Im folgenden Beitrag werfen wir einen Blick auf die ambulante ärztliche Versorgung in Thüringen. Die von der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen (KVTH) Daten weisen eine zeitliche Verzögerung von rd. zwei Jahren auf. Dies muss bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden, da zugrundeliegende Trends sich ungemindert fortgesetzt haben. Mit Stand 01.01.2022 stellten insgesamt 4.484 Ärzte und Psychotherapeuten, davon 1.499 Hausärzte, 2.373 Fachärzte und 612 Psychotherapeuten die ambulante Versorgung der Thüringer Bevölkerung sicher. (Lesen Sie auch: Ärztemangel in Rheinland-Pfalz)
Von den Haus- und Fachärzten sowie Psychotherapeuten waren zum Stichtag 56 % Frauen und 44 % Männer. Die Zunahme weiblicher Mediziner im Zeitverlauf kann eindeutig beobachtet werden und folgt damit dem bundesweiten Trend.
Mit 2.757 zugelassenen Ärzten und Psychotherapeuten in eigener Praxis (61,5 %) war die Zahl gegenüber dem Jahr 2008 rückläufig. Die Zahl der angestellten Ärzte und Psychotherapeuten stieg hingegen in diesem Zeitraum auf 1.459 (32,5 %). Bei den verbliebenen 6 % handelte es sich um sogenannte Ermächtige Ärzte. Dies sind im stationären Bereich (z.B. in einem Krankenhaus) arbeitende Ärzte, welche berechtigt (ermächtigt) sind einzelne ambulante Leistungen befristet zu erbringen. Sie sind v.a. im spezialisierten fachärztlichen Bereich (z.B. Kardiologen) zu finden.
Ein signifikanter Anstieg der Anstellungen konnte vor allem in MVZ beobachtet werden. Diese bieten in erster Linie die von jüngeren Medizinerinnen und Medizinern gewünschten Berufsanforderungen, so z.B. Anstellungsverhältnisse in Teilzeit, interdisziplinärer Austausch und Arbeit im ärztlichen Team, Entlastung von bürokratischen Prozessen durch eine MVZ-Verwaltung.
Von den 1.459 angestellten Ärzten übten 755 eine Vollzeittätigkeit aus. Bei den niedergelassenen Ärzten befanden sich von 2.757 Ärzten 2.444 in Vollzeit. Damit teilen sich immer mehr Ärzte Versorgungsaufträge und nehmen die flexiblen Zulassungs- und Anstellungsmöglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Beruf in Anspruch (Teilzeit).
Fast jeder zweite angestellte Arzt übt seine Tätigkeit bereits in Teilzeit aus, im niedergelassenen Bereich sind dies lediglich 11 %. Hierin ist unter anderem die Nachbesetzungsproblematik im ländlichen Raum zu suchen. Ein Großteil der nachrückenden Mediziner möchte im Anstellungsverhältnis tätig werden – und davon jeder zweite in Teilzeit. Eine freiberufliche Niederlassung in einer Einzelpraxis ist vor diesem Hintergrund ausgeschlossen.
Betrachtet man die Altersstruktur der Thüringer Ärzte, sind 31 % der Hausärzte, 29 % der Fachärzte und 22 % der Psychotherapeuten 60 Jahre und älter. In absoluten Zahlen ausgedrückt, waren dies zum 1.1.2022 460 Hausärzte und 782 Fachärzte (wovon 124 Psychotherapeuten waren). Unter Berücksichtigung der flexiblen Anstellungsmöglichkeiten werden zukünftig zur Erfüllung eines ganzen Versorgungsauftrages immer mehr Ärzte benötigt werden (Zwei nachrückende Ärzte ersetzen einen bisherigen Arzt)
Die KV Thüringen zieht in ihrem aktuellen Bedarfsplan 2022 folgenden dramatischen Schluss: „Darüber hinaus kann nur verteilt werden, was tatsächlich vorhanden ist. Jährlich verzichten in Thüringen über 100 Hausärzte auf ihre Zulassung. Allein im Zeitraum von 2019 bis 2021 wurden im Zulassungsausschuss insgesamt 311 Verzichte von Hausärzten beschlossen. Geht man davon aus, dass es jährlich zu durchschnittlich ca. 50 Facharzt-Anerkennungen auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin in Thüringen kommt (Quelle LÄK Thüringen: 2019 – 45; 2020 – 55 und 2021 – 42) und ca. 100 Ärzte jährlich auf ihre Zulassung verzichten, wäre es somit allein mit den Ärzten, die einen Facharzt für Allgemeinmedizin in Thüringen erlangen, nicht möglich, die vorhandenen Arztsitze nachzubesetzen. Sollten sich darüber hinaus noch Zulassungsmöglichkeiten in den Städten wie Erfurt und Jena ergeben, ist eine Nachbesetzung bzw. Versorgung in den ländlichen Gebieten überhaupt nicht mehr möglich. Insofern sollte diese Fehlsteuerung in der hausärztlichen Versorgung dringend verhindert werden.“
Da die aktuell publizierten Versorgungsgrade auf den Arztzahlen vom Februar 2022 basieren, haben wir die veröffentlichte Liste offener Arztsitze in Thüringen (Stand 19.12.2023) als Grundlage für eine Schätzung des derzeitigen Versorgungsniveaus verwendet. Im Betrachtungszeitraum 02/2022 bis 12/2023 konnten weitere 20 Arztsitze (v.a. im ländlichen Raum) nicht nachbesetzt werden und fehlen folglich in der Versorgung.
Stimmt die Relation von Ärzten und Patienten in einer Region mit der gesetzlichen Vorgabe überein, so beträgt der Versorgungsgrad genau 110 Prozent. Unter einem Versorgungsgrad von 75 Prozent (hausärztliche Versorgung) besteht i.d.R. eine Unterversorgung. Eine Überversorgung wird im Allgemeinen ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent ausgewiesen. Der Planungsbereich wird dann für Neuzulassungen gesperrt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit Stand Dezember 2023:
Vor allem der hohe Anteil vollversorgter Mittelbereiche ist im Bundesvergleich als überdurchschnittlich zu bezeichnen. Diese konzentrieren sich jedoch in erster Linie auf die Ballungsgebiete. Folgt man der Einschätzung der KV Thüringen, ist es vor allem der ländliche Raum, welchem es an den zukunftsweisenden Praxisstrukturen mangelt, die sich bei den Nachwuchsmedizinern so großer Beliebtheit erfreuen. Es kann folglich in Thüringen von einem größeren Stadt-Land-Gefälle als andernorts gesprochen werden. Doch wird der Mangel an Nachwuchsmedizinern in Thüringen (rd. 50 fehlende Fachärzte für Allgemeinmedizin jährlich) schlussendlich auch die Versorgungssituation in den Ballungsgebieten negativ beeinflussen. Berücksichtigt man die hohe Teilzeitquote jüngerer Mediziner, dürfte die Differenz bei jährlich rd. 70 Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern liegen. (Lesen Sie auch: Ärztemangel in Hessen)