Planung Kassenärztliche Vereinigung
Die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung
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Kommunale MVZ
Bayerisches Gutachten zu kommunalen Medizinischen Versorgungszentren stützt den Paradigmen-Wechsel beim Lösen des Hausärztemangels
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Poliklinik damals, Medizinisches Versorgungszentrum heute

Poliklinik DDR

Poliklinik DDR

In der zunehmenden Diskussion um das Anwachsen von kommunalen Medizinischen Versorgungszentren (kMVZ) vor dem Hintergrund des Landarztmangels wird von Skeptikern dieser Versorgungsform immer wieder auf negative Erfahrungen mit den Polikliniken in der kommunistischen DDR als Quasi-Abschreckungsbeispiele verwiesen. Grund genug sich damit näher zu befassen.

Das Modell der Poliklinik – heute noch vielen aus der ehemaligen DDR bekannt – war keine Erfindung sozialistischer Gesundheitspolitiker. Die Vorläufer dieser medizinischen Versorgungszentren gehen bereits auf den berühmten Arzt und Gelehrten Christoph Wilhelm Hufeland zurück, der 1810 in Berlin für die Eröffnung der ersten Poliklinik überhaupt gesorgt hatte. Dieses erste – wörtlich übersetzt – Stadtkrankenhaus wurde damals für mittellose Erkrankte gegründet. Das erste Stadtkrankenhaus gab es übrigens 1733 in Halle/Saale. Neben dem Begriff der Poliklinik tauchte gleichzeitig die Bezeichnung Ambulatorium, für eine Großpraxis verschiedener niedergelassener Fachärzte auf. Heute finden wir Polikliniken in erster Linie als Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen in Kliniken. Ambulatorien finden wir heutzutage überwiegend in Österreich und der Schweiz.

Eine zentrenbasierte ambulante Versorgung

Die Poliklinik war in der DDR die ambulante Organisationsform par excellence. Sie dienten zur flächendeckenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Bereits 1950 existierten 132 Polikliniken und Betriebspolikliniken. Ziel war eine in Zentren organisierte gesamthafte ambulant-medizinische Versorgung. Die Freiberuflichkeit der Mediziner wurde eingeschränkt und nur als Übergangslösung geduldet. Das flächendeckende Netz der Polikliniken und Betriebspolikliniken sollte staatlich gelenkt und planbar werden. Die freiberufliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit wurde zu Gunsten einer Anstellung in einer Poliklinik weitestgehend aufgegeben.

Diese Großpraxen hatten den Vorteil einer für den Patienten gebündelten medizinischen Versorgung. So praktizierten Allgemeinmediziner, Gynäkologen, Augenärzte, Zahnärzte, Hautärzte, Orthopäden Tür an Tür. Die Patientenwege verkürzten sich und die Effizienz der Behandlung und Organisation stieg. So konnten teure medizinische Geräte gemeinsam angeschafft und genutzt werden. Durch vorhandene Labore oder Röntgeneinrichtungen innerhalb der Polikliniken wurden Doppeluntersuchungen vermieden. Zudem war der ärztliche Austausch unbürokratischer und schneller. (Lesen Sie auch: Über 54 Millionen Arbeitsstunden in Arztpraxen für Bürokratie im Jahr 2018)

Nun aber zur tatsächlichen Klärung der Begrifflichkeit „Poliklinik“, zitiert aus dem DDR Handbuch, hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Fragen, 2. Aufl., 1979, S. 475f.:

„Im Zuge der Verstaatlichung des Gesundheitswesens sind seit 1947 Polikliniken und Ambulatorien in allen Land- und Stadtkreisen errichtet worden. Staatliche Arzt- und Zahnarztpraxen kamen von 1956 an hinzu. Nach jetzigen Normen soll eine Poliklinik mindestens 5 fachärztliche Abteilungen, 1 zahnärztliche Abteilung, Einrichtungen für die Physikalische Therapie und 1 Apotheke umfassen, 1 Ambulatorium, mindestens 2 fachärztliche Abteilungen (Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde) und 1 zahnärztliche Abteilung; Fachärzte weiterer Fachrichtungen aus der übergeordneten Poliklinik halten hier regelmäßige Sprechstunden. Der Versorgungsbereich des Ambulatoriums im territorialen System wird je nach Wohndichte durch staatliche Arztpraxen untergliedert. Staatliche Praxen sind überwiegend frühere Einzelpraxen niedergelassener Ärzte und Zahnärzte in ländlichen Gebieten; vereinzelt sind Neubauten errichtet worden. Den Ambulatorien und staatlichen Arztpraxen sind regelmäßig Gemeindeschwesternstationen zugeordnet; nach Möglichkeit sind sie – ebenso wie die Hebammen – im gleichen Hause untergebracht.“

Neben den Ambulatorien gab es an kleineren Krankenhäusern ländlicher Gebiete Ambulanzen, die direkt von den Krankenhausärzten versorgt wurden. Bestand Anfang 1977: 318 Polikliniken, 641 Stadt- und Landambulatorien, 1.058 Ambulanzen, 1.622 Staatliche Arzt- und 998 Zahnarztpraxen, sowie 5.146 zugeordnete Gemeindeschwesternstationen.

Darüberhinaus bestanden noch 1.213 private Arztpraxen. Danach heißt es auf S. 479 des DDR-Handbuches: „Ärzte und Zahnärzte sind in dem staatlichen Gesundheitswesen der DDR grundsätzlich im Angestelltenverhältnis tätig. Freiberuflich ‚in eigener Praxis tätige Ärzte.’ (bzw. Zahnärzte) sind als Übergangserscheinungen begrenzter Dauer zu verstehen.“ Sowie auf S. 484: „[…] die Ärzte in eigener Niederlassung stellen ein Achtel der ambulant tätigen Ärzte, ihr Leistungsanteil dürfte aber über dem der übrigen liegen.“ Soweit zu den amtlich festgestellten und herausgegebenen Fakten von 1979.

Das Problem hieß Mangelwirtschaft

Kritiker führen häufig sehr lange Wartezeiten und eine anonyme Behandlung bei den Polikliniken der DDR als Negativaspekte dieser Organisationsform an. Vor dem Hintergrund einer vorherrschenden Mangelwirtschaft in der ehemaligen DDR zwar richtig, doch unabhängig von der ambulanten Organisationsform. Eine existierende Mangelmedizin hatte ihren Ursprung in der Knappheit wirtschaftlicher Ressourcen und war keine Folge der Wahl der Poliklinik als Praxisform. Dem gegenübergestellt fehlen der Bundesrepublik bereits heute absehbar rd. 10.000 Allgemeinmediziner. Lange Wartezeiten und Annahmestopps für Patienten sind auch hier an der Tagesordnung, obwohl der vorherrschende Praxistyp hier zu Lande immer noch die Einzelpraxis ist. Ähnliche Kritikpunkte äußern Gegner sogenannter Medizinischer Versorgungszentren (MVZ). Hierbei ist zu erwähnen, dass diese Praxisformen in nicht-städtischen Regionen in der Regel mit drei bis vier Ärzten mit teilweise unterschiedlicher Fachdisziplin arbeiten. Vom Patienten als bloße Nummer kann dabei keine Rede sein. (Lesen Sie auch: Gutachten unterstützt Gründung kommunaler Medizinischer Versorgungszentren)

Ärztehaus statt Poliklinik

Nach dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR stellte sich die Frage nach der Struktur der ambulanten medizinischen Versorgung in Ostdeutschland. Eine Mehrheit der Ostdeutschen sprach sich Anfang der 1990er Jahre in Umfragen für den Erhalt der Polikliniken aus. Aber auch bundesdeutsche Politiker bekundeten Sympathien für die Großpraxen.

Mit dem DDR-„Gesetz zur Umstrukturierung des staatlichen ambulanten Gesundheitswesens, Veterinärwesens und Apothekenwesens“ vom 22. Juli 1990 wurden wichtige Voraussetzungen zur Überführung bisher staatlicher Einrichtungen in private Hände geschaffen. Auf dieser Basis konnten Ärzte und Zahnärzte einen Antrag stellen, um beispielsweise die bisher genutzten Räumlichkeiten der Gesundheitseinrichtungen aus dem Staatsbesitz zu übernehmen.

Am Ende der DDR existierten 1.650 Polikliniken und Landambulatorien. Ihnen wurde im Einigungsvertrag bis 1995 Bestandschutz gewährt. Nichtsdestotrotz wurde deutlich, dass zukünftig auch in den neuen Bundesländern der freiberuflich praktizierende Arzt Träger der ambulanten Versorgung werden sollte. Aus den Polikliniken wurden Ärztehäuser, bestehend aus mehreren räumlich und unternehmerisch getrennt voneinander arbeitenden Ärzten unter einem Dach. Ein knappes Jahrzehnt später wurden daraus die ersten Medizinischen Versorgungszentren. Die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) machte sich für den entsprechenden Gesetzesentwurf 2004 stark. „Viele Impulse für eine bessere medizinische Versorgung kommen aus dem Osten“, verkündete die Bundesministerin damals.

Heute gibt es bundesweit bereits 2.900 Medizinische Versorgungszentren mit über 16.000 angestellten Ärzten. Ihr Anteil wird in den kommenden Jahrzehnten – vor allem auf dem Lande – zunehmen. Angesichts des Ärztemangels bieten sie die notwendige Organisationsform und Effizienz, die zur Behebung des Medizinermangels erforderlich sind. (Lesen Sie auch: kommunale Medizinische Versorgungszentren auf dem Vormarsch)

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.