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Verkauf einer Arztpraxis – wie viel ist sie wert und was bekomme ich dafür?

Praxiswertgutachten

Sachverständigengutachten über den Wert einer (Zahn-)Arztpraxis

Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen richtet sich der Wert einer Arztpraxis oft nach der Person des Inhabers bzw. der Inhaberin. Diese Ausnahme bei der freiberuflichen Tätigkeit schlägt sich auch beim Bewertungsverfahren nieder. Der Praxiswert lässt sich daher nicht durch die reine Ertragswertmethode bestimmen.

Die Frage, inwiefern der Praxiswert zu ermitteln sei, löst bei Praxisinhabern regelmäßig Kopfschütteln und Verunsicherung aus. In der Tat gibt es keine rechtlich verbindliche Methode für dessen Berechnung. Bundesgerichtshof und Bundessozialgericht haben jedoch in gewisser Maßen für Klarheit gesorgt. Beide Instanzen bewerten das modifizierte Ertragswertverfahren als angemessen und vorzugswürdig. Eine Berechnung einzig und allein auf vergangenheitsbezogener Umsatzwerte ist unzureichend. 

Das modifizierte Ertragswertverfahren

Das modifizierte Ertragswertverfahren orientiert sich an dem IDWS 1 2008- Standard des Instituts der Deutschen Wirtschaftsprüfer. Es ist derzeit das vorherrschende Bewertungsverfahren für die Bewertung von (Zahn-)Arztpraxen. Die darin verankerten Grundsätze entsprechen der herrschenden Meinung in Betriebswirtschaft und Rechtsprechung. 

Grundsätzlich lässt sich festhalten: Der Gesamtwert einer Arztpraxis ergibt sich aus der Summe des materiellen (Substanzwert) und des immateriellen (ideeller Praxiswert bzw. Goodwill). Hinsichtlich der Ermittlung des materiellen Praxisvermögens können und sollten zwei Methoden angewandt werden. Einerseits kann der Substanzwert als Ausgabenersparniswert betrachtet werden. Dieser sagt aus, wie viel an künftigen Ausgaben durch Nutzung der vorhandenen Substanz im Vergleich zu einer Neuerrichtung durch einen präsumtiven Käufer als Bewertungssubjekt erspart werden kann. Andererseits kann der Substanzwert durch Errechnung der Restnutzungswerte zum Bewertungsstichtag mittels Preisindizes ermittelt werden. Der ideelle Wert repräsentiert dagegen das zukünftige Erfolgspotenzial der Praxis, also den Erfolg, den der neue Praxis­inhaber in Zukunft mit der Praxis erzielen könnte. Gleichzeitig wird ein kalkulatorischer Unternehmerlohn/Arztlohn festgesetzt. Dabei handelt es sich um ein fiktives Bruttogehalt, das ein niedergelassener Arzt in einem alternativen Anstellungsverhältnis erzielen könnte. Die prognostizierten zukünftigen Erträge werden anschließend mittels eines Kapitalisierungszinssatzes auf den Bewertungsstichtag abgezinst, um den Barwert (Gegenwartswert) der künftigen Ertragskraft zu erhalten. 

Welche Faktoren sind für eine Praxiswertermittlung von Bedeutung?

Ziel des modifizierten Ertragswertverfahrens ist es die für einen Käufer mit der Praxis in der Zukunft zu erzielenden Erträge zu ermitteln und durch Diskontierung auf die Gegenwart abzuzinsen. Welche Schritte sind hierfür notwendig?

– Analyse der in der Vergangenheit erzielten Erlöse und Gewinne (i.d.R. drei bis fünf Jahre)
– Bereinigung um personengebundene Erlöse und Kosten (darunter fallen auch Käufe oder Verkäufe medizinischer Geräte)
– Nachvollziehbare und begründete Prognoserechnung
– Ansetzen eines angemessenen individuellen Unternehmerlohns
– Berücksichtigung von Abschreibungen, Fahrzeugkosten und Zinsen
– Festlegung des Kapitalisierungszeitraumes (Praxis-Rekonstruktion bzw. Goodwill-Reichweite)
– Ermitteln eines Kalkulationszinses zur Diskontierung der prognostizierten Erlöse
– Substanzwert des Inventars berechnen (hier sind mehrere Ansätze in der Praxis möglich)
– Forderungen und Verbindlichkeiten der Praxis berücksichtigen
– Sensitivitätsanalyse und Plausibilitätsprüfung

Das modifizierte Ertragswertverfahren ist somit zukunftsgerichtet, transparent und für Inhaber und potentiellen Käufer nachvollziehbar. Um im Alltag einen Ausgleich zwischen Verkäufer und Käufer zu erreichen ist Objektivität und Neutralität gefordert. Vor allem hinsichtlich der Bewertung des Inventars und der Festlegung der Goodwill-Reichweite ist entsprechendes Hintergrundwissen und Erfahrung notwendig.

Bei der Ermittlung des Kapitalisierungszeitraums werden zwei Ansätze verfolgt:

Es stellt sich bei der Bewertung einer Arztpraxis die Frage, welche Gewinne in der Zukunft mit der übernommenen Arztpraxis erwirtschaftet werden können. Eine Vorgehensweise ist hierbei die sogenannte Praxis-Rekonstruierung. Dabei wurde überlegt, wie lange es dauern würde, die übernommene Praxis in allen Einzelheiten zu rekonstruieren. 
Folgende Bewertungsmaßstäbe haben sich in der Praxis durchgesetzt:

– Aufbauphase bei Hausarzt- und Zahnarztpraxis zwischen zwei und vier Jahren, 
– Spezialisierte Fachärzte drei bis fünf Jahre,
– ausschließlich gerätemedizinische Arztpraxen mit starker Überweiserstruktur vier bis sechs Jahre.

Alternativ zur Praxis-Rekonstruierung dient die Patienten-Reichweite zur Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums. Dieser Methode liegt die Tatsache zu Grunde, dass eine Arztpraxis vom Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient lebt. Nach einer erfolgten Praxisübernahme geht der Patientenstamm auf den Nachfolger über. Es kommt dabei auch zum Aufbau eines neuen, eigenen Patientenstamms. Bei der Abzinsung der prognostizierten Gewinne wird daher nur der Zeitraum berücksichtigt, in dem sich der Patientenstamm des Vorgängers verflüchtigt. In der Regel wird hierfür ein Zeitraum von zwei bis fünf Jahren angesetzt. Jedoch ist die Patientenstruktur hinsichtlich Verteilung auf Kassen- und Privatpatienten der Arztpraxis entscheidend.

Der Kaufpreis entspricht selten dem Praxiswert 

Doch in der Realität wird sich der Praxiskaufpreis (den ein präsumtiver Käufer bereit ist zu bezahlen) meistens deutlich vom Praxiswert unterscheidet. 

Beim Kauf bzw. Verkauf von Arztpraxen besteht die Herausforderung oftmals darin, dass weder Käufer noch Verkäufer eine realistische Wertvorstellung von dem Praxiswert haben. Oft ist sie beim Verkäufer unrealistisch hoch, weil sie mit Emotionen verbunden ist – schließlich verkauft er so etwas wie sein Lebenswerk. Demgegenüber steht das gleichermaßen verständliche Interesse des Käufers, die Praxis kostengünstig zu erwerben. 

Wie lassen sich die Interessen möglichst neutralisieren?

In unseren Praxiswertgutachten verfolgen wir daher, sofern das Gutachten die Veräußerung der Praxis zum Anlass hat, zwei Vorgehensweisen. Zunächst wird der objektivierte Wert der Praxis ermittelt. Dabei handelt es sich um den Wert, der sich aus der Fortführung der Praxis ergibt, wenn keine wesentlichen Veränderungen vorgesehen sind. Der Substanzwert wird hierbei wie oben dargestellt als Ausgabenersparniswert verstanden. Der Verkäufer unterstellt die Fortführung seiner Praxis im status quo.

Das Vorgehen weicht jedoch im Hinblick auf die Ermittlung eines Argumentationswertes für den präsumtiven Käufer hiervon ab. Dieser wird in den Berechnungen die Umsätze und Kosten variieren. So wird er einerseits niedrigere Umsätze in den ersten Jahren nach Praxiskauf annehmen und gleichzeitig höhere Kosten für Investitionen in Geräte und IT sowie ggf. Marketing berücksichtigen. Den Substanzwert versteht der präsumtive Käufer als Zeitwert des aktuellen Anlagevermögens.

Durch dieses Vorgehen haben Verkäufer und präsumtiver Käufer eine rechnerisch abgeleitete preisliche Verhandlungsspanne, auf die sich beide Parteien in den weiteren Gesprächen stützen können. Zu guter Letzt werden wohl die Wettbewerbssituation im Einzugsbereich der Praxis sowie gegenwärtige Marktumstände darüber entscheiden, ob der final ausgehandelte Kauf- bzw. Verkaufspreis näher am Argumentationswert des Käufers bzw. am objektivierten Wert des Verkäufers liegen wird.

Sie möchten mehr über unsere gutachterliche Tätigkeit bzgl. der Bewertung von Arztpraxen erfahren? Weitere Informationen zu unserem Honorar sowie eine Checkliste der benötigten Unterlagen erhalten Sie hier.