Der demographische Wandel ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die Deutschland in den nächsten Jahren stark beeinflussen wird. Eine wachsende Zahl älterer und alter Menschen bedeutet unter anderem, dass Gesundheitsleistungen verstärkt in Anspruch genommen werden. Dies hat auch Folgen für die sozialen Sicherungssysteme und die Strukturen der gesundheitlichen Versorgung.
Parallel zu dieser Altersstruktur-Entwicklung zeigt sich, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Anzahl der Singles in Deutschland immer mehr zugenommen hat. Waren es 1996 noch 5,6 Mio. Männer und 8,6 Mio. Frauen, so waren es 2015 bereits 9,7 Mio. Männer und 8,8 Mio. Frauen, d.h. zusammen rd. 18,5 Mio. Personen. Dies entspricht fast 28 Prozent der Bevölkerung. Gleichzeitig ist die Zahl der Haushalte mit drei oder mehr Generationen zwischen 1995 und 2015 von 351.000 auf 209.000 zurückgegangen. Das entspricht einem Rückgang von 40,5 Prozent. Manche sprechen gar bei den Jüngeren von einer „Generation Beziehungsunfähigkeit“. Die Auswirkungen dieser steigenden Zahl an Alleinstehenden auf die künftigen Pflegebedarfe sind bereits heute erkennbar.
Gleichzeitig stieg die Zahl der Menschen ab 67 Jahren zwischen 1990 und 2018 um 54 Prozent von 10,4 Millionen auf 15,9 Millionen. In den nächsten 20 Jahren wird diese Zahl um weitere 5 bis 6 Millionen auf mindestens 20,9 Millionen wachsen. Für die Entwicklung der Bevölkerung im Alter zwischen 67 und 79 Jahren liefern unterschiedliche Varianten der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung einen sehr ähnlichen Verlauf. Die Zahl der 67- bis 79-Jährigen wird noch bis 2021 relativ stabil gut 10 Millionen betragen. Danach wird sie aber bis 2037 auf über 4 Millionen stark ansteigen. Anschließend werden die stark besetzten Jahrgänge allmählich das Alter von 80 Jahren erreichen und in die Gruppe der ab 80-Jährigen wechseln. Deshalb wird die Zahl der 67- bis 79-Jährigen zwischen 2038 und 2050 auf 11 Millionen oder geringfügig darunter sinken und danach nur leicht auf rund 12 Millionen im Jahr 2060 steigen. (Lesen Sie auch: Capitation: Effizienterer Umgang mit Ressourcen des Gesundheitssystems durch Kopfpauschalen)
Die Gruppe der Menschen ab 80 Jahren wird bereits in den nächsten Jahren bis 2022 von 5,4 Millionen (2018) auf 6,2 Millionen steigen und dann bis Anfang der 2030er Jahre auf diesem Niveau bleiben. In den anschließenden 20 Jahren wird sie aber kontinuierlich zunehmen und im Jahr 2050 je nach der angenommenen Entwicklung der Lebenserwartung auf 8,9 bis 10,5 Millionen wachsen. Zwischen 2050 und 2060 wird die Zahl der Menschen ab 80 Jahren aufgrund der Sterblichkeit der stark besetzten Jahrgänge jeweils um rund 1 Million sinken.
Für die Hochaltrigen ab 80 Jahren wird von einem sogen. vierten Lebensalter gesprochen. Im Jahre 2050 werden zudem mehr als 100.000 Menschen in Deutschland 100 Jahre oder älter sein. Dies bleibt nicht ohne Folgen für unser Krankheitsversorgungssystem: „Grundsätzlich ist mit einer Zunahme nichtübertragbarer Erkrankungen wie Diabetes, Krebs und Demenz und der damit verbundenen Kosten zu rechnen. Teilweise könnte dieser Anstieg durch Präventionsmaßnahmen abgemildert werden.“
Wie deutlich der altersbedingte Anstieg bestimmter, nichtübertragbarer Krankheiten ausfällt, zeigt eine beispielhafte Darstellung der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz. Hier ist vor allem der deutliche Anstieg der Morbidität bei Hypertonie (Bluthochdruck) erschreckend und zeigt, dass wir – nach der Bekämpfung der Ansteckungskrankheiten im 19. Jh. – nunmehr bei der Gesundheitsvorsorge in eine neue Richtung denken müssen. Ebenfalls zeigt die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz auf, wie sich eine ändernde Altersstruktur der Bevölkerung z.B. bei den unterschiedlichen Facharzt-Zweigen, hinsichtlich der zeitlichen Inanspruchnahme auswirkt. Von Letzteren sind besonders Hausarztpraxen betroffen.
Spielt die aktuell hohe Zuwanderung durch Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge für die quantitative Bevölkerungsentwicklung durchaus eine noch nicht vollumfänglich zur Kenntnis genommene Rolle, so ist sie für die Überalterung demgegenüber nahezu bedeutungslos, zu uneinholbar groß ist auf Grunde des jahrzehntelangen Kindermangels der Unterschied zwischen den jüngeren und älteren Altersstufen.
Fakt ist auf jeden Fall: Die Struktur der künftigen Verbraucher und Patienten und damit auch die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und deren (auch sprachlichen) Abwicklung im gelebten Alltag, wird in den kommenden Jahrzehnten auch den Gesundheitsmarkt massiv verändern, er wird darauf reagieren müssen. Gleichzeitig wird es umso wichtiger, die Erwerbsbeteiligung vorhandener älterer Arbeitnehmer in Deutschland selbst deutlich zu steigern (Stichwort: Rente mit 70 bzw. 71). Hier sind von den Akteuren im Gesundheitsmarkt eigenaktiv wesentliche Beiträge einzufordern. Diese Beiträge bieten aber gleichzeitig Chancen für Gesundheitsanbieter aus den Bereichen Gesundheitsvorsorge, Prävention sowie BGF/BGM.
Der Mangel an Ärzten in einigen ländlichen Regionen ist ein Problemfeld, das direkt mit dem Bevölkerungsrückgang zusammenhängt. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen spricht von einer besonderen Herausforderung, eine nachhaltige sowie effiziente und effektive Gesundheitsversorgung durch niedergelassene Ärzte in dünn besiedelten, strukturschwachen Regionen sicherzustellen.
Da nicht nur die Bevölkerung altert, sondern auch die Ärzteschaft, wird das Problem durch den demographischen Wandel verschärft. Von den etwa 146.000 ambulant tätigen Ärzten waren 2019 rund ein Drittel 60 Jahre oder älter. Ihr Übergang in den Ruhestand zieht vor allem in Regionen, die bereits jetzt unbesetzte Arztsitze und -stellen aufweisen, besondere Probleme nach sich. Umgekehrt ziehen Medizinstudentinnen und -studenten für den Fall einer späteren Niederlassung verstädterte Regionen vor. Dies stellt die Nachbesetzung freier Arztsitze und -stellen vor immense Herausforderungen.
Zudem kumulieren in den betroffenen Regionen die Probleme der demographischen Entwicklung und einer geringen Bevölkerungsdichte: Reduziert sich die Angebotsdichte der Gesundheitsversorgung, etwa durch die Aufgabe von Praxen niedergelassener Ärzte, verlängern sich entsprechend die zurückzulegenden Anfahrtswege. Vor diesem Hintergrund kommt der Erreichbarkeit von Praxen und Krankenhäusern eine wachsende Bedeutung zu. Diese Erreichbarkeitsanalysen setzen allerdings die Verfügbarkeit eines Pkw voraus. Auf immerhin 18 % aller Haushalte in Deutschland traf dies 2008 nicht zu. (Lesen Sie auch: Gründung kommunaler Medizinischer Gesundheitszentren – Interview)
Die demographische Alterung ist eine komplexe gesellschaftliche Entwicklung, die viele Herausforderungen für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens mit sich bringt. Einer der wichtigsten Aspekte ist das veränderte Verhältnis zwischen dem schwindenden Anteil von Menschen im Erwerbsalter und der größer werdenden Zahl älterer Menschen, die mit dem Alter zunehmend auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Die Folgen dieser Entwicklung werden in etwa zehn Jahren verstärkt spürbar werden: Die geburtenstarken Jahrgänge der so genannten Baby-Boomer treten dann in das Rentenalter ein und geburtenschwache Jahrgänge stellen die mittleren Altersgruppen. Verstärkt wird die demographische Alterung durch ein nach wie vor niedriges Geburtenniveau und eine zunehmend längere Lebenserwartung.
All dies macht deutlich, dass die demographische Entwicklung und die Gestaltung einer zukünftigen gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung eng miteinander verwoben sind. Die positiven Auswirkungen einer längeren Lebenserwartung sind unverkennbar. Der demographische Wandel bringt für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens aber auch beträchtliche Herausforderungen mit sich.
Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.