankenkasse hat die Umsetzung des Projektes im unterfränkischen Landkreis Rhön-Grabfeld begleitet.

Anlaufstelle für unkomplizierte medizinische Hilfe

Die Idee ist einfach: Die Versorgungsassistentinnen sind zu festen Zeiten in den entsprechenden Räumlichkeiten, welche die Gemeinden zur Verfügung stellen. Ausgestattet mit entsprechender Kommunikationstechnik können sie bei Bedarf mittels Telemedizin die niedergelassenen Ärztinnen oder Ärzte im Umkreis hinzuziehen und Vitaldaten der Patientinnen und Patienten übermitteln. Die Menschen vor Ort finden in einer angemessenen Entfernung medizinische Hilfe. Davon profitieren insbesondere diejenigen, die nur eingeschränkt mobil sind. Die VERAH erfahren eine Aufwertung des noch neuen Berufsbilds. Und die Hausärztinnen und -ärzte der Region können die Versorgung mit einem angemessenen Aufwand auch für die weiter entfernten Regionen gewährleisten.

Franziska Beckebans, Bereichsleiterin für Kundenmanagement und Versorgung bei der SBK: „VERAH am Ort ist ein Herzensprojekt für uns. Denn es ist eine vielversprechende Lösung für die hausärztliche Unterversorgung im ländlichen Raum. Das Versorgungsprojekt kann für viele Versicherte eine Verbesserung der Versorgung bedeuten. Klar ist aber auch, dass das Projekt nur ein Baustein sein kann, dem sich zuspitzenden Fachkräftemangel in der Medizin zu begegnen. Wir brauchen dringend langfristige Strategien, um die Versorgungssituation der Versicherten im ländlichen Raum zu sichern.“ (Lesen Sie auch: Dachverband der Betriebskrankenkassen sieht in Primärversorgungszentren die Zukunft)

Wissenschaftliche Begleitung

Diese ortsgebundene Leistung der VERAH wird im Vergleich zu den etablierten Hausbesuchen im deutschen Gesundheitssystem noch nicht abgebildet und auch nicht vergütet. Anders sieht dies jedoch bei der NäPa aus, die zwar – wie oben bereits kurz geschildert – nahezu die gleichen Leistungen erbringen, jedoch über die KV abgerechnet werden. Hier gilt der Bundesmanteltarifvertrag Ärzte Anlage 8 mit der Vereinbarung über die Erbringung ärztlich angeordneter Hilfeleistungen in der Häuslichkeit der Patienten, in Alten- oder Pflegeheimen oder in anderen beschützenden Einrichtungen gem. § 87 Abs. 2b Satz 5 SGB V, EBM Kapitel 38. Damit sind ortsgebundene Leistungen der NäPa abrechenbar.

Derzeit beschäftigen sich die Streutalallianz, die Projektpartner vor Ort und ein Team der Universität Bayreuth um Dr. rer. pol. Reiner Hofmann und Gesundheitsökonomin Julia Bräuer damit, wie solche ortsgebundenen VERAH-Leistungen in der Praxis abgerechnet werden können und wie ein rechtlicher Rahmen aussehen kann. Hierfür muss in einer wissenschaftlichen Studie die neue Art der Versorgung sowohl auf medizinische als auch auf wirtschaftliche Eignung hin bewiesen werden.

Das Projekt „Versorgt am Ort“ soll nun zeigen, ob es sich für Arztpraxen, Krankenkassen und die Bevölkerung lohnt, die beschriebene Idee dauerhaft umzusetzen und die gesetzlichen Regelungen dafür zu schaffen. Damit die Arbeit der Universität und der Ärztinnen und Ärzte finanziert werden kann, unterstützte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek bereits im Frühjahr 2022 die Prüfung der Machbarkeit und Vorbereitung der Studie mit 50.000 Euro. In einer Pressemitteilung erklärte er hierzu:

„Unser Ziel ist ein neues Versorgungsangebot, mit dem VERAHs – neben den bisherigen Hausbesuchen – von Hausärztinnen und Hausärzten auch beauftragt werden können, Patientinnen und Patienten zu versorgen, die noch hinreichend mobil sind. Während die Hausarztpraxen häufig mehrere Kilometer weg sind, sollen die VERAHs künftig in einzelnen Ortschaften des Landkreises Rhön-Grabfeld stundenweise Patientinnen und Patienten in festen Räumlichkeiten betreuen. So wird der Anfahrtsweg für die Patientinnen und Patienten deutlich verkürzt. (…)

Mit Blick auf die demografische Entwicklung ist klar: Immer mehr ältere Menschen werden in Zukunft von immer weniger Ärztinnen und Ärzten versorgt werden. Ich freue mich daher, dass wir die Studie der Universität Bayreuth ‚VERAH am Ort‘ mit rund 50.000 Euro fördern und damit neue Konzepte entwickeln können, um Versorgungslücken zu vermeiden. Die Studie soll nun dabei helfen, den bisherigen Einsatz der Versorgungsassistentinnen und -assistenten in der Hausarztpraxis weiterzuentwickeln. Mit den VERAH gelingt es uns schon heute, die Hausärztinnen und Hausärzte zu entlasten, etwa bei der Durchführung von Hausbesuchen oder in der Wundversorgung. VERAH kümmern sich dabei bisher vor allem um ältere, immobile und multimorbide Patientinnen und Patienten. Jetzt soll auch die Betreuung mehrerer Patientinnen und Patienten an festen Orten außerhalb der hausärztlichen Praxis untersucht werden.“

Quelle: Pressemitteilung der SBK Siemens-Betriebskrankenkasse vom 22. Mai 2023, www.streutalallianz.de/veraham-ort/ Abruf v. 13.09.2023