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Eine Genossenschaft zur Sicherstellung einer wohnortnahen ärztlichen Versorgung – Interview

Ärztemangel Genossenschaft

Marian Schreier (30), seit 2015 Bürgermeister der Landstadt Tengen (rd. 4.700 Einwohner) im Landkreis Konstanz, im Interview mit Impulse über die Gründung einer Genossenschaft zur Sicherstellung einer wohnortnahen ärztlich-medizinischen Versorgung.

Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.

Impulse: Herr Schreier, der Hausärztemangel wird auch in Baden-Württemberg mit etwa 500 nicht besetzten Hausarztsitzen immer gravierender. Zudem wird deutlich, dass in zahlreichen, davon betroffenen Kommunen die Infrastruktur nicht den zentralen Anforderungen der herbeigesehnten Nachrücker-Ärzte entspricht. Das bedeutet meistens, dass es auch an einer bedarfsgerechten Infrastruktur mangelt. Um dem abzuhelfen hat die Stadt Tengen 2019 einen vollkommen neuen Weg der Finanzierung beschritten und für die Errichtung eines Ärztehauses eine „Bürger-Genossenschaft“ gegründet. – Was war der auslösende Impuls diesen Weg zu beschreiten?

Schreier: Wie bei vielen ländlichen Gemeinden ist bei uns das Thema der haus- und zahnärztlichen Versorgung aktuell. Es gab bei uns ursprünglich zwei Hausarztpraxen. Zwei Arztsitze konnten nicht nachbesetzt werden, so dass sich für uns die Frage stellte hier tätig zu werden. Wir waren recht schnell an dem Punkt, an dem wir sagten, wir wollen ein Ärztehaus errichten, um moderne Räumlichkeiten bieten zu können. Dies ist ein Punkt, den wir als Stadt gut abdecken können. Die klassischen Varianten wären, dass man es entweder durch einen Investor macht, der das Ganze dann baut und vermietet, oder dass die Stadt selbst baut und vermietet. Wir haben uns für einen dritten Weg entschieden eine Genossenschaft zu gründen. (Lesen Sie auch: Gründung kommunaler Medizinischer Gesundheitszentren – Interview)

Impulse: Wie haben die Bürger und natürlich auch die Unternehmen am Ort auf diesen innovativen Ansatz von Ihnen reagiert?

Schreier: Wir starteten im Dezember 2018 mit einer Informationsveranstaltung. Das Interesse der Bevölkerung war sehr rege und wir konnten auch einige örtliche Akteure als Unterstützer gewinnen, wie z.B. die beiden Kirchen, die beiden Banken usw. In der Zwischenzeit sind es rd. 400 Bürger und Bürgerinnen, die Mitglieder in der Genossenschaft sind. Widerstände oder Kritik an dem Vorgehen von Seiten der Bürger und Bürgerinnen gab es nicht. Wie gesagt, die Bürger haben sehr gut mitgemacht. Das führt auch zu einer sehr hohen Verbundenheit der Bürgerschaft mit dem Ärztehaus und es ist zu erwarten, dass das auch ein Vorteil bei der Nachbesetzung sein kann. Wir akquirieren jetzt nicht weiter, sondern – es ist bei Genossenschaften eigentlich üblich, dass man Projekt für Projekt finanziert mit den Anteilen, die wir eingeworben haben. Und dies durch eine Fremdfinanzierung ergänzt.

Impulse: Wie waren die Beteiligungs- / Zeichnungsmodalitäten ausgestaltet? Wie hoch sind die einzelnen Genossenschaftsanteile? Immerhin beträgt das Bauvolumen rd. 3,25 Millionen Euro.

Schreier: Wir haben über 600.000 Euro an Genossenschaftsanteilen, dann die Förderung des Projekts seitens des Landes Baden-Württemberg aus Richtung „Ländlicher Raum“ und dann eine Fremdfinanzierung. Die Mindesteinlage lag bei 500 Euro.

Impulse: Wichtig war ja von Anfang an, dass sich die Ärzte am Ort einbringen. Was sind bislang deren erkennbaren Beiträge das Thema „Hausärztemangel“ ihrerseits mit bewältigen zu helfen?

Schreier: Wir haben das Ganze natürlich von Anfang an mit den Ärzten abgestimmt, es geht ja schließlich um die ärztliche Versorgung. Da sie die Räumlichkeiten auch nutzen, muss mit ihnen umfassend und frühzeitig zusammengearbeitet werden. Wir haben den Vorteil, dass wir noch bestehende Praxen haben. Da ist es ganz natürlich das gesamte Raumprogramm und die Bauplanung eng mit den Praxen abzustimmen. Dabei ist alles so konzipiert, dass man auch zusätzliche Ärzte integrieren kann. Da sind gerade die Grundrisse wichtig, die auch Entwicklungsmöglichkeiten lassen.

Impulse: Der Bau soll im Sommer 2021 stehen. – Welche Herausforderungen stehen noch für 2021 und 2022 an? Was waren die größten Hindernisse und Herausforderungen?

Schreier: Der gesamte Gründungsprozess verlief absolut reibungslos. Wir haben – wie gesagt – die Informationsveranstaltung im Dezember 2018 gemacht, die eigentliche Gründung fand dann im Februar 2019 statt. Dann wurde im Laufe des Frühjahrs die Genossenschaft eingetragen, wir haben an der Bauplanung gearbeitet, so dass wir dann Ende 2019 eine Baugenehmigung vorliegen hatten. Der Bau hat dann im Frühjahr 2020 begonnen. Die Gebäude stehen jetzt auch schon bis auf den Innenausbau, so dass wir dann im Juni / Juli 2021 fertig sind. Das einzige große Hindernis, das wir eigentlich hatten, waren die Verzögerungen durch die Pandemie. (Lesen Sie auch: Unterschiedliche Lösungen zur Bewältigung des Ärztemangels – Interview)

Impulse: Das war ja ein richtig taffes Programm für Ihre Mitarbeiter.

Schreier: Ja klar. Ich meine die Genossenschaft wird ehrenamtlich geführt, durch meine Person, durch Herrn Luckner, der ist ehemals Arzt in der Gemeinschaftspraxis gewesen. Die Hauptlast der Arbeit liegt bei mir und bei Herrn Luckner, Die operative Arbeit wird außerdem vom Rathaus unterstützt.

Impulse: Wie stark war die Rolle der ansässigen Banken?

Schreier: Die Banken sind Mit-Gründungsmitglieder gewesen und stellen die Fremdfinanzierung. Die gesamte Finanzierungsthematik haben wir natürlich – wie dies immer üblich ist – mit den Banken abgestimmt.

Impulse: Sehen Sie Ihre Genossenschaft als Zukunftsmodell, um auf kommunalpolitische Herausforderungen – wie z.B. den Landarztmangel – zu reagieren? Ist der von Ihnen gewählte Weg multiplizierbar?

Schreier: Absolut. Das halte ich gerade für kleinere Kommunen für ein absolut tragfähiges Modell, weil es neben den klassischen Modellen Investor oder Stadt nochmal ein dritter Weg zur Realisierung eines Ärztehauses ist. Und weil es schlussendlich auch zu einer hohen Verbundenheit der Bürgerschaft mit dem Ärztehaus und den Praxen führt. Im Zentrum steht immer der Gedanke, das ist unsere Arztpraxis.

Impulse: Ihr geschilderter Zeitrahmen war ja recht eng. Ist das generell notwendig, um das Momentum zu erhalten oder kann dieser Zeitrahmen auch gestreckt werden.

Schreier: Der Zeitrahmen kann sicherlich gestreckt werden. Bei uns war es sehr zügig.

Impulse: Herr Schreier, herzlichen Dank für das interessante Gespräch und weiterhin viel Erfolg mit Ihrem Projekt!

Weitere informative Beiträge zu den Themen moderne medizinische Versorgung und Bewältigung des Ärztemangels finden Sie in unserem Magazin Impulse