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Erstes kommunales MVZ nunmehr auch in Nordrhein-Westfalen eröffnet

Kommunales VZ NRW

In der Kleinstadt Neuenrade mit 12.000 Einwohnern im Märkischen Kreis im Nordwesten des Sauerlands, hat zu Beginn des Jahres 2020 das erste kommunale Medizinische Versorgungszentrum Nordrhein-Westfalens eröffnet. Mit dem MVZ will die Stadt Neuenrade dem auch vor Ort spürbaren Ärztemangel entgegentreten. Nachwuchsärzte sind wie in vielen Gemeinden und Städten bundesweit Mangelware, der jüngste Hausarzt im Stadtgebiet von Neuenrade ist bereits 64 Jahre alt.

Ärztlicher Leiter des MVZ ist ein Facharzt für Allgemeinmedizin, der dazu auch seine eigene Praxis nebst seinem bisherigen Patientenstamm eingebracht hat. Er und eine zum Start bereits gewonnene Ärzte-Kollegin betreuen nunmehr im MVZ rund 1.000 Patienten. Beide Ärzte sind nur mittelbar Angestellte der Stadt Neuenrade, die dazu problemlos das kommunales MVZ als Anstalt des öffentlichen Rechts mit einem Stammkapital von EUR 50.000,00 gegründet hatte. „Aufgabe der Anstalt ist die Sicherstellung der hausärztlichen und ärztlichen Versorgung […] sowie die betriebsmedizinische Versorgung der Region Neuenrade“, so die 9-seitige Bekanntmachung der Satzung für die AdöR Medizinisches Versorgungszentrum Neuenrade“ vom 2. September 2019.

Es gab auch Zuschüsse für die AdöR von Dritter Seite: EUR 50.000 – ein Mix aus Zuschuss und Darlehen – von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, zudem unterstützte die Bezirksregierung in Arnsberg das MVZ durch Zuschüsse von bis zu 80 Prozent für die Ausstattung. Die Zuschüsse sind – dies sei hier erwähnt – bekanntermaßen in allen Bundesländern anders. (Lesen Sie auch: Die Landarztquote allein wird es nicht richten)

Kommunales MVZ als ultima ratio

Der Gesetzgeber öffnete Ende 2015 die gesetzliche Möglichkeit für Kommunen (= Städte, Gemeinden aber auch Landkreise) Medizinische Versorgungszentren zu gründen und Ärzte anzustellen. Für die Stadt war es nach langen, zu nichts führenden Diskussionen, schlussendlich die einzig verbliebene Möglichkeit, die medizinische Versorgung in Neuenrade langfristig zu sichern. Alle Versuche, neue Nachwuchsärzte für bestehende Einzelpraxen nach Neuenrade zu locken, sind gescheitert. Trotz Niederlassungsprämie in Höhe von 10.000 Euro ließ sich kein Arzt finden.

Der wichtigste Grund: Einzelpraxen sind bekanntermaßen beim ärztlichen Nachwuchs äußerst unbeliebt. Unflexible Arbeitszeiten, ein Wochenarbeitspensum von 60 Stunden oder mehr, kein ärztlicher Austausch. Kurzum: zu wenig berufliche Austauschmöglichkeiten, d.h. zu wenig ärztliches Arbeiten im Team und unzureichend organisierbare Weiterbildungen.

Aktuellen Umfragen zu Folge möchte die Mehrzahl junger Nachwuchsmediziner in Teilzeit arbeiten
Die Einzelpraxis als dominierende Berufsausübungsform verliert zunehmend an Attraktivität
Quelle: ÄrzteMonitor 2019

Einzelpraxis zunehmend Auslaufmodell

Bis in die 1990er Jahre hinein war die Einzelpraxis die absolut dominierende Praxisform. Die Zahl der Gemeinschaftspraxen stieg nur langsam. Mit Beginn des neuen Jahrtausends wurde die Idee einer zentrenbasierten und fachübergreifenden ambulanten Versorgung in der Bundesrepublik aufgegriffen. Bis zur Wiedervereinigung waren in der DDR sogenannte Polikliniken die überwiegende Organisationsform von niedergelassenen Fachärzten. 2004 hielt diese Organisationsform schließlich in Form der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) Einzug in das Sozialgesetzbuch. 2019 zählten wir über 3.000 MVZ und knapp 20.000 Gemeinschaftspraxen. Mit der Möglichkeit ihrer Gründung stieg die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren seit 2004 rasant. Mittlerweile sind sie fester Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung; derzeit versorgen mehr als 18.000 angestellte Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren ihre Patienten.

Anzahl Medizinischer Versorgungszentren im Zeitverlauf
Quelle: KBV, 2018

Kassenärztliche Vereinigung begrüßt Gründung

Die für die Zulassung zuständige Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe begrüßte das Neuenrader Projekt ausdrücklich: „Kommunale medizinische Versorgungszentren könnten ein Weg sein, dem Ärztemangel auf dem Land entgegenzutreten“, sagt ihr Sprecher Stefan Spieren. Bürgermeister Antonius Wiesemann hofft, langfristig weitere Ärzte für die städtische Praxis gewinnen zu können. Denn langfristig gesichert ist die hausärztliche Versorgung in Neuenrade noch lange nicht. Die Perspektiven sind aber positiv: In der Stadt Schwarzenborn (Hessen), mit dem ersten kommunalen MVZ in Hessen, ist das längst geglückt. Die 1.200-Einwohner-Stadt im Schwalm-Eder-Kreis hat neben zwei Hausärzten mittlerweile auch eine Gynäkologin angestellt. (Lesen Sie auch: Gründung kommunaler Medizinischer Gesundheitszentren – Interview)

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.