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Gesetzgeber plant deutliche Erleichterungen bei der Gründung kommunaler MVZ (GVSG)

Referentenentwurf Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz

Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)

„Mit dem Ziel, den Herausforderungen in der hausärztlichen Versorgung insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen zu begegnen und den besonderen Bedürfnissen älterer und multimorbider Patientinnen und Patienten gerecht zu werden, sollen Primärversorgungszentren etabliert werden. Sie sollen als attraktive Beschäftigungsmöglichkeit für Hausärztinnen und Hausärzte auch die Bereitschaft zur Niederlassung in diesen Regionen steigern. […] Mit dem Ziel, die Kommunen besser in die Lage zu versetzen, eine starke lokale Versorgungsinfrastruktur aufzubauen, wird die Gründung kommunaler Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) erleichtert. Auch hiermit wird eine im Koalitionsvertrag enthaltene Vereinbarung umgesetzt.“

So heißt es im aktuellen Referentenentwurf zum Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG), welches in den kommenden Wochen verabschiedet werden soll. Der Gesetzgeber macht damit deutlich, dass er die im ambulanten und stationären Gesundheitswesen stattfindende Transformation in seiner vollen Bedeutung für die Sicherstellung einer flächendeckenden und bedarfsgerechten Versorgung erkannt hat. Nach der gesetzlichen Neuerung im Jahr 2015, wonach Kommunen als Träger Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) auftreten durften, sollen nunmehr die Möglichkeiten von Kommunen sich an der Versorgung zu beteiligen ausgeweitet werden, darüber hinaus werden Hürden deutlich abgebaut. (Lesen Sie auch: 20 Jahre Medizinische Versorgungszentren)

Im Folgenden sollen die wichtigsten Neuerungen für kommunale Akteure vorgestellt werden. Gabriele Dostal, als Leiterin unseres Projektteams Versorgungsforschung und -sicherheit hierzu im Interview.

Frau Dostal, können die Gesetzespläne in Bezug auf die Primärversorgungszentren dazu beitragen, dass Kommunen eher als bei (kommunalen) MVZ in die ambulante Gesundheitsversorgung mit einsteigen? 

Wir haben es mit MVZ und PVZ von Seiten der Kommunen mit deutlich anderen Akteursgruppen zu tun. Kommunale MVZ (von Gemeinden und Städten, nicht von Kreiskrankenhäusern) fokussieren ausdrücklich die wohnortnahe (haus-)ärztliche Versorgung. Dies fordern der „Siebte Altenbericht“ mit einer möglichst wohnortnahen hausärztlichen Primärversorgung (BMFSFJ, 7-Altenbericht, Drucksache 18/10210, 02.11.2016, S. 167) und auch das Kommunalrecht des jeweiligen Bundeslandes. Darum wundert es auch nicht, dass nur sechs der Ende 2022 bestehenden 24 kommunalen MVZ in Gemeinden über 10.000 Einwohnern lagen.

Primärversorgungszentren sprechen neben der haus- grundsätzlich auch die fachärztliche Versorgung an. § 73a SGB V (neu durch Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz) dient dabei als Rechtsgrundlage für die Errichtung von PVZ: „[…] In Primärversorgungszentren wird Versicherten neben der regulären hausärztlichen Versorgung […] ein besonderes hausärztliches Versorgungangebot zur Verfügung gestellt, das durch zusätzliche berufsgruppenübergreifende, koordinierte, kooperative und versorgungssteuernde Versorgungelemente gekennzeichnet ist.“

D.h. hier haben wir es mit komplexen Einheiten zu tun, die deutlich über die wohnortnahe hausärztliche Grundversorgung hinausgehen. Die ersten geförderten PVZ in Baden-Württemberg werden z.B. in Regionen auf den Weg gebracht, in denen Krankenhäuser geschlossen werden. Als Folge werden wir eine deutliche Splittung im Markt erleben:

Kleine Kommunen werden sich weiterhin eher auf das Thema MVZ konzentrieren. Durch das deutliche (indirekte) Benennen der Zuständigkeit/Verantwortung der Kommune wird hier eine der Hürden („keine Pflichtaufgabe“) fallen bzw. deutlich „abgemildert“ werden. Die Deckelung der Sicherheitsleistungen (und damit das Vermeiden der teuren Bankbürgschaft durch die jährliche Bereitstellungsgebühr) gibt den Kommunen die Möglichkeit, hier selbst als Bürge aufzutreten. Die Entkoppelung der Leistungen aus dem Strukturfonds von der bestehenden oder drohenden Unterversorgung hilft vielen kleinen Kommunen, die in ungünstig geschnittenen Mittelbereichen mit starken Zentren liegen. Diese können damit die notwendigen finanziellen und inhaltlichen Förderungen abschöpfen. In Bezug auf kommunale MVZ ist bereits aktuell eine deutlich steigende Dynamik zu erkennen, diese wird durch das GVSG weiter zunehmen. Im Gesetzesentwurf heißt es hierzu:

„Die Gründung medizinischer Versorgungszentren (MVZ) durch Kommunen wird erleichtert. Der Gesetzentwurf sieht hierfür für die Zulassung eines MVZ in der Rechtsform der GmbH die Möglichkeit vor, die gesetzlich vorgesehenen Sicherheitsleistungen der Höhe nach zu begrenzen. Darüber hinaus wird klargestellt, dass die Verwendung von Mitteln des Strukturfonds zur Förderung der vertragsärztlichen Versorgung nicht von der Feststellung einer Unterversorgung oder eines zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs abhängt.“

Primärversorgungszentren wären auf Grund ihrer Komplexität nahezu eine Überforderung. Die Darstellung eines PVZ aus dem Förderprogramm des Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg zeigt diese Komplexität auf. Wir sehen am Beispiel des Gesundheitskiosk Billstedt-Horn, wie lange es dauert ein inhaltlich kooperierendes deutlich kleineres Netzwerk aufzubauen. Hier können sich aufgrund des hohen Erfüllungsaufwands (Personal, Kompetenzen, Kosten) eher mittelgroße bis große Kommunen oder interkommunale Kooperationen auf den Weg machen, gerade in den angeführten ländlichen und/oder strukturschwachen Gebieten. Daher spannt z.B. auch der o.g. Förderaufruf jeweils Landkreise und Gemeinden zusammen.

Da der Referentenentwurf die Errichtung eines PVZ allerdings abhängig macht von einer bestehenden oder drohenden hausärztlichen Unterversorgung, schränkt dies die Zahl der potenziellen Akteure wieder ein. 

Was wäre aus Ihrer Sicht bei der Regelung der Primärversorgungszentren noch wünschenswert? 

Der Referentenentwurf führt selber an: „Durch die Anpassung des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM) im Hinblick auf die Vergütung nichtärztlicher Leistungen, die in den Primärversorgungszentren erbracht werden, können der GKV Mehrausgaben entstehen.“ Dabei fehlt der ebenfalls im Entwurf genannte Einbezug der fachärztlichen Versorgung: „Indem Primärversorgungszentren mit anderen Fachärztinnen und Fachärzten sowie weiteren nichtärztlichen Leistungserbringern kooperieren, wird eine effektive Versorgungssteuerung, sowie eine zeitgerechte, den medizinischen Notwendigkeiten entsprechende Behandlung ermöglicht.“ (Lesen Sie auch: Die ambulante medizinische Versorgung im Umbruch)

Der entscheidende Faktor für eine professionelle, hochwertige und bezahlbare Gesundheitsversorgung in einem PVZ ist die Entkoppelung der unterschiedlichen Honorierungen (stationär, ambulant, ärztlich, nicht-ärztlich in der Praxis / in Einrichtungen oder aufsuchend, therapeutisch und pflegerisch). Alle gerade genannten Einrichtungen sind hinsichtlich Dokumentation, Bürokratie und Abrechnungsmodalitäten an der Obergrenze. Dies schränkt das Interesse an einer Kooperation mit anderen deutlich ein.

Wie sieht es mit rechtlichen Hindernissen aus, die noch beseitigt werden müssten, etwa in Bezug auf die soeben angesprochenen Kooperationen im Rahmen von PVZ?

Die im obigen Absatz angesprochenen Aspekte wären in einem ersten Schritt bereits vollkommen ausreichend. Gute Beispiele von aktuell möglichen Kooperationen, die aus den lokalen Bedarfen heraus entstehen, sind die Regionalen Versorgungszentren (RVZ) in Niedersachsen. Diese entstehen als Förderprojekte des Landes Niedersachsen in Kombination zwischen Landkreis und Gemeinde. Die RVZ kombinieren in kleinerem Umfang frei nach lokalem Bedarf ein hausärztliches kommunales MVZ, therapeutische, pflegerische und sonstige Gesundheitsleistungen mit sozialen Leistungen. Hierfür sind alle notwendigen Regelungen bereits vorhanden. Selbst Lotsung und Casemanagement und sogar fachärztliche Leistungen können einbezogen werden. (Lesen Sie auch: Regionales Versorgungszentrum und kommunales MVZ in Baddeckenstedt eröffnet)

Was sind die Hauptgründe, warum bisher wenige Kommunen in der ambulanten Gesundheitsversorgung aktiv sind?

Die Regularien der Gesundheitsversorgung sind höchst komplex und unterscheiden sich von denen der anderen Märkte nahezu vollständig. Daher zögern viele Kommunen sich auf ein Gebiet einzulassen, von dem sie wissen, dass sie nur geringe Kenntnisse haben. Zudem steht die ärztliche Versorgung (noch) nicht im Pflichtenheft der Kommunen. Dies wird sich sicherlich durch das neue Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz ändern.

Gerade in kleineren Gemeinden kommen Bedenken auf hinsichtlich der (finanziellen) Förderung eines Arztes, wenn man z.B. den Gewerbebetrieb XY nicht fördert. Kommunalrechtlich ist eine privatwirtschaftliche Initiative der Kommune – in diesem Falle ein MVZ – nur dann möglich, wenn ein Marktversagen vorliegt. Hier geben die Kassenärztlichen Vereinigungen zwar Auskunft. Oftmals liegt jedoch die Gemeinde in einem Planungsgebiet, dass vom Versorgungsgrad her voll oder gut versorgt ist. Hier fällt es der KV verständlicherweise schwer ein Marktversagen zu bestätigen, zumal man auch älteren Ärztinnen und Ärzten nicht per se unterstellen darf, dass sie sich in den nächsten zwei bis drei Jahren zurückziehen werden. – Die oben angesprochene Möglichkeit auf den Strukturfonds auch dann zurückgreifen zu können, wenn keine Unterversorgung gegeben ist, wird hier eindeutig „befreiend“ wirken.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen, meiner Einschätzung nach, als deutlicher Treiber fungieren werden, zumal bedeutende Hürden bei der Gründung von kommunalen medizinischen Versorgungsformen abgebaut werden. (Lesen Sie auch: Neue Konzepte gegen den Ärztemangel)