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Hessens erstes kommunales Medizinisches Versorgungszentrum – Interview

kommunales MVZ Schwarzenborn

Christina Eisenhut, stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Koordinatorin des kommunalen MVZ Schwarzenborn, im Interview mit Impulse über die Errichtung des ersten hessischen kommunalen Medizinischen Versorgungszentrums.

Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.

Impulse: Frau Eisenhut, am 01. Oktober 2018 erhielten Sie die Zulassung der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung zur Gründung des ersten hessischen kommunalen MVZ. Wie kam es seinerzeit zur Überlegung eine solche Lösung anzustreben? Die Stadt betrat hiermit ja definitiv Neuland.

Eisenhut: Die ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen stellt eine große Herausforderung dar. Nicht nur hier in Schwarzenborn, sondern in vielen ländlichen Regionen haben niedergelassene Ärztinnen und Ärzte Probleme, Nachfolger zu finden. So ging es auch der langjährig in Schwarzenborn tätigen Ärztin. Im Jahr 2015 gab sie ihre Tätigkeit als niedergelassene Ärztin altersbedingt auf, ein Praxisnachfolger konnte trotz einer intensiven Suche nicht gefunden werden. Der Sicherstellungsauftrag der medizinischen Versorgung liegt bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), dennoch haben die Länder eine Mitverantwortung. Mit der Aufgabe der Daseinsvorsorge stehen auch die Kommunen in der Verantwortung. Daher hat sich die Stadt Schwarzenborn damals dazu entschieden, für die Bürger*Innen ein kommunal geführtes MVZ zu gründen und damit die ärztliche Versorgung in der Region auch zukünftig zu sichern.

Impulse: Die Stadt Schwarzenborn führt das kommunale Medizinische Versorgungszentrum als „Anstalt öffentlichen Rechts (AöR)“. Was bedeutet das konkret?

Eisenhut: Die Trägerkommune Stadt Schwarzenborn überträgt uns als Anstalt öffentlichen Rechts verschiedene Aufgaben, die in der Satzung festgelegt wurden. Dazu gehören unter anderem Abstimmungsverfahren mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und deren Gremien durchzuführen. Die Leitung der Anstalt und die Patientenversorgung in der Region Knüll. Die Anstalt kann Rahmen der Aufgabenerfüllung Anstellungsverträge mit Ärzten/innen und sonstigem Praxispersonal abschließen und hier weitestgehend eigenständig reagieren.

Die Ärzte können sich ganz auf die Medizin konzentrieren. Denn um die betriebswirtschaftlichen Belange kümmert sich der dreiköpfige Vorstand der AöR, den der Kämmerer der Stadt, der Betreiber eines Pflegedienstes und ich bilden. Bürgermeister Liebermann stellt zusammen mit dem ersten Stadtrat und drei weiteren Vertreten den Verwaltungsrat für das MVZ. (Lesen Sie auch: Gründung kommunaler Medizinischer Gesundheitszentren – Interview)

Impulse: Was waren die ausschlaggebenden Kriterien für die Wahl dieser Rechtsform z.B. im Vergleich zum ebenfalls möglichen Eigen-/Regiebetrieb, zu einer GmbH oder Genossenschaft?

Eisenhut: Ursprünglich wollten wir in der Rechtsform einer GmbH gründen, dies wurde allerdings seitens der Kommunalaufsicht nicht genehmigt. Hier gab es haftungsrechtliche Gründe.

[Anm. d. Redaktion: Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) vom 16.7.2015 erlaubte der Gesetzgeber Eigen- und Regiebetriebe, KdöR/AöR, (g)GmbH und Genossenschaften (e.g.)]

Impulse: Viele Kommunalverantwortliche sind der Meinung, dass man als Stadt, Marktflecken oder Gemeinde groß genug sein müsste, um sich ein kommunales MVZ „leisten“ zu können. Mit seinen (nur) rd. 1.300 Einwohnern zählt Schwarzenborn ja als „kleinste Stadt Hessens“. Was ist Ihre Erfahrung dazu?

Eisenhut: Der Aufwand für die Kommune war und ist erheblich. Das MVZ Schwarzenborn wurde als Neubau am Ortsrand von Schwarzenborn in der Zeit von Juni 2016 bis Mai 2017 errichtet. Die Baukosten haben 1,2 Mio. EUR betragen. Dabei hat die Stadt als Bauherr einen EU-Zuschuss in Höhe von 200.000 € erhalten. Die Restmittel wurden z.T. durch ein Darlehen finanziert. Der Rest mit Eigenmitteln der Stadt Schwarzenborn. An Ausstattungen und med. Gerätschaften wurden nochmals rd. 150.000 € aufgewandt. Wir gehen davon aus, dass sich das MVZ ab 2023 selbst trägt und die Scheinzahlen ausreichen um den lfd. Betrieb sowie die Personalkosten abdecken zu können. Bis dahin werden jährliche Zuschüsse der Stadt Schwarzenborn an das MVZ zur Aufrechterhaltung des laufenden Betriebes gezahlt.

Impulse: Sie haben Ihr kommunales MVZ mittlerweile auch um eine fachärztliche Komponente erweitert. Was waren die zentralen Erfolgsfaktoren, dass Sie dies nach über zwei Jahren erreicht haben?

Eisenhut: Wir sind direkt am Tag der Zulassung mit einem gynäkologischen und einem allgemeinmedizinischen Sitz gestartet. Zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren gehören aus meiner Sicht auf jeden Fall die handelnden Personen. Wir haben hier mit Herrn Bürgermeister Liebermann, dem Verwaltungsratsvorsitzenden der AöR einen Menschen, der für die Menschen da ist und lösungsorientiert denkt und handelt. Er treibt die Dinge voran, das war insbesondere in der Aufbauphase gut und wichtig. Auch jetzt lässt er nicht nach, alle handelnden Personen mit auf den Erfolgsweg zu nehmen.

Impulse: Was waren – im Rückblick betrachtet – die größten Schwierigkeiten bei der Gründungsvorbereitung? (Lesen Sie auch: Erstes kommunales MVZ nun auch in Nordrhein-Westfalen eröffnet)

Eisenhut: Mit dem Entwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes 2014 wurden zwar die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, ein Leitfaden für die Umsetzung eines solchen Projektes existierte jedoch nicht. Uns fehlte eine „Blaupause“ dazu. Ein kommunales MVZ war nicht nur für uns Neuland, sondern auch für die KVen und die kommunalen Aufsichtsgremien. Man wusste nicht wie man mit einem kommunalen MVZ umgehen sollte. Auch ist es nicht leicht Mediziner zu finden, die bereit sind in einem noch nicht gegründeten MVZ tätig zu werden. Nicht nur für die Gründer, sondern auch für das Personal gab es noch viele Unbekannte, die damals noch nicht abgeschätzt werden konnten.

Impulse: Wo sehen Sie das kommunale MVZ in Schwarzenborn in fünf bis sechs Jahren? Wovon hängt dabei die voraussichtliche Entwicklung besonders ab?

Eisenhut: Ich sehe mit Zuversicht in die Zukunft und freue mich darauf, unser Projekt in den nächsten Jahren weiter auszubauen. Ziel ist es, noch eine(n) dritte(n) Mediziner(in) zu beschäftigen, um auch Vertretungen organisieren zu können und das Angebot auszuweiten. Ausschließen möchte ich es nicht, eventuell noch eine weitere Betriebsstätte zu eröffnen. Aber das sind noch Zukunftsvisionen. Wichtig ist, die ärztliche Versorgung langfristig zu sichern. Da sind wir auf einen guten Weg, denke ich.

Impulse: Das MVZ Schwarzenborn kann als Vorzeigeprojekt bezeichnet werden, Sie erhalten daher auch viele Anfragen von Bürgermeistern und Städtevertretern aus dem ganzen Bundesgebiet. Was raten Sie diesen?

Eisenhut: Das ist in der Tat so. Wir freuen uns immer über Interesse an unserem Projekt. Die ärztliche Versorgung auf dem Land langfristig sicherzustellen wird in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe bleiben, nicht nur für die Kassenärztlichen Vereinigungen, sondern auch für die Kommunen.

Es gibt verschiedene Lösungsansätze für dieses Problem, unser Projekt ist nicht immer übertragbar auf andere Kommunen. Für uns und die in der gesamten Knüllregion lebende Bevölkerung war es aber sicher die richtige Lösung.

Impulse: Frau Eisenhut, herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Weitere informative Beiträge zu den Themen moderne medizinische Versorgung und Bewältigung des Ärztemangels finden Sie in unserem Magazin Impulse