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Erstes kommunales Medizinisches Versorgungszentrum in Baden-Württemberg – Interview

Wappen Bad Säckingen

Alexander Guhl, seit 2012 Bürgermeister von Bad Säckingen (Lkr. Waldshut), im Gespräch mit Impulse über die Gründung des ersten baden-württembergischen kommunalen MVZ und der neuen Rolle der Stadt als Gesundheitsversorger.

Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.

Impulse: Mit der Gründung der Gesundheitscampus Bad Säckingen GmbH ergriff Bad Säckingen 2017 die Initiative, um den Verlust der wohnortnahen ärztlichen Versorgung durch die Schließung des Spitals aufzufangen. Hierfür nutzen Sie aktuell auch die Projektförderung als Modellvorhaben über das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg (Förderperio­de 2020/2021 ). Aus rd. 150 Projektideen wurden 42 zur Förderung ausgewählt. Ihr Ansatz des Gesundheitscampus war dabei. Was waren Ihrer Meinung nach die „winning points“?

Guhl: Ein stimmiges Konzept zur Nachnutzung/Kompensation für ein geschlossenes Krankenhaus. Antwort auf das Problem der alternden Bevölkerung. Angebot von neuen Arbeitsmodellen für Ärzte (Anstellungsverhältnis, Teilzeit. Entlastung von Verwaltungstätigkeiten … ). Die Sektoren „ambulante ärztliche Versorgung“, „Pflege“, „Therapie“, und „Beratung“ unter einem Dach mit den Kooperationspartnern „stationäre Akutmedizin“ und „Rehamedizin“. (Lesen Sie auch: Rechtliche Hürden bei der Gründung kommunaler MVZ)

Impulse: 2019 gründete die Stadt darüber hinaus die MVZ Bad Säckingen GmbH und damit das erste kommunale MVZ in Baden-Württemberg mit einer Stadt als Alleingesellschafter. Was waren die Gründe, Gedanken und Argumente als Stadt die Rolle als ärztlicher Versorger zu übernehmen?

Guhl: Im Landkreis Waldshut waren derzeit 16 freie Sitze für Allgemeinmedizin mit der Gefahr der Unterversorgung der Bevölkerung. Es gab Nachfragen von Ärzten nach Anstellung in einem MVZ. Das MVZ ist der wichtige Baustein für den Gesundheitscampus. Der damalige Geschäftsführer Peter Mast verfügte über das notwendige Wissen für die Gründung und Inbetriebnahme eines MVZ.

Dies gilt auch für den neuen Geschäftsführer, Herrn Dr. Jörg Blattmann. Ohne einen im Gesundheitswesen erfahrenen Geschäftsführer kann man auch meiner Meinung nach ein kommunales MVZ nicht betreiben.

Impulse: Als Träger der MVZ GmbH muss die Stadt – wie alle freiberuflich niedergelassenen Ärzte auch – eine selbstschuldnerische, d.h. nach oben offene Bürgschaft gegenüber der KV übernehmen. Hierfür ist die Zustimmung der jeweiligen Rechtsaufsicht im Landkreis zustän­dig. Unserer Erfahrung nach ist dies bundesweit nicht immer ganz einfach, zumal es in Ihrem Fall anscheinend um den Betrag von rd. 4 Mio. Euro ging. Wie schwierig war die notwendige Überzeugungsarbeit? Mit welchen Argumenten konnten Sie hier überzeugen?

Guhl: Die Bürgschaft von 4 Mio.€ ist ist für das MVZ, sondern für den Campus relevant. Drei Punkte waren für das Gespräch mit der Rechtsaufsicht wichtig:

  1. Ein realistischer Businessplan für 3 Jahre.
  2. Für die geforderte selbstschuldnerische Bürgschaft konnte eine Versicherungslösung gefunden werden, damit der städtische Haushalt nicht gefährdet ist.
  3. Notwendig ist von Anfang an der Aufbau eines Controlling.

Impulse: Trotz dieser Hürde entschlossen Sie sich für die Rechtsform einer GmbH. Welche Gründe spielten hierfür eine Rolle?

Guhl: Als Alternativen wurden Eigenbetrieb, Kommunalunternehmen oder Genossenschaft erwogen. Die Vorgabe war, dass die Stadt BS Alleingesellschafter sein wird. Damit scheidet eine Genossenschaft aus. Das MVZ sollte sich von Anfang an als wirtschaftliche selbstständige Organisation tragen bzw. finanzieren. Die Stadt BS hat zunächst nur das Stammkapital eingelegt. Diese Tatsache wollte man mit der GmbH auch nach außen darstellen und eine Distanz zum Gesellschafter schaffen.

Impulse: Seit der Inbetriebnahme im Oktober 2020 ist die Praxis des MVZ in Containern un­tergebracht. Wie reagieren die Patienten, aber auch die MVZ-Mitarbeiter, auf diese Zwi­schenlösung?

Guhl: Zunächst war es wichtig, schnell in Betrieb zu gehen da Arzte und Fachangestellte ja vorhanden waren. Zum anderen wurden mit den Bereichen Diabetologie und Rheumatologie auch Fachgebiete integriert, in denen ein erheblicher Versorgungsdruck bestand. Aus Projektsteuerungssicht war es auch sinnvoll, dass der Beginn der beiden Projekte MVZ und Campus zeitlich getrennt wurde.
Die Patienten haben sich mit der Lösung gut arrangiert. Es gibt auch Vorteile: Man kann das Auto direkt davor parken, die KV-Notfallpraxis und das Corona-Impfzentrum sind ebenfalls auf dem Gelände. (Lesen Sie auch: Hausärztemangel – Lösungen der Politik bringen nur geringe Entlastung)

Impulse: Von Bürgermeistern und Ratsmitgliedern hören wir immer wieder den Einwand, dass die Stadt oder Gemeinde mit einem kommunalen MVZ in Wettbewerb zu den übrigen niedergelassenen Ärzten tritt. Wie reagierten Ihre niedergelassenen Ärzte auf das Vorhaben der Stadt?

Guhl: In diesem Fall hat die Stadt auf die Unterversorgung mit 16 freien Sitzen für Allgemeinmedizin reagiert und dies auch intensiv kommuniziert. Ein Wettbewerb ist nicht angestrebt, sondern lediglich das Schließen von Versorgungslücken zur Sicherung der Lebensqualität in Bad Säckingen.

Impulse: Im wievielten Betriebsjahr wird das MVZ Ihrer Einschätzung nach die Gründungs­und Startkosten eingespielt haben? Wo sehen Sie das MVZ in den kommenden fünf Jahren?

Guhl: Im Jahr 2022 ist ein ausgeglichenes Ergebnis angestrebt und dies soll sich auch die nächsten Jahre so fortsetzen. Das MVZ muss keine Gewinne erwirtschaften sondern sich lediglich selbst finanzieren.

Impulse: Mit dem Gesundheitscampus streben Sie eine sektorenübergreifende Vernetzung auch zwischen Pflege, Reha und ggf. auch Therapeuten an. In der Beschreibung des o.g. Modellprojekts wird auch von Digitalisierung und Interoperabilität gesprochen. Auf welche Resonanz stoßen Sie hierbei bei Ärzten sowie weiteren Gesundheits-, Pflege- und Reha­Anbietern?

Guhl: lnstititionell haben wir mit der vollständigen Inbetriebnahme des Gesundheitscampus Ende 2023/Anfang 2024 gute Voraussetzungen für kooperative Versorgungsformen geschaffen. Es bedarf hier sicherlich einiger Impulse aus der Gesundheitsgesetzgebung, denn wir beobachten zwar Interesse, aber man hält sich wegen des noch notwendigen Regelungsbedarfs noch zurück. (Lesen Sie auch: Gründung kommunaler MVZ im Landkreis Darmstadt-Dieburg – Interview)

Impulse: Herr Guhl, ich bedanke mich für das interessante Gespräch und wünsche Ihnen ein erfolgreiches und gesundes Jahr 2022!

Weitere informative Beiträge zu den Themen moderne medizinische Versorgung und Bewältigung des Ärztemangels finden Sie in unserem Magazin Impulse