Referentenentwurf Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz
Gesetzgeber plant deutliche Erleichterungen bei der Gründung kommunaler MVZ (GVSG)
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hausärztliches Genossenschaftsmodell
Kommunale Medizinische Versorgungszentren in der Rechtsform einer Genossenschaft
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Dachverband der Betriebskrankenkassen sieht in Primärversorgungszentren die Zukunft

Primärversorgungszentren PVZ GVSG

Vor rd. zwei Wochen präsentierte der BKK-Dachverband sein Positionspapier zur Zukunft der ärztlich-medizinischen Versorgung in Deutschland. Darin heißt es, dass der BKK-Dachverband in Primärversorgungszentren (PVZ) die Zukunft der flächendeckenden und bedarfsorientierten ärztlichen Versorgung sieht. Die derzeit noch überwiegende Ausübung der hausärztlichen Tätigkeit in einer Ein-Personen-Praxis hält der Kassenverband für genauso überholt wie die hausarztzentrierte Versorgung (HzV).

So können vor allem Primärversorgungszentren (PVZ) eine Antwort auf die derzeitigen Herausforderungen im Zuge des Umbruchs der ambulanten Versorgung bieten. In einem am 20. Juli 2023 veröffentlichten Positionspapier hat der Kassenverband Rahmenbedingungen für solche Einrichtungen diskutiert. Die klassische hausärztliche Einzelpraxis wurde hingegen als „Auslaufmodell“ charakterisiert. Nach den Vorstellungen des Dachverbands der Betriebskassen sollten diese Zentren auf der Basis von weiterentwickelten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) fußen. Dies biete die Option, „bevölkerungsbezogenen Versorgungsbedarfen passgenauer zu entsprechen, als dies mit herkömmlichen Einzelpraxen gewährleistet werden könnte“. (Lesen Sie auch: Österreich reagiert mit Primärversorgungseinheiten auf den Ärztemangel)

Dieser Gedankengang findet sich auch im 10-Punkte-Plan der KV Nordrhein (KVNO), welcher u.a. (Pkt. 4) die Ambulantisierung durch die Entwicklung gestufter Versorgungsmodelle Hausarzt–Facharzt–Krankenhausambulanz fordert. (Quelle: Quelle: KV Nordrhein, Statement des Vorstandsvorsitzenden der KVNO, Dr. F. Bergmann, 03.05.2023)

Anknüpfungspunkte für die Primärversorgungszentren sollen bestehende Vertragsformen sein – zum Beispiel die hausarztzentrierte Versorgung (HzV). Denn dort würden hausärztliche Tätigkeiten „weit über rein kurative Aspekte hinaus“ definiert. PVZ sollen sich u.a. durch die Integration von Angeboten der Prävention und Gesundheitsförderung – ähnlich den Regionalen Versorgungszentren (RVZ) in Niedersachsen – auszeichnen. Ein kommunales Engagement im Bereich der Sicherstellung einer zukunftsfesten und wohnortnahen ärztlich-medizinischen Versorgung begrüßte der BKK-Verband eindeutig. Ein solches Engagement würde es darüber hinaus ermöglichen, auch Formen der aufsuchenden Sozialarbeit in die PVZ zu integrieren.

Auch hierzu unterstützt die KVNO mit ihren Forderungen nach der 

  • Entbudgetierung des ambulanten Systems und der nachhaltigen Finanzierung der ärztlichen Leistungen sowie der Delegations- bzw. der Team-Leistungen. (Punkt 8) sowie der
  • völligen Überarbeitung und Neuorientierung der Vergütungsstruktur. (Punkt 9)

Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) in der Kritik 

Auch die HzV selbst sieht der BKK-Dachverband als Auslaufmodell: Aufgrund des bundesweiten Mangels an Hausärzten würde diese Versorgungsform nachvollziehbarerweise zunehmend „an Grenzen der Realisierbarkeit stoßen. […] Die Erwartungen an die HzV, allein eine koordinierende Funktion zur Lösung bestehender Schnittstellenprobleme im Gesundheitswesen zu etablieren, haben sich (zudem) nicht erfüllt.“ (Lesen Sie auch: Umfrageergebnisse – Fachkräftemangel und wirtschaftliche Gesamtsituation in MVZ)

Weiterhin plädiert der BKK-Dachverband dafür, auch die im Zuge der Krankenhausreform diskutierten Level Ii-Krankenhäuser (Grundversorgung mit integrierter ambulant/stationärer Versorgung) in die Primärversorgung einzubeziehen: „Diese Häuser können selbst die ambulante Primärversorgung leisten“. 

Weitere Merkmale und Anforderungen an PVZ aus Sicht des BKK-Dachverbands:

Zulassungsverfahren: Die Zulassung eines PVZ sollte – übrigens unabhängig von der Trägerschaft des MVZ – dann Priorität haben, wenn es bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllt: Allgemeinmediziner, Kinder- und Jugendmediziner sowie Medizinische Fachkräfte mit erweiterten Kenntnissen wie beispielsweise Nichtärztliche Praxisassistenz (NäPa), VERAH, Pflegefachkraft oder Sozialtherapeutin. Zudem solle eine solche Einrichtung Kooperationsverträge mit „lokal agierenden Akteuren“ abschließen – als Beispiele werden Terminservicestellen der KVen, der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD), Pflegestützpunkte oder ambulante Krebsberatungsstellen genannt – „sowie niedergelassene Fachärzte“, heißt es im Papier.

Teambasierte Versorgung: Eine teambasierte Primärversorgung solle „als neuer Standard“ festgelegt werden. Einzelpraxen könnten „diesen Anspruch schon heute nicht mehr erfüllen“, konstatiert der BKK-Dachverband. Um die Grundversorgung sicherzustellen, solle die Trennung zwischen ärztlicher und pflegerischer Versorgung überwunden werden. „Perspektivisch“ sollten heilkundliche Tätigkeiten an akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte, Community Health Nurses oder Physician Assistants übertragen werden.

Gründungsberechtigung: Über den Kreis der bisher möglichen Träger von MVZ hinaus sollten auch Krankenkassen sowie deren Verbände PVZ gründen dürfen. Vorrangig sollten in den Planungsbezirken solche Einrichtungen entstehen, in denen Hausarztsitze unbesetzt sind.

Finanzierung von PVZ: Ärztliche Leistungen in PVZ sollten nach GOÄ oder nach den Regelungen zur hausarztzentrierten Versorgung in Paragraf 73 SGB V vergütet werden. Die nichtärztlichen und koordinativen Leistungen in den Zentren sollten in bestehende Vergütungen integriert werden. In einer Rahmenvereinbarung im Bundesmantelvertrag könnten für PVZ entsprechende Zuschläge und Pauschalen vereinbart werden, lautet der Vorschlag.

Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (GVSG)

Aktuell arbeitet das Bundesgesundheitsministerium an einem Gesetzesentwurf, welcher die oben angesprochenen Lösungen und Entwicklungen aufgreift. (Lesen Sie auch: Gesetzgeber plant deutliche Erleichterungen bei der Gründung kommunaler MVZ) Im vorliegenden Referentenentwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) vom 15.06.2023 werden die folgenden Punkte angesprochen:

Förderung und Stärkung der regionalen Vernetzung und kooperativen Gesundheitsversorgung durch Gesundheitsregionen = alternative Organisation der Regelversorgung ohne Einschreibungspflicht der Versicherten und unter Beibehaltung der gewachsenen Strukturen.  

Primärversorgungszentren in ländlichen und strukturschwachen Regionen: Hierzu heißt es im jüngsten Entwurf: „Mit dem Ziel, den Herausforderungen in der hausärztlichen Versorgung insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen zu begegnen […] sollen Primärversorgungszentren etabliert werden. Sie sollen als attraktive Beschäftigungsmöglichkeit für Hausärztinnen und Hausärzte auch die Bereitschaft zur Niederlassung in diesen Regionen steigern […] Mit dem Ziel, die Kommunen besser in die Lage zu versetzen, eine starke lokale Versorgungsinfrastruktur aufzubauen, wird die Gründung kommunaler Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) erleichtert. Auch hiermit wird eine im Koalitionsvertrag enthaltene Vereinbarung umgesetzt.“

Der Teil I des GVSG, der übrigens auch die Möglichkeiten der Kommunen zur Gestaltung der ärztlichen bzw. gesundheitsbezogenen Versorgung vor Ort stärken und erleichtern wird, soll bereits im Herbst diesen Jahres verabschiedet werden. 

Quelle: Pressemittlung der ÄrzteZeitung, 20. Juli 2023