Der Strukturwandel der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung birgt neue Herausforderungen aber auch immense Chancen für Gemeinden, Städte und Landkreise. Das Aufbrechen der intersektoralen Grenzen und der stärkere Einbezug nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe und sogar sozialer Berufe verändert den Gesundheitsmarkt rasch und nachhaltig. Der Gesetzgeber ermöglicht Kommunen es seit 2015 kontinuierlich sich in vielfältiger Weise in Bezug auf die Sicherstellung einer wohnortnahen ärztlich-medizinischen Versorgung einzubringen und diese aktiv mitzugestalten. (Lesen Sie auch: Dachverband der Betriebskrankenkassen sieht in Primärversorgungszentren die Zukunft)
Mit Stand Ende Juli 2023 existieren in Deutschland 25 haus- und fachärztliche Medizinische Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft. Der Großteil davon wird in der Rechtsform einer GmbH betrieben, welche v.a. in Bezug auf den laufenden Betrieb sicherlich deutliche Vorteile im Gegensatz zu anderen Rechtsformen aufweist. Der größte Malus, die abzugebende Sicherheitsleistung gegenüber der Kassenärztliche Vereinigung (KV) durch eine teils kostenintensive Bankbürgschaft, wird durch das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) Teil 1 wohl ab Herbst 2023 entfallen. (Lesen Sie auch: Gesetzgeber plant deutliche Erleichterungen bei der Gründung kommunaler MVZ)
Eine weniger unternehmerische dafür aber stärker gemeinwohlorientierte und gemeinschaftliche Möglichkeit ein Medizinisches Versorgungszentrum als Kommune (mit) zu gründen ist die Genossenschaft.
Die Mehrzahl junger Mediziner wünscht sich eine Festanstellung anstatt der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit in einer Ein-Personen-Praxis. Im Kern dreht sich also jegliche Lösung zur Beseitigung des Ärztemangels v.a. um die Schaffung von Anstellungsmöglichkeiten für Nachwuchsmediziner. Diese sind vor allem in ländlichen Regionen mit ihren überwiegend in Einzelpraxen niedergelassenen Hausärzten oft nicht vorhanden. Darüber hinaus sind ein interdisziplinärer Austausch sowie das Arbeiten im Ärzte-Team ebenso eine Anforderung junger Mediziner an ihren Beruf. Um die Chancen auf ärztlichen Nachwuchs in einer Region merklich und nachhaltig zu erhöhen, muss es daher attraktive Arbeitsplätze für angestellte Ärzte in der ambulanten Versorgung geben.
Im Gegensatz zu den anderen möglichen Rechtsformen, in welcher ein kommunales MVZ betrieben werden kann, kann das Genossenschaftsmodell die persönlichen Haftungsrisiken für die Mitglieder weitestgehend ausschließen. So ist eine fast risikolose Beteiligung einer Gemeinde oder Stadt möglich – mit entsprechenden Vorteilen hinsichtlich einer Genehmigung durch die Kommunalaufsicht. Von den Mitgliedern der Genossenschaft werden im Gegensatz zu den Gesellschaftern einer GmbH keine selbstschuldnerischen Bürgschaften verlangt (§ 95 SGB V Abs. 2). Darüber hinaus sind Nachschusspflichten gemäß Satzung der Genossenschaft ausgeschlossen. Das Mitglied haftet zwar noch entsprechend § 23 GenG (Genossenschaftsgesetz) für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft, jedoch ausschließlich in der Höhe der geleisteten Einlage. Diese beläuft sich i.d.R. auf einen kleinen vierstelligen Euro-Betrag. Ebenso existiert keine persönliche Haftung für mögliche Regressforderungen von KV und Krankenkassen.
Zusätzlich zu diesen „praktischen“ Vorteilen, wird die Genossenschaft aufgrund ihres Grundgedankens (Was einer alleine nicht schafft, das erreichen viele gemeinsam) deutlich stärker mit einer Gemeinwohl- und weniger mit einer Renditeorientierung in Verbindung gebracht. So orientieren sich die Stimmengewichte in der Generalversammlung (Mitgliederversammlung) nicht am eingebrachten Kapital. Die Gemeinwohlorientierung kommt auch in der Ausgestaltung der Satzung zum Ausdruck. Wenn die Genossenschaft Erträge erwirtschaftet, verbleiben diese zum allergrößten Teil in der Genossenschaft und werden nicht an die Mitglieder ausgeschüttet. Einbehaltene Gewinne sollen der Fort- und Weiterbildung sowie der Investition in moderne medizinische Infrastruktur zugutekommen. Das Genossenschaftsmodell kann aufgrund dieser Gemeinwohlorientierung auch Ärzte mobilisieren, die die zunehmende Ökonomisierung der Medizin kritisch sehen. Ein weiterer Vorteil der Genossenschaft ist die vereinfachte Aufnahme und das unkomplizierte Ausscheiden von Mitgliedern.
Um die Genossenschaft gründen und aufrechterhalten zu können, sind zu Beginn mindestens 3 Mitglieder erforderlich. Eine Obergrenze sieht der Gesetzgeber nicht vor. Mitglied einer Genossenschaft, die Träger von Arztpraxen bzw. MVZ wird, können nach § 95 SGB Abs. 1a nur werden: zugelassene Ärzte, zugelassene Krankenhäuser (§108 SGB V), Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen nach § 126 Abs. 3, anerkannte Praxisnetze nach § 87b Abs. 2 Satz 3, gemeinnützige Träger, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, oder Kommunen.
Im Gegensatz zur Neugründung einer Arztpraxis bzw. einem MVZ werden beim Genossenschaftsmodell üblicherweise laufende Praxisbetriebe übernommen und (angepasst) fortgeführt. Anpassungen in Bezug auf Unternehmenssteuerung und die Zentralisierung administrativer Tätigkeiten sind möglich. Für die Finanzprognose können daher die Vergangenheitswerte der übernommenen Praxen dienen. Die Wirtschaftlichkeit ist somit bereits im Gründungsjahr der Genossenschaft sichergestellt.
Die notwendige Liquidität, um Investitionen, die mit der Gründung des genossenschaftlichen MVZ in Verbindung stehen, zu finanzieren, wird anfangs über Darlehen gesichert. Diese werden von den bisherigen Praxisinhabern, den Mitgliedern der Genossenschaft oder von Dritten gewährt.
Die Aufgabe der beteiligten Kommunen als Mitglieder einer solchen Genossenschaft ist in erster Linie die Rolle als Moderator und Treiber. Darüber hinaus kann die Kommune das für die Neuausrichtung benötigte Kapital zur Verfügung stellen (z.B. in Form eines Darlehens). Begleitend können Fördermittel abgerufen werden.
Gerade die oben angesprochene Einbindung von bestehenden Praxen in die Genossenschaft stellt für die Weiterentwicklung der Genossenschaft und Findung von Nachfolge- oder zusätzlichen Ärzten eine Herausforderung dar. Die Realisierung von Teilzeit oder anderen Arbeitszeitmodellen stellt eine logistische Herausforderung dar, da die Ärzte zwischen den einzelnen Praxisstandorten wechseln müssen. Dies grenzt den räumlichen Radius einer Genossenschaft deutlich ein. Da an allen Praxisstandorten auch entsprechendes Personal vorgehalten werden muss, ist die Gewinnmarge niedriger als in einer zentralen Praxisstruktur. Dies kann nur zum Teil durch eine einheitliche PVS aufgefangen werden.
Die aktuell (noch) bestehende Vorschrift der KVen für Filialbetriebe, die auch im Fall von Einzelpraxen unter dem Dach einer Genossenschaft gilt, verlangt zudem, dass 70% der ärztlichen Leistungen (d.h. auch Sprechstundenzeiten) am Hauptstandort erfolgen muss. Dies zwingt Genossenschaften in ländlichen Regionen, die mehrere räumlich dislozierte Praxen einbinden dazu, jede Einzelpraxis als MVZ unter einer Dachgesellschaft zu führen.
Ob nun das hausärztliche Genossenschaftsmodell oder die Realisierung eines kommunalen MVZ in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft für betroffene Kommunen die bessere Wahl zur nachhaltigen Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ist, hängt letztlich von der individuellen Konstellation und den Voraussetzungen vor Ort ab. (Lesen Sie auch: Hausärztemangel – Ein Blick in die Glaskugel)