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Was bedeutet die Einführung von Versorgungsärzten?

Was ist ein Versorgungsarzt

Was ist ein Versorgungsarzt

Mit seinem Corona-Notfallplan will Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die ärztliche Versorgung im Land dezentralisieren.

Aufgrund der neuesten Landesgesetzgebungen in Bayern und Nord­rhein-Westfalen wird den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen der Sicherstellungsauftrag teilweise entzogen, sofern es um die Versorgung im Rahmen der Corona-Krise geht.

Durch den bayerischen „Notfallplan Corona-Pandemie“ wird die ärztliche Versorgung in Bayern regional durch Landräte und Oberbürgermeister sichergestellt. Sie ernennen sogenannte Versorgungsärzte, welche als „Koordinatoren für die ambulante ärztliche Versorgung“ dienen. So gibt es seit vergangener Woche in jeder kreisfreien Stadt und jedem Landkreis Bayerns einen so genannten „Versorgungsarzt“, der die ambulante medizinische Versorgung der Bevölkerung federführend koordiniert. Ihnen wird ein Arbeitsstab zur Seite gestellt. Die Mitarbeiter des Arbeitsstabes sind möglichst einvernehmlich zu gewinnen. Über die für die Mitarbeit im Arbeitsstab erforderlichen Qualifikationen bzw. Berufsgruppen entscheidet der Versorgungsarzt nach den jeweiligen Erfordernissen vor Ort.

Bisher scheint die ambulante medizinische Versorgung im Land jedoch zu funktionieren, obwohl auf Grund mangelnder Schutzausrüstung und Bekleidung mancherorts die Versorgung bröckelt. Zum 30. März hatten in Bayern 262 von rund 18 000 Praxen geschlossen. Die Gründe: Corona-Quarantäne (164), fehlende Schutzausrüstung (75, Vorwoche: 60), keine Kinderbetreuung (23). Circa 1.500 Praxen arbeiten nur eingeschränkt – und zwar laut KVB-Sprecher Axel Heise um 30 bis 50 Prozent weniger als sonst. Nach wie vor herrsche ein „eklatanter Mangel“ an Masken, Handschuhen und Desinfektionsmitteln. „Wir warten täglich auf die Lieferungen vom Bund, aber es kommt praktisch nichts an“, klagt die KVB und prophezeit „düstere Zeiten für die ambulante Versorgung im Freistaat“.

Schwerpunktpraxen als Zentren zur Behandlung von Covid-19-Patienten

Die neuen Versorgungsärzte sollen, unterstützt von einem Arbeitsstab, die Lage managen. Laut gemeinsamer Bekanntmachung von Innen- und Gesundheitsministerium will der Staat mit ihrer Hilfe die ärztliche Versorgung vor Ort „bedarfsgerecht, schnell und möglichst widerspruchsfrei“ planen und organisieren können. Ziel sei die Minimierung „vermeidbarer Zeit- und Reibungsverluste“. Zu den Aufgaben der Versorgungsärzte zählen der Aufbau und Betrieb von Corona-Testzentren und die Einrichtung von Schwerpunktpraxen samt Personal-Rekrutierung für die Untersuchung von Covid-19-Patienten, die nicht stationär behandelt werden müssen. In diesen Schwerpunktpraxen soll dauerhaft die Ausstattung mit benötigten Hilfsmitteln und Schutzausrüstung zur Behandlung von Covid-19-Patienten gewährleistet werden. Unter anderem dürfen sie hierfür Haus- und Fachärzte sowie deren Personal aus ihren Praxen abziehen und in Corona-Schwerpunktpraxen einsetzen.

Die von Versorgungsärzten geplante und koordinierte Einrichtung von Schwerpunktpraxen sowie deren im Einzelfall ggf. erforderliche Anordnung durch den jeweiligen Landrat bzw. Oberbürgermeister als Leiter der örtlichen Katastrophenschutzbehörde stellen Maßnahmen der Katastrophenbewältigung dar und richten sich demnach insbesondere auch hinsichtlich der Deckung notwendiger Aufwendungen nach den allgemeinen Vorschriften des jeweiligen Katastrophenschutzgesetzes der Länder.

Der Freistaat Bayern teilte in seiner Pressemitteilung von vergangener Woche dazu mit, dass „als Schwerpunktpraxis zum einen eine Praxis in hierfür geeigneten Räumlichkeiten neu eingerichtet und ausgestattet werden könne. Es kann aber auch eine bestehende Praxis – insbesondere in Abstimmung mit dem Praxisinhaber bzw. der Ärzteschaft vor Ort – zu einer Versorgungspraxis umgewidmet bzw. erweitert / weiterentwickelt werden. Um insoweit die gewollte Fokussierung der Schwerpunktpraxis auf die Untersuchung und Behandlung von potentiell SARS-CoV-2-Infizierten zu gewährleisten, müsste in einem solchen Fall eine Umsteuerung der Weiterversorgung von regulären Patientinnen und Patienten dieser Praxis ohne Verdacht auf SARS-CoV-2-Infektion bzw. CO- VID-19-Erkrankung auf andere Praxen erfolgen.“ Das zum Betrieb von Schwerpunktpraxen notwenige ärztliche und nichtärztliche Personal solle demnach „möglichst einvernehmlich“ gewonnen werden.

Deutliche Kritik von Ärzteverbänden und Kassenärztlicher Bundesvereinigung

Zwar stößt das Vorhaben auf grundsätzliche Sympathien bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern, das Vorgehen löste jedoch Kritik aus. So bewertet der dreiköpfige Vorstand der KVB diese Regelungen in einer Pressemitteilung als grundsätzlich sinnvoll, denn „die Verantwortung für die Umsetzung liegt nun bei den Landräten und Oberbürgermeistern und den von diesen zu benennenden Versorgungsärzten“. Allerdings bewerten sie die bayerische Verordnung als „einen unnötigen Ausdruck des Misstrauens gegenüber der hoch leistungsfähigen und -willigen Ärzteschaft“. Im schlimmsten Fall, so der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen, gebe es künftig in Bayern 90 Versorgungsärzte mit 90 unterschiedlichen Lösungen. Diese Dezentralisierung zugunsten eines bayerischen Sonderwegs sei laut Gassen aus medizinischer Sicht „brandgefährlich“.

Zudem ignoriert die Etablierung von Versorgungsärzten bereits bestehende und vielerorts bestens funktionierende Netzwerke. Schade ist, dass im „Eifer des Gefechts“ ein Blick auf diese bestehenden Vernetzungsstrukturen unterbleibt. Eine gewichtige Rolle spielen hier die vielen bestehenden – und staatliche geförderten – Ärztenetze und -genossenschaften. Unabhängig davon, ob diese indikationsbezogen sind oder nicht, also ausgerichtet auf die qualitativ hochwertige und reibungslose Behandlung von bestimmten Krankheiten, weisen sie auf das Maß der Zusammenarbeit der ambulant tätigen Ärzte (tlw. auch in Kooperation mit den stationären Einrichtungen) hin. Funktionierende Ärztenetze sind in Krisenzeiten auf Grund der eingeübten Kommunikationswege, des Umgangs miteinander und der daraus gewachsenen Vertrauensbasis durchaus in der Lage als Team rasch und im Sinne einer Zielrichtung zu agieren. Vor diesem Hintergrund ist die Rolle des Versorgungsarztes eher die eines „Kümmerers“ um Hemmnisse zu beseitigen, die Versorgung sicherzustellen und als Bindeglied zwischen den einzelnen Akteuren zu wirken. Wo diese etablierten Netzwerke und Strukturen fehlen ist sicherlich ein deutlich höherer Arbeitsumfang des Versorgungsarztes zu erwarten.

Bayern habe sich hier weit aus der Deckung gewagt, kommentiert Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die Maßnahmen. Dies sei genau der Gegensatz des Bestrebens, alles einheitlich zu machen. Man werde sehen, wie weit man damit komme. Wichtiger wäre aus seiner Sicht gewesen, dass Vertragsärzte von der Politik Unterstützung erfahren, statt Knüppel zwischen die Beine geworfen zu bekommen. Bayern sei hier wirklich „ein abschreckendes Beispiel“. KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister kritisiert einen „Rückfall in die Kleinstaaterei“. Aus Sicht von Dr. Dirk Heinrich, Chef des NAV-Virchow-Bundes, sind solche Maßnahmen mit der Entmachtung der KV und der drohenden Zwangsverpflichtung von Vertragsärzten verbunden. Anstatt die eigenen staatlichen Verpflichtungen zu erfüllen, versuche der Freistaat mit einer Politik der Brechstange, Handlungsfähigkeit zu beweisen. (Lesen Sie auch: Gründung kommunaler Medizinischer Gesundheitszentren – Interview)

In seiner Funktion als Vorsitzender des Hartmannbundes ermahnt Dr. Klaus Reinhardt angesichts des bayerischen Vorstoßes die Regierungen aller Bundesländer, bei Gesetzesvorhaben im Zuge der Corona-Pandemie das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Zunächst müsse die Frage beantwortet werden, was genau an „Mehr“ man denn durch Zwangsmaßnahmen zu erreichen hoffe und was nicht auch gemeinsam in und mit der Selbstverwaltung geleistet werden könne. 

Unerwähnt bleibt, dass jeder der angeführten Landkreise und kreisfreien Städte über ein Gesundheitsamt oder eine vergleichbare, aber anders bezeichnete kommunale Gesundheitsabteilung verfügt. Diese sind über ihre Tagesarbeit in engem Kontakt mit den niedergelassenen Ärzten und könnten die Arbeit eines Versorgungsarztes personell und inhaltlich rasch und zügig übernehmen. Inwieweit der Aufbau eines parallelen „Entscheidungs-, Verantwortungs- oder Arbeitsstranges“ hier die notwendigen Anforderungen an Schnelligkeit und Qualität erfüllt, ist fraglich. Jegliche Fragen hinsichtlich Bezahlung, Versicherung und Haftung würden sich zudem erledigen.

Gesetzesentwurf aus Nordrhein-Westfalen

Nach Bayern plant auch Nord­rhein-Westfalen die Möglichkeit von Zwangsmaßnahmen. Hier diskutierte vergangene Woche der Landtag das „Epidemie-Gesetz“. Laut Entwurf „ein Regelwerk zur Bestimmung besonderer Handlungsbefugnisse im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler oder landesweiter Tragweite“. Dem Entwurf ist entnehmen, dass „medizinisches, pflegerisches oder sanitäres Material einschließlich der dazu gehörigen Rohstoffe sowie Geräte für die medizinische und pflegerische Versorgung“ sichergestellt werden kann. (Lesen Sie auch: Das Zusammenwachsen des stationären und ambulanten Sektors – Interview)

Darüber hinaus sieht der Entwurf aus NRW vor, dass Behörden im Krisenfall „von Personen, die zur Ausübung der Heilkunde befugt sind oder über eine abgeschlossene Ausbildung in der Pflege, im Rettungsdienst oder in einem anderen Gesundheitsberuf verfügen, die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen verlangen“. 

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sieht sich aufgrund dieses Entwurfs offener Kritik ausgesetzt. „Ich halte den Gesetzentwurf in der jetzigen Form in einigen Punkten für verfassungswidrig“, bemerkte der Rechtswissenschaftler Christoph Degenhart gegenüber der „Rheinischen Post“. Von einer verfassungsrechtlichen Sackgasse sprach auch die SPD-Opposition bei der ersten Lesung des Epidemie-Gesetzes. Einen „Tiefpunkt der politischen Krisenkommunikation“ und einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzteschaft sehen die Vorsitzenden des Hausärzteverbandes Nordrhein darin.

Mit den oben angeführten Befugnissen ist der Versorgungsarzt plötzlich seinen bisherigen Kollegen übergeordnet. Es stellen sich daher Fragen hinsichtlich seiner Akzeptanz, den zu erwartenden Folgeschäden für ein künftiges vertrauensvolles Kooperieren in der niedergelassenen Ärzteschaft. Darüber hinaus stellt sich die Frage wie und wann diese parallele Struktur wieder abgebaut werden wird.

Positiv ist auf jeden Fall, dass durch die Delegation der Verantwortung für die ärztliche Versorgung auf kommunale Ebene auch für die Zukunft die Rolle der Kommunen gestärkt wird. Bisher sind die Ansätze, die Kommunen bei der ärztlichen Versorgung in die Verantwortung zu nehmen, noch sporadisch und eher im Sozialgesetzbuch zu finden (Stichworte: 7. Altenbericht, Kommunen als Träger kommunaler MVZ sowie die Integration von Kommunen in die Zulassungsausschüsse), was vor Ort durchaus zu Konflikten mit der Kommunalaufsicht führt. Nun sehen erstmals die Innenministerien diese Verantwortung bei den Kommunen.

Wie erfolgt die Vergütung eines Versorgungsarztes?

Da es sich bei einem Versorgungsarzt um eine Unterstützungsstruktur zur Katastrophenbewältigung handelt, erfolgen Finanzierung, Vergütung, Aufwendungsersatz und Entschädigung auf Grundlage der jeweiligen Katastrophenschutzgesetze der Länder. Vorgaben zur konkreten Höhe einer Vergütung bestehen dabei nicht, sondern richten sich nach dem Maßstab Angemessenheit und Erforderlichkeit, um einen für die Aufgabenwahrnehmung gut geeigneten und motivierten Arzt zu gewinnen.

Vergütung und Aufwendungsersatz sowie Entschädigungen können im angemessenen Umfang im Rahmen der Einsetzung durch den Landrat bzw. Oberbürgermeister als Leiter der örtlichen Katastrophenschutzbehörde zwischen der Behörde und dem Versorgungsarzt vertraglich festgesetzt werden, um spätere Auseinandersetzungen hierüber zu vermeiden.

Hier geht es zur Studie: Lösung des Ärztemangels: Zahlen, Daten & Fakten. Eine Grundlagendarstellung.